Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

„Der Preis ist irre hoch“

Die frühere Sprinterin vom SC Motor Jena und Schriftste­llerin Ines Geipel engagierte sich nach dem Mauerfall für die Dopingopfe­r. Heute wird sie 60

- Von Andreas Schirmer

30 Jahre Diktatur, 30 Jahre Freiheit: Für Ines Geipel sind es zwei Leben, die sie bisher gelebt hat. „Und ich habe immer auch ein bisschen das Gefühl: Ach, es fängt doch gerade erst an“, sagte die gebürtige Dresdeneri­n, die heute ihren 60. Geburtstag feiert.

In der DDR war sie Sprinterin beim SC Motor Jena. Mit „einem mulmigen Gefühl“. „Wo sind wir hier eigentlich, das hat Spitzenath­leten begleitet. Aktives Wissen gab es keines“, sagt Geipel.

Bei aller Diskussion über den Ddr-sport habe man noch immer „die blaue Pille“im Kopf. Das ist ein sehr reduzierte­s und falsches Bild.

„Es geht ja um die Frage, woran der Ddr-sport angekoppel­t war. Und da sprechen wir von Medizinfor­schung, Militärfor­schung, Staatsgehe­imnis“, erklärte Geipel.

Als 1984 ihre Pläne, aus der DDR zu fliehen, der Staatssich­erheit bekannt wurden, wurde sie zur Verräterin, die aus dem Verkehr gezogen wurde. Bis ihr 1989 über Ungarn die Flucht gelang, durchlebte sie eine Zeit der Schikane. Sie durfte das Studium nicht beenden, die Promotion entzog man ihr. „Ich hätte noch Friedhofsg­ärtnerin oder Verkäuferi­n werden können“, so Geipel. „Das kann man machen, aber ich wollte mehr von meinem Leben.“

Die Freiheit im Westen nach dem Mauerfall nutzte sie, um „ihr eigenes Ding“zu machen: Eine Karriere zu machen – als Schriftste­llerin und Professori­n für deutsche Verssprach­e an der Hochschule für Schauspiel­kunst „Ernst Busch“Berlin. Zugleich ließen sie ihre Vergangenh­eit und die vielen zwangsgedo­pten Athleten nicht los. Deshalb übernahm sie von 2013 bis 2018 den Vorsitz des Vereins Doping-opferhilfe. „Wozu Freiheit, wenn man am Ende nichts daraus macht“, meinte Geipel. Sie habe es als Luxus empfunden, mit der eigenen Stimme ein bisschen was anstoßen zu können, mitzutun, damit etwas wieder in Ordnung kommt, „damit den Kaputtgema­chten geholfen“werde.

Im Jahr 2000 gehörte sie zu den 19 Nebenkläge­rinnen im Prozess gegen die Drahtziehe­r des Staatsdopi­ngs in der DDR. Danach kämpfte sie dafür, dass die Opfer vom Bund entschädig­t werden. Beim ersten Entschädig­ungsgesetz waren es 200

Geschädigt­e. Beim zweiten Gesetz an die 1500. „Chemiekörp­er implodiere­n enorm zeitverzög­ert. Die Bilanz wird erst jetzt sichtbar, und die ist sehr bitter. Der Preis für die Athleten ist irre hoch“, so Geipel. „Ohne Ines Geipel hätte es das zweite Gesetz nicht gegeben“, sagte Michael Lehner, ihr Nachfolger im Amt der Doping-opfer-hilfe.

Um die Interessen der Opfer durchzuset­zen, war ihr Provokatio­n nicht fremd. „Die Geschichte der Sportopfer war für mich ein politische­s Projekt. Wenn ich scharf war, hatte das eine Funktion“, erklärte Geipel. „Insofern wäre es absurd gewesen, wenn ich da immer als sanfte Teddyvaria­nte aufgetrete­n wäre.“Auch wenn sie sich aus diesem Engagement zurückgezo­gen hat, ist sie weiter mit dem Herz dabei und kritisiert das fehlende Interesse an weiterer Aufklärung des Sportbetru­gs in der DDR und die Folgen.

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FOTO: DPA Ines Geipel, ehemalige Vorsitzend­e des Doping-opfer-hilfeverei­ns.

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