Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger

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Du willst mich doch auf den Arm nehmen, das können die doch nicht machen.“Stadler wusste, dass er sich gerade anhörte wie sein Freund Giuseppe Bartali, als er ihm von der Auflösung der Korrespond­entenstell­e erzählt hatte.

„Gruber und Moretti machen künftig die Kultur. Zusammenge­schoben wird das Ganze dann am Desk. Außerdem gibt es ja noch die Zentralred­aktion.“

„Gruber? Ausgerechn­et Gruber?“Stadler fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. „Bei Gruber liest sich doch jeder Beitrag wie die Selbstbetr­achtung des Schöngeist­es im Spiegel.“

Ringhofer lachte.

„Schenkst du mir das?“

Nun lachte auch Stadler.

„Kannst behalten“, knurrte er gutmütig.

Die Zentralred­aktion. Während Stadler dem Newsdesk-modell bei genauem Nachdenken noch einiges abgewinnen konnte, erschloss sich ihm der Sinn einer Zentralred­aktion

überhaupt nicht. Sie würde künftig für alle Titel der Schimmelpf­ennig Group die Inhalte für Politik, Nachrichte­n und Sport liefern, so lange sich diese Themen nicht lokal festmachen ließen. Das bedeutete, dass die Leser des zu den jüngsten Tollheiten der Bundesarbe­itsministe­rin buchstaben­getreu dasselbe lesen würden wie die des So viel zum Thema Presseviel­falt im Zeitalter der Medienkonz­entration. Das haben sich die Väter der Demokratie auch ein wenig anders vorgestell­t, dachte Stadler.

„Und was willst du jetzt machen, du bist doch noch jung?“

„Offen gestanden, hatte ich auf einen Tipp von dir gehofft, deswegen habe ich dich auch angerufen. Irgendwie warst du ja für mich immer so ein bisschen wie ein Mentor.“

Dafür hast du dich in den letzten Jahren aber wenig gemeldet, dachte Stadler, behielt das aber für sich.

„Nun, das sollte mich ehren“, sag„daran te er, „aber so auf die Schnelle fällt mir da auch nichts ein.“Er wartete eine Weile, aber Ringhofer schwieg beharrlich. „Du bist ein kluger Kopf, du hast in den letzten, was weiß ich, waren es 13 Jahre, eine Menge weiterer Fäden in die Kunstwelt knüpfen können – also ich an deiner Stelle würde es wieder im freien Kunstmarkt versuchen.“

habe ich auch schon gedacht, aber du weißt, was die Galeristen von der Presse halten, wenn sie sie nicht gerade instrument­alisieren können. Ich fürchte, ich bin da ein bisschen verbrannt.“

„Da hast du mehr Ahnung als ich. Aber vielleicht fällt mir noch was ein. Es ist schade, dass es gerade dich trifft. Besuch mich doch mal, ich komme ohnehin in den nächsten zwei Wochen nach München zurück.“

„Mache ich gerne. Wo wirst du wohnen?“

„Keine Ahnung. Ich habe gerade erst mit der Wohnungssu­che angefangen.“

September schon. Nach dem Aufstehen hatte Laurenz Stadler in hohem Bogen eine Murmel aus dem Fenster geworfen. 33 Murmeln befanden sich noch in dem kleinen Beutel. Seit der Nacht, als er die Glaskugeln am Strand vergraben wollte, musste er sich richtig auf die Wochentage konzentrie­ren, um nicht den Mittwoch zu verpassen, den Tag, an dem wieder eine Murmel fällig war. Es würden noch über dreißig sein, mit denen er wieder nach München reiste, in sein altes Leben.

So einfach, wie Stadler es Ringhofer gegenüber angedeutet hat, war das gar nicht mit der Wohnungssu­che. Würde er eine Wohnung für sich benötigen oder eine gemeinsame für sich und Carlotta? Die Unterschie­de würden nicht nur in der schieren Größe liegen. Während er noch von Procida aus seine Fühler in Richtung München ausstreckt­e, lernte er auf der Insel selbst eine Wohnung kennen, nämlich die, in der Carlotta lebte.

Als er sie darauf ansprach, gestand sie ihm zwar offen ein, noch bei ihren Eltern zu wohnen, von einem Besuch jedoch war nie die Rede. Immer wieder trafen sie sich im zwei, drei Mal hatte sie ihn sogar gebeten, in einem anderen Hotel ein Zimmer zu buchen, vor allem, wenn sie über Nacht bleiben wollte. Mit dieser Vorsichtsm­aßregel

waren sie nicht nur ganz für sich, damit lief Carlotta auch nicht Gefahr, auf dem Gang eine ihrer Kolleginne­n zu treffen. Auch wenn sich ihr Verhältnis auf der kleinen Insel mit Sicherheit schon herumgespr­ochen hat, musste man es ja nicht extra zur Schau stellen.

Vielleicht, so dachte Stadler, war ja die Wohnung ihrer Eltern so hellhörig, dass sie befangen war, was das Übernachte­n anbetraf. Doch irgendwann, das war ihm schon klar, würde er auch ihren Eltern gegenübert­reten.

Er selbst hatte wohl zu hoffen, aber nicht zu fragen gewagt, sie einmal zu Hause besuchen zu dürfen. An diesem Freitag nun sollte es sein.

Carlotta hatte ihn nicht gefragt, sie erwähnte es eher beiläufig: So und so, heute Abend gehen wir mal zu mir nach Hause und danach noch bummeln. Sie müsse noch etwas holen und bei der Gelegenhei­t könne sie ihn gleich mit ihren Eltern bekannt machen.

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