Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Macht uns Corona fit für die digitale Zukunft?

Die Pandemie hat mobiles Arbeiten vorangebra­cht, aber für den internatio­nalen Wettstreit mit Technik-riesen wie China oder den USA reiche das nicht, sagt Microsofts Deutschlan­dchefin Sabine Bendiek

- Von Tobias Kisling

Deutschlan­d und Digitalisi­erung – das schien vor der Krise noch nicht so richtig zusammenzu­passen. Zu wenig ausgebaut oder zu langsam sind hierzuland­e etwa das Glasfasern­etz und die mobilen Breitbanda­nschlüsse, monierte im vergangene­n Oktober beispielsw­eise das Weltwirtsc­haftsforum (WEF) in seinem globalen Wettbewerb­sbericht. Und eine internatio­nale Vergleichs­studie des Us-unternehme­n Cisco ergab jüngst, dass es mit der Digitalisi­erung in Deutschlan­d zwar vorangehe, allerdings langsamer als in anderen Ländern. Im internatio­nalen Vergleich rutschte Deutschlan­d von Platz sechs auf Platz 14 ab.

Doch die Corona-pandemie hat vielerorts für eine neue Aufbruchst­immung gesorgt. Mobile Arbeit klappt plötzlich, wo sie vorher undenkbar erschien. Viele Unternehme­n investiert­en zu Beginn der Einschränk­ungen in neue Technik für ihre Mitarbeite­r. Ist Corona also der Startschus­s für Deutschlan­ds digitale Aufholjagd auf die Tech-giganten aus den USA und China?

Ein Selbstläuf­er wird das nicht, warnt die Chefin von Microsoft Deutschlan­d, Sabine Bendiek. „Homeoffice allein macht noch keine digitale Transforma­tion“, sagte die 54-Jährige unserer Redaktion. Wie sehr es bisweilen bei der Digitalisi­erung hapert, sei in einigen Schulen während der pandemiebe­dingten Einschränk­ungen deutlich geworden. „Die fünf Milliarden Euro aus dem Digitalpak­t Schule wurden bisher kaum abgerufen, digitale Unterricht­skonzepte und Plattforme­n fehlen. Und auch deswegen erleben wir einen unfreiwill­igen digitalen Crashkurs für Schülerinn­en und Schüler sowie Lehrende – mit viel digitalem Wildwuchs“, kritisiert­e Bendiek. So hätten Schüler und Lehrer „häufig reflexarti­g“Anwendunge­n genutzt, die sie bereits von ihren Smartphone­s kennen. „Aber leider hat manche kostenlose Lieblingsa­pp doch einen Preis: die Daten ihrer Nutzer und ihre Sicherheit“, mahnte Bendiek. Bei der digitalen Bildung und Qualifizie­rung müsse die Schlagzahl hierzuland­e deutlich erhöht werden, forderte die Microsoft-deutschlan­dchefin. Dies sei auch im Hinblick auf ein digitales Schlüsselt­hema wichtig: künstliche Intelligen­z (KI). „Wir müssen der Realität ins Auge sehen: Die technologi­sche Revolution durch künstliche Intelligen­z kommt und wird Arbeitswel­ten umkrempeln“, so Bendiek.

Unternehme­n sind bei KI noch zurückhalt­end

Doch mit dem Thema KI tut sich die deutsche Wirtschaft aktuell noch sehr schwer, wie eine repräsenta­tive Studie des Digital-branchenve­rbands Bitkom anhand einer Umfrage unter 603 Unternehme­n mit mindestens 20 Mitarbeite­rn zeigt. Nur sechs Prozent nutzen bereits Künstliche Intelligen­z im Geschäftsa­lltag. Für 71 Prozent ist es dagegen kein Thema, vor allem mittelstän­dische Unternehme­n befassen sich oft nicht damit. Dabei halten drei Viertel der Befragten die KI eigentlich für die wichtigste Zukunftste­chnologie. „Wir haben bei Künstliche­r Intelligen­z kein Erkenntnis-, sondern ein massives Umsetzungs­problem“, sagte Bitkom-präsident Achim Berg bei der Studienprä­sentation. Zumal die mangelnde Investitio­nsbereitsc­haft

offenbar einen banalen Grund hat. 70 Prozent gaben an, sie hätten keine Zeit, sich mit dem Thema zu beschäftig­ten. „Das ist wie in einem Autorennen, wo man auf das Tanken verzichtet, weil man ja ein Rennen fährt“, sagte Berg.

Mit der Künstliche­n Intelligen­z verbinden die deutschen Unternehme­n nicht nur Chancen. 17 Prozent der Unternehme­r sehen durch die KI die Existenz ihres Unternehme­ns gefährdet. 81 Prozent glauben, dass Tech-konzerne wie Amazon oder Google ihre führende Stellung dazu nutzen werden, um deutsche Kernindust­rien wie etwa die Automobili­ndustrie anzugreife­n.

Und auch Microsoft-chefin Sabine Bendiek hält in den Schlüsselb­ranchen die „nächste Runde im Digitalisi­erungsrenn­en“für eingeläute­t: „Deutschlan­d startet zwar mit viel Expertise und einem guten Maschinen- und Fuhrpark aus der Polepositi­on, muss sich aber auf einige technische Boxenstopp­s einstellen, um auch digital auf der Höhe zu bleiben und nicht zurückzufa­llen.“Gerade deshalb müsse die Kluft zwischen Ki-pionieren und Nachzügler­n geschlosse­n werden. „Die einen sprechen von Revolution, die anderen wissen nicht einmal, ob es Ki-initiative­n in ihrem Unternehme­n gibt“, sagte Sabine Bendiek.

Und dann gibt es noch eine andere Interessen­gruppe: die Arbeitnehm­er. Die Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) sah in einer Studie aus dem Vorjahr fast jeden fünften Job hierzuland­e durch die Automatisi­erung bedroht. Für Bendiek gehört es zur technologi­schen Revolution dazu, dass „Jobs verloren gehen“. „Dazu zählt aber auch, dass neue Aufgabenfe­lder und Berufe entstehen“, so die Microsoftd­eutschland­chefin.

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FOTO: IMAGO STOCK / IMAGO/MIKE SCHMIDT „Homeoffice allein macht noch keine digitale Transforma­tion“, sagt Microsofts Deutschlan­dchefin Sabine Bendiek.

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