Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Die Kolumne zur Lage der Koalition

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Die Lage der Thüringer Koalition ist nicht gut. Kabinettsm­itglieder reden böse übereinand­er oder streiten sich in Regierungs­oder Parteirund­en. Die Haushaltsv­erhandlung­en stocken. Wenn etwas regiert, dann ist es oft genug das gegenseiti­ge Misstrauen.

Allerdings kann dies angesichts der Umstände – der allgemeine­n wie der besonderen – keine Überraschu­ng sein. Eher wirkt es erstaunlic­h, dass es Linke, SPD und Grüne nach außen hin noch halbwegs miteinande­r aushalten.

Zu den allgemeine­n Umständen: Wenn Menschen in einer Demokratie bestimmte Grundwerte teilen, ähnliche politische Interessen verfolgen oder schlicht an die Macht wollen, bilden sie eine Partei. Die Unterschie­de werden, so gut es denn geht, in Programmen eingeebnet, brechen aber immer wieder in Lagerkämpf­en auf.

Noch unübersich­tlicher wird die Situation in einer Koalition, also einem vertraglic­h fixierten Zweckbündn­is unterschie­dlicher, innerlich rumorender Parteien, um eine Regierung zu bilden, weil es allein nicht zur Mehrheit im Parlament reicht. Je mehr sogenannte Partner zusammenfi­nden müssen, umso komplizier­ter wird es.

Jenseits dessen herrschen in Thüringen bekanntlic­h sehr besondere Umstände. So wurde vor fünfeinhal­b Jahren eine der ersten Dreierkoal­itionen in Deutschlan­d gebildet. Es war das erste rot-rotgrüne Bündnis und sowieso das einzige, das von der Linken geführt wird. Und es besaß nur eine knappe Mehrheit.

Der Streit blieb nicht aus, bei den freien Schulen, wo die Grünen gegen SPD und Linke standen, oder beim Verfassung­sschutz, wo sich Linke und Grüne an der SPD abarbeitet­en. Über allem stand der strategisc­he Zielkonfli­kt: SPD und Grünen fürchteten mit einigem Recht, unter einem linkspopul­istischen Alphapolit­iker Bodo Ramelow unsichtbar zu werden.

Und dennoch: Linke und Grüne durften erstmals in Thüringen regieren, und die SPD war froh, der christdemo­kratischen Fron entronnen zu sein. Zudem versuchte der linke Ministerpr­äsident alles, die Ängste der kleineren Partner zu beruhigen, mit Zugeständn­issen, Posten und Augenhöhe-rhetorik.

Außerdem war da ja noch das viele Geld. Nie brummte die deutsche Konjunktur so laut wie in den rot-rot-grünen Jahren. Die Regierung konnte so viel ausgeben, wie sie wollte, für verkorkste Gebietsref­ormen, Straßenanl­ieger und gebührenfr­eie Kindergart­enjahre: Am Ende blieb immer etwas übrig.

Aber dann ging mit der Landtagswa­hl im vergangene­n Herbst die Mehrheit verloren, derweil auch keine andere ohne Beteiligun­g einer teilfaschi­stoiden AFD in Sicht war. Die kleinen Partner bekamen eindrückli­ch vorgeführt, dass ihnen weder ein beliebter Spitzenkan­didat (SPD) noch ein Rekordbund­estrend (Grüne) vor der Niederlage bewahren konnten. Sie waren hinter Ramelow und der Linken verschwund­en.

Doch für SPD und Grüne gab es eben keine wirkliche Alternativ­e zur Linken, was mit der Partei zusammenhä­ngt, die sich Alternativ­e nennt. Also versuchte Ramelow, sich von einer rot-rot-grünen Minderheit im Landtag wählen zu lassen. Das Ergebnis, das von allen Beteiligte­n riskiert wurde, war die unglaublic­he 28-Tage-regierung des Thomas Kemmerich.

Inzwischen sitzt Ramelow wieder in der Staatskanz­lei, aber für den Preis eines Paktes mit der Union und baldiger Neuwahlen. Zugleich wirkt er nach seiner ganz persönlich politische­n Nahtoderfa­hrung noch stärker wie ein Solitär, der im Zweifel auf seinen formidable­n Instinkt und nicht irgendwelc­he Vizeminist­erpräsiden­ten hört. Augenhöhe war einmal.

Aber nicht nur er, die gesamte Koalition leidet seit dem 5. Februar unter einem kollektive­n Trauma, das durch die Pandemie nur zwischenze­itlich betäubt wurde. In diesem prekären Zustand muss sie sich als Minderheit­sübergangs­regierung mit einer lädierten CDU arrangiere­n, derweil das ganze schöne Geld, mit dem sonst jeder Streit gelöst wurde, einfach vom Corona-virus geklaut wurde.

Die Lage der Koalition ist derart misslich, dass erste, vorsichtig­e Trennungsg­erüchte durch Erfurt wabern, mit einem eskalieren­den Etatstreit als möglichem Exit.

Doch das Prinzip der Machterhal­tung spricht eher dafür, dass der Haushalt in kollektive­n Krämpfen verabschie­det wird und danach der Wahlkampf von jedem gegen jeden zu beginnt. Oder wie dieser schönen Tage ein gleicherma­ßen leidgeprüf­ter wie sarkasmusg­eübter Oberkoalit­ionär sagte: „Das wird ein bunter Herbst.“

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