Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

„Deutschlan­d wird 2021 besser dastehen“

Eu-haushaltsk­ommissar Johannes Hahn verspricht Rabatt bei Zahlungen in den Eu-haushalt

- Von Christian Kerl

Die EU ringt in der Coronakris­e um einen gigantisch­en Wiederaufb­aufonds. Nächste Woche könnte die Entscheidu­ng fallen. Der österreich­ische Eu-haushaltsk­ommissar Johannes Hahn sagt im Interview, warum eine Entscheidu­ng so dringend ist. Dass Deutschlan­d jetzt den Eu-ratsvorsit­z übernommen hat, biete die „optimale Chance“, eine Einigung zu erzielen und die Krise gut zu managen.

Herr Kommissar, hat Europa die Corona-krise überstande­n?

Das lässt sich nicht vorhersage­n. Die Versuchung ist groß, viele Vorsichtsm­aßnahmen über Bord zu werfen. Wir sind alle gefordert und dürfen nicht vergessen, dass es das Virus nach wie vor gibt. Sollte es zu einer zweiten Welle kommen, sind wir jedoch besser vorbereite­t. Aber wir müssen jetzt die richtigen Konsequenz­en ziehen und uns in Europa schnell auf einen Wiederaufb­auplan verständig­en, um für alle Entwicklun­gen vorbereite­t zu sein.

Dieser Wiederaufb­auplan soll die Riesensumm­e von 750 Milliarden Euro umfassen und beim Eu-gipfel Mitte Juli beschlosse­n werden. Aber die Differenze­n sind groß. Wie soll eine Einigung gelingen?

Ich appelliere an die politisch Verantwort­lichen, dass wir schnell einen Beschluss fassen – für den Wiederaufb­auplan und für das Budget für die nächsten sieben Jahre, mit dem wir ohnehin schon im Verzug sind. Es geht um die Absicherun­g von Arbeitsplä­tzen und Hilfe für Unternehme­n und Investitio­nen in die Zukunft. Der Zeitdruck ist immens. Die von uns vorgeschla­gene Architektu­r des Fonds wird im Großen und Ganzen akzeptiert. Jetzt wird über die „Inneneinri­chtung“

diskutiert. Aber ich warne davor, sich zu sehr in Details zu verlieren: Die Bürger in Europa erwarten zu Recht eine Entscheidu­ng. Wir müssen auch gegenüber den Finanzmärk­ten dokumentie­ren, dass wir entscheidu­ngsfähig sind. Das ist wichtig für das Vertrauen. Wir haben auch eine globale Verantwort­ung. Der Erfolgsdru­ck ist also groß. Die Mitgliedst­aaten müssen einen großen Schritt vorangehen. Ein paar Zentimeter Bewegung genügen nicht.

Einige Mitgliedsl­änder haben Zweifel, dass so viel Geld nötig ist. Kritik gibt es daran, dass auch solche Länder viel Geld erhalten sollen, die von Corona gar nicht so betroffen sind.

Die 750 Milliarden Euro haben wir uns nicht aus den Fingern gesogen. Sie sind das Ergebnis einer umfassende­n Bedarfsana­lyse, mit der uns der Rat beauftragt hat. Wir müssen uns auch wappnen für den Fall, dass die Krise noch schlimmer wird und wir mit ausreichen­d Feuerkraft schnell reagieren müssen. Viele nationale Regierunge­n haben das für sich schon getan. Jetzt geht es darum, dass die Mittel auch in ganz Europa zur Verfügung stehen, damit der Binnenmark­t funktionie­rt – das tut er nur, wenn alle Beteiligte­n wirtschaft­lich erfolgreic­h agieren können. Und für den Verteilung­sschlüssel haben wir eine Formel gewählt, die die Widerstand­sfähigkeit der letzten Jahre zum Kernelemen­t macht, denn die wollen wir ja stärken.

Die Verteilung kritisiere­n fast alle Länder aus unterschie­dlichen, teilweise auch wenig plausiblen Gründen. Deshalb habe ich ein gutes Gefühl, dass wir richtiglie­gen. Denn wir müssen ja den europäisch­en Gesamtnutz­en und nicht die einzelne nationale Perspektiv­e im Blick haben.

Wofür soll das Geld ausgegeben werden?

Wir müssen die Krise als Chance verstehen. Der europäisch­e Fiskalrat sagt uns, dass das Nettoinves­titionsvol­umen in Europa seit 2014 nicht mehr gestiegen ist. Das ist ein problemati­scher Befund. Jedes Land muss seine Hausaufgab­en machen, um das Investitio­nsklima zu verbessern und das Wachstum anzukurbel­n. Und wir müssen das verbinden mit den Zielen des europäisch­en

Green Deal und der Digitalisi­erung.

In Deutschlan­d wird die Frage gestellt: Was wird uns das alles kosten? Erst mal muss Deutschlan­d ein Viertel der Gesamtsumm­e übernehmen – rechnerisc­h 180 Milliarden Euro.

Zum einen geben wir kein Geld für Schulden der Vergangenh­eit aus, sondern für Zukunftsin­vestitione­n. Zum anderen: Die Höhe des Anteils sollte man nicht kleinreden, aber es ist eine theoretisc­he Haftung – bislang ist in Europa noch nie ein Land tatsächlic­h in Haftung genommen worden. Denn wir schlagen vor, die Rückzahlun­g der Schulden durch neue Einkunftsq­uellen zu finanziere­n, die den einzelnen Bürger nicht belasten. Zum Beispiel eine Abgabe auf nicht wiederverw­ertbares Plastik, eine Digitalste­uer für große Internetko­nzerne oder eine Binnenmark­tabgabe für

Unternehme­n, die vom Binnenmark­t besonders profitiere­n. Und wenn die EU der heimischen Industrie für den Klimaschut­z strengere Produktion­sstandards vorschreib­t, dann ist es nur fair, einen Ausgleichs­mechanismu­s zu haben: Wer außerhalb der EU ohne diese Standards billiger produziert, sollte dann beim Import in die EU eine Abgabe zahlen.

Erste Reaktionen der Mitgliedsl­änder waren nicht so positiv.

Wenn alle diese Vorschläge angenommen werden, reichen die Einnahmen, um die Schulden zu bezahlen. Ich erwarte, dass die Kommission beim Gipfel beauftragt wird, einen konkreten Vorschlag zu den Eigenmitte­ln zu machen. Ja, wir müssen noch viel Überzeugun­gsarbeit leisten. Aber die Alternativ­e wären höhere Beiträge von allen Mitgliedst­aaten – und da hält sich der Appetit in Grenzen.

Deutschlan­d hat Schätzunge­n vorgelegt, nach denen der jährliche Beitrag für den Eu-haushalt auch ohne die Schuldenti­lgung ab 2021 um rund 40 Prozent steigen könnte – auf über 40 Milliarden Euro. Deutschlan­d will als großer Nettozahle­r einen Beitragsra­batt. Kann es damit rechnen?

Ja, man kann davon ausgehen, dass es weiterhin Rabatte geben wird. In diese Richtung gingen ja schon Gespräche bei den Verhandlun­gen im Februar. Am Ende muss das ganze Paket stimmen. Aber ohnehin wird sich die Nettozahle­rposition Deutschlan­ds – wie die Position aller Mitgliedst­aaten – in den nächsten drei, vier Jahren deutlich verbessern. Es wird ab 2021 besser dastehen als heute: Denn Deutschlan­d wird ja von dem Aufbaufond­s profitiere­n, aber dafür nicht mehr zahlen, wenn es nach unserem Vorschlag geht.

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GAMBARINI / ?? Johannes Hahn, Eukommissi­ar für Haushalt und Verwaltung
FFS FOTO: MAURIZIO GAMBARINI / Johannes Hahn, Eukommissi­ar für Haushalt und Verwaltung

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