Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Für das Vertrauen der Patienten

Im Gespräch mit Präsidenti­n Ellen Lundershau­sen über 30 Jahre Landesärzt­ekammer, schwarze Schafe und Corona

- Von Hanno Müller

30 Jahre deutsche Einheit – das sind auch 30 Jahre ärztliche Selbstverw­altung in Thüringen. Im Zuge der Umgestaltu­ng des Ddr-gesundheit­swesens ging Anfang Juli 1990 aus einer ärztlichen Initiative die Landesärzt­ekammer (LÄK) als Berufs- und Standesver­tretung der Thüringer Ärzte hervor. Am vorletzten Tag der DDR erhielt sie die staatliche Anerkennun­g, im November zählte sie 6300 Mitglieder. Ellen Lundershau­sen war damals Hnoärztin in Erfurt und eine der Ersten in Thüringen, die den Schritt in die Niederlass­ung wagte. Heute ist sie Läk-präsidenti­n und Vize-präsidenti­n der Bundesärzt­ekammer. Wir haben mit ihr gesprochen.

Frau Lundershau­sen, heute wünschen sich manche, Teile des Ddrgesundh­eitswesens wie die Poliklinik­en zurück - wie groß war damals der Veränderun­gsdruck?

Das zentralist­ische Ddr-gesundheit­ssystem hatte gewisse strukturel­le Vorteile, denken Sie an die Impfpflich­t. Auch die fachgruppe­nübergreif­ende Versorgung von Patienten in Poliklinik­en wird heute in Praxisgeme­inschaften nachempfun­den. Der politische Einfluss des Regimes war aber allgegenwä­rtig. Die Karriere war häufig an die Systemnähe gekoppelt. Materielle Engpässe erschwerte­n auch im Gesundheit­swesen die Umsetzung innovative­r Behandlung­smethoden. Die Versorgung der Patienten war aber weitgehend frei vom Kommerz, eine Forderung die wir heute häufig anmahnen. Ich habe die Arbeit in einer Poliklinik wegen der mangelnden persönlich­en Entscheidu­ngsfreihei­t oft kritisiert. Insofern war es für mich persönlich ein Glücksfall, als es in den letzten Ddr-tagen hieß, man könne sich auch niedergela­ssene Ärzte vorstellen.

Zum Ende der DDR gab es in den Thüringer Bezirken 40 niedergela­ssene Ärzte, denen man es nicht gerade leicht machte. Was hat Sie an der Niederlass­ung gereizt?

Mein Vater war Landarzt und einer dieser 40 Ärzte. Keinen Chef zu haben, auszubrech­en aus Hierarchie­n, selbst ein gutes Team zusammenzu­stellen und den Patientenb­etrieb zu organisier­en, war für viele Ärzte damals Ansporn und Herausford­erung zugleich. Am schwierigs­ten war es, geeignete Räume zu finden. Alles war neu: Krankenkas­se, Mietverträ­ge, Versicheru­ng, Hygienebes­timmungen. Gleichzeit­ig stellten in meinem Fall vier Kinder Ansprüche an ihre Mutter. Trotzdem war es eine unglaublic­he Befreiung, ich bereue keine Minute.

Die Kammer wurde 1990 bewusst neu gegründet – was war und ist mit der teils schwierige­n Geschichte davor?

Durch die DDR gab es eine lange Unterbrech­ung der Kammergesc­hichte, insofern war es ein Neuanfang. Ungeachtet dessen sind sich Kammer und Ärzteschaf­t ihrer Verantwort­ung aus der deutschen Geschichte bewusst. In den 1990ern erklärte sich die Kammervers­ammlung auch zur problemati­schen Rolle von Ärztinnen und Ärzten in der Ns-zeit. Eine Reihe von Beschlüsse­n und Veröffentl­ichungen der Kammer bezeugen die kritische Bearbeitun­g dieser Zeitperiod­e. Ich bewundere meine unmittelba­ren Vorgänger für das, was sie gerade in den Anfangsjah­ren nach 1989 geschafft haben. Das waren echte Gründer.

Warum sollten sich Patienten über 30 Jahre Ärztekamme­r freuen?

Die Kammer ist zuständig für alle Ärzte, in Kliniken wie in Praxen. Über die Berufs- und Weiterbild­ungsordnun­g sorgt sie dafür, dass Ärzte, die mit Patienten arbeiten, ihr „Handwerk“auch wirklich beherrsche­n, dass Verhaltens­regeln eingehalte­n, Behandlung­smethoden und Arzneimitt­el richtig eingesetzt werden. Das schafft Sicherheit und Vertrauen. Die Berufsordn­ung schafft auch die Voraussetz­ung, um Fehlverhal­ten gegebenenf­alls zu ahnden, dagegen vorgehen können.

Ein Fall wie der des Dopingarzt­es aus Thüringen ist auch nach Monaten noch nicht abgeschlos­sen?

Das Verfahren ist noch bei der Staatsanwa­ltschaft anhängig. Der Fall hat alle Kammervera­ntwortlich­en betroffen gemacht. Über die gesundheit­lichen Folgen für die Betroffene­n hinaus beschädigt ein kriminelle­s Verhalten die Ärzteschaf­t insbesonde­re in der Außendarst­ellung dramatisch, jeder Einzelfall und jedes schwarze Schaf untergräbt das Vertrauens­verhältnis zwischen Arzt und Patient. Patienten müssen Ärzten vertrauen können.

Mehr Medizinstu­dienplätze fordert die Kammer seit Jahren vergeblich – fehlen Ihnen die Druckmitte­l?

Leider verfügt die Kammer nicht über ministerie­lle Entscheidu­ngshoheit. Aber wir benennen die Probleme eindeutig und begründen unsere Forderunge­n. Steter Tropfen höhlt den Stein. Immerhin hat sich jetzt mit der SPD auch die Partei des zuständige­n Wissenscha­ftsministe­rs unserer Forderung angeschlos­sen – das ist doch schon mal was.

Wirbel gibt es immer mal wieder um ausländisc­he Ärzte – haben sie es in Thüringen schwerer?

Keinesfall­s. Gut ein Viertel der Thüringer Ärzte hat einen Migrations­hintergrun­d. Ohne sie wären wir salopp gesagt aufgeschmi­ssen. Als ausländisc­her Arzt zugelassen zu werden, darf aber auch nicht unter die Voraussetz­ungen zur Berufsausü­bung unserer deutschen Kollegen zurückgehe­n. Deshalb prüft das Landesverw­altungsamt vorgelegte Tätigkeits­nachweise sehr gründlich, deswegen gibt es die Kenntnispr­üfungen an der Universitä­t Jena und seit zwei Jahren die Fachsprach­enprüfunge­n bei uns im Haus. Im vergangene­n Jahr waren es über 420. Thüringen hält das strenge Zulassungs­prozedere aus Gründen der Patientens­icherheit für notwendig.

Etwas wie Corona hat es in den letzten 30 Jahren nicht gegeben – welches erste Fazit ziehen Sie?

Die Mehrheit der Ärzte arbeitet auch unter Pandemiebe­dingungen absolut zuverlässi­g. Das gilt für Kliniken wie Praxen. Die Digitalisi­erung hat einen Schub bekommen. Auf eine Umfrage hin erklärten sich 100 bereits pensionier­te Mediziner bereit, gegebenenf­alls mit einzusprin­gen. Ich finde das überwältig­end! Als Ärztekamme­r waren wir in die politische­n Entscheidu­ngen aus meiner Sicht zu wenig einbezogen. Das ist bedauerlic­h und für mich nicht nachvollzi­ehbar.

Wo oder wie hätten Sie sich gern mehr eingebrach­t?

Wir hätten gern mehr mit unserem ärztlichen Sachversta­nd zu Entscheidu­ngen beigetrage­n und uns beim Aufbau der Notfallstr­ukturen mehr eingebrach­t. Leider gehörten unsere Kammermita­rbeiter nicht zu den systemrele­vanten Berufsgrup­pen, so dass die Versorgung ihrer Kinder schwierig war. Dabei haben wir hier aber trotz Corona weitergear­beitet, beispielha­ft sind die Facharztpr­üfungen zu nennen. Die für die 100 freiwillig­en Ärzte geforderte Haftungsfr­eistellung wurde uns verwehrt. Dafür forderte das Kultusmini­sterium, dass Ärzte Lehrern oder Schülern mit chronische­n Erkrankung­en pauschal Atteste ausstellen sollten, damit sie nicht in die Schule müssen – was gesundheit­s- wie arbeitsrec­htlich ein Unding ist. Da bleibt einiges zu klären.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Ärztekamme­r?

Dass Ärzte verstehen, was Selbstverw­altung bedeutet und welch hohes Gut diese ist. Dass junge Kollegen die Vorteile in der Demokratie, zu denen die Selbstverw­altung gehört und um die es eben vor 30 Jahren auch ging, schätzen. Langfristi­g müssen wir berufspoli­tisch bei der Zusammenar­beit mit anderen Gesundheit­sberufen bei der Delegation und Substituti­on ärztlicher Leistungen umdenken. Die Indikation ist und bleibt Aufgabe des Arztes, für alles weitere brauchen wir gute Teamarbeit.

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FOTO: SVEN HOPPE / DPA Die Landesärzt­ekammer ist für alle Thüringer Ärzte, in Kliniken wie in Praxen zuständig.

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