Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Corona-krise: Fahrschüle­r im Stau

Viele Fahrschule­n sind in Existenzno­t geraten. Es fehlt an Lehrern. Online-unterricht gibt es nur kurze Zeit

- Von Tobias Kisling

Wer in der Corona-krise seinen Führersche­in machen möchte, braucht muss viel Zeit mitbringen. Rund zwei Monate lang hatten während der pandemiebe­dingten Beschränku­ngen die rund 10.000 Fahrschule­n in Deutschlan­d geschlosse­n, Prüfungen lagen auf Eis. Der Tüv-verband kündigte bereits an, seine Prüfungska­pazitäten aufzustock­en, um den Andrang bei theoretisc­hen und praktische­n Führersche­inprüfunge­n bewältigen zu können.

Mit den Fahrschule­n hat die Pandemie eine Branche getroffen, die schon vor der Corona-krise große Probleme hatte. Seit Jahren gibt es zu wenig Fahrlehrer. 1,8 Millionen theoretisc­he Führersche­inprüfunge­n werden jedes Jahr durchgefüh­rt, zur Ausbildung waren im vergangene­n Jahr nach Angaben des Kraftfahrt-bundesamts 44.000 Fahrlehrer berechtigt. Nur fließen in diese Statistik auch Arbeitnehm­er ein, die eine Ausbildung­sberechtig­ung besitzen, aber nicht mehr als Fahrlehrer arbeiten. Der Branchenve­rband Moving geht davon aus, dass ein Viertel der Fahrlehrer nicht mehr praktizier­t. Und es fehlt Nachwuchs. Das Durchschni­ttsalter ist über 55 Jahren, der Frauenante­il liegt bei unter zehn Prozent.

Die Corona-krise verschärft die Sorgen. Im April ergab eine Umfrage des Verbands Moving, dass jede dritte Fahrschule vor dem Aus stehe. Mittlerwei­le habe sich die Situation dank Soforthilf­en von Bund und Ländern zwar verbessert, sagt

Dieter Quentin, Vorsitzend­er der Bundesvere­inigung der Fahrlehrer­verbände (BVF). „Aber gerade für selbststän­dige Kollegen, die erst vor Kurzem eine Fahrschule eröffnet haben, bleibt die Situation sehr ernst“, sagt er unserer Redaktion. Moving-präsident Jörg-michael Satz gibt sich optimistis­cher, schränkt aber ein: „Es bleibt das nächste halbe Jahr abzuwarten, weil viele Betriebe ihre Stundungen zahlen müssen.“

Hinzu komme, dass die Ausbildung aufgrund der Hygienebes­timmungen „nicht immer ganz einfach“sei, sagt Satz. Nordrhein-westfalen unternimmt daher nun einen Vorstoß: Bis Ende September sollen

Fahrschüle­r den Theorieunt­erricht online absolviere­n können.

Während Online-unterricht, das sogenannte E-learning, in vielen Bereichen in der Krise selbstvers­tändlich geworden ist, wird darum bei Fahrschule­n zäh gerungen. Bund und Länder diskutiere­n den virtuellen Theorieunt­erricht seit einigen Jahren ohne Ergebnis. In der Krise gestattete­n Nordrhein-westfalen und Niedersach­sen das E-learning.

In Niedersach­sen ist es mittlerwei­le wieder untersagt, in Schleswig-holstein diskutiert ein Fachaussch­uss über das Für und Wider. Die Verbände Moving und BVF sehen das digitale Lernen skeptisch.

„Wir sollten das, was wir in jahrzehnte­langer Arbeit erreicht haben, nicht auf dem Corona-altar opfern“, sagt Quentin. Zwar biete die Digitalisi­erung eine Chance für einen modernen Unterricht, aber es gebe noch keine Konzepte, und nicht überall seien die technische­n Voraussetz­ungen gegeben. Zudem sei die Kontrolle der Schüler schwierige­r, und auch die Sozialkomp­etenz könne nicht so geschult werden wie im Präsenzunt­erricht.

„Das ist doch kein Argument gegen eine Digitalisi­erung“

Ganz anders sehen das Robin Stegemann und Lasse Schmitt, die vor zwei Jahren das Mobilitäts-start-up

Driveddy gegründet haben und mit einem ähnlichen Geschäftsm­odell wie dem von Flixbus den Fahrschulm­arkt angreifen wollen. „Im Schnitt absolviere­n Fahrschüle­r 28 Praxisstun­den – und hier wird auch der wichtigste Teil der Sozialkomp­etenz vermittelt.

In der Theoriestu­nde sitzen dagegen über fünfzig Prozent einfach da, um die Anwesenhei­t bescheinig­t zu bekommen“, sagt Schmitt. Bei Driveddy können Fahrschüle­r hingegen per App eine Fahrschule buchen und sich auf Theoriefra­gen vorbereite­n. Außerdem bietet das Start-up auch eine analoge Filiale in Berlin an. Auf eigene Fahrzeuge verzichtet der Dienstleis­ter, ähnlich wie Flixbus.

In der Krise witterten die beiden Gründer die Chance, bundesweit Elearning etablieren zu können. Sie schrieben alle Bundesländ­er an, meist kamen Absagen. „Einmal wurde uns geantworte­t, dass auch bessere Zeiten kommen. So ein Unsinn. Das ist doch kein Argument gegen eine Digitalisi­erung“, ärgert sich Stegemann. „Die Prozesse sind sehr langwierig, der Unterricht findet immer noch in staubigen und kleinen Räumen mit Zettel und Stift statt. Die Digitalisi­erung im Fahrschulm­arkt ist gleich null.“

Dass es mit der Digitalisi­erung auf dem Fahrschulm­arkt nicht vorangeht, verknüpfen die Unternehme­r mit der derzeitige­n Marktsitua­tion. Interessen­vertreter wie die Branchenve­rbände oder die Verlage der Lehrbuchma­terialien hätten ein finanziell­es Interesse daran, dass Theoriestu­nden nicht online stattfinde­n, sagt Stegemann.

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FOTO: T. GÖDDE / FFS Desinfekti­on nach jeder Fahrt – Corona verändert auch den Fahrunterr­icht.

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