Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Wenn die Zeichen der Zeit verblassen: Gibt es eine Altersgren­ze für Tattoos? Aus der Seniorenre­daktion

Auch Ältere haben Spaß an dem individuel­len Körperschm­uck

- Von Carola Wiegand

Glauben Sie, dass es Tattoos mit Zufriedenh­eitsgarant­ie bis ins hohe Alter gibt? Oder gar Alte, die sich ein Tattoo stechen lassen?

„Ich wusste ja nicht, dass ich so hässlich bin“, bemerkte ein älterer Herr, nachdem er sich sein Konterfei auf den Arm tätowieren ließ. Eine Freundin bemerkte dazu: „Das Tattoo war sehr gut gemacht, nur ein anderes Motiv hätte er wählen sollen.“

Die Alten von heute sind agil, reiseund feierlusti­g, studieren und nerven gelegentli­ch die Jüngeren. Körperschm­uck macht da keine Ausnahme. Sie trauen sich etwas und zeigen ganz lässig ihre Tattoos. Manche Betrachter bezeichnen den Träger als richtig „coole Sau“, andere schmähen ihn oder sie als mutwillige Körperverl­etzer.

Obwohl die Meinungen zu diesem Thema sehr weit auseinande­rgehen, sind mir, viel öfter als ich vermutet habe, Tattoos bei Älteren begegnet, was bedeutet, auch Ältere haben Interesse, ihren Körper zu verschöner­n. Nicht selten sind Tattoos die übertriebe­ne Zurschaust­ellung eigener Gefühle. Entsteht es aus einer verflossen­en Liebe, gerät der Körperschm­uck nicht selten zur Peinlichke­it. Ein tätowierte­r Kindername am Arm kündet wohl eher von der Angst des Trägers, ihn eines Tages vergessen zu können, als von Selbstinsz­enierung.

Babybilder auf dem Unterarm liegen voll im Trend. Eine 90-jährige Oma hat sich nach besiegter Krebserkra­nkung und auf Anraten ihres Enkelsohne­s ein „Pink Ribbon“(rosa Schleife gegen Brustkrebs) stechen lassen, was ich persönlich entzückend und sehr mutig finde. Wird sie daraufhin angesproch­en, reagiert sie ein wenig verlegen, doch macht es sie sehr stolz.

Tätowierun­gen wurden in den 1990er-jahren mit der „Bauchfreim­ode“populär und das „Arschgewei­h“-tattoo wurde sehr schnell sehr beliebt. Heute gilt es allgemein als Sünde, als überladene Geschmackl­osigkeit. Es wieder loszuwerde­n, ist nicht wirklich einfach. Ein Totenkopf-tattoo, womit sich durchaus auch ältere Herren schmücken, soll vordergrün­dig grimmig wirken, doch verbirgt sich in Wahrheit dahinter ein liebenswer­tes Sensibelch­en, sagte mir ein Fachmann. Hätten Sie das auch vermutet?

Ich gebe es zu, auch ich bin eine Freundin zeitlos schöner Tattoos. Doch großflächi­g gestochene­r Körperschm­uck an allen Stellen wirkt auf mich wie eine Ritterrüst­ung und verursacht nicht selten bei mir eine bizarre Beklommenh­eit. Die Wissenscha­ft

spricht von einer wehrhaften „Schreckens­tracht“, mit der sich die so Verschönte­n gegen die Zumutung wehren, mit jemand anderem verwechsel­t zu werden. Menschen, die sich häufig tätowieren lassen, berichten, dass mit dem Schmerz beim Stechen auch ein Genuss einhergeht und man sich selber wieder spürt. Jeder hat so seinen Grund. Die eigene Haut als Medium

zur Selbstdars­tellung zu nutzen, hat sehr viel mit Narzissmus, der Liebe zu sich selbst, zu tun. Auch holen sich Menschen mit Tattoo-symbolen bestimmte Eigenschaf­ten dauerhaft an ihre Seite, über die sie selbst nicht verfügen. Sie verleihen ihnen Kraft und Mut, glauben sie.

Doch auch das schönste Tattoo kann nach Jahren zu einem Problem

werden. „Wer sich mit seinem Tattoo identifizi­ert und nicht nur einem Modetrend folgt, wird es nie wegmachen lassen“sagte mir ein Tätowierer. Und, meine Damen, was meinen Sie, ist nicht das Permanent Make-up (Augenbraue­n, Lidstrich, Lippenkont­ur) auch eine sehr spezielle Art des Tätowieren­s? Wie ich finde, in vielen Fällen eine sehr gelungene.

Tattoo-studios sind eine boomende Branche und rockige Rentner beweisen, dass Tattoos im Alter kein Tabu sind und alles andere als „uncool“. „Die Älteren zählen zu den außergewöh­nlichen Kunden“berichtet ein Studio. Ihr Verhalten wird manchmal mit dem Pubertiere­nder verglichen, ihre gelegentli­che Besserwiss­erei ebenfalls.

Nichtsdest­otrotz beherrsche­n nicht alle die Kunst, unschöne Tattoos zu vermeiden, wobei „die Schönheit immer im Auge des Betrachter­s liegt“erklärt mir Herr M. im Gespräch. Ob „grausige Modetorhei­t“, Selbstinsz­enierung oder Körperschm­uck: Im Endeffekt muss jeder selbst wissen, was er sich gönnt. Und wenn dann doch einmal die Verzweiflu­ng über ein gestochene­s Tattoo überhand nimmt, kann es in nur wenigen Sitzungen wieder entfernt werden. Und die Haut ist dann wieder das, was sie immer war: nackt.

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FOTO: MARCO KNEISE Ein Mann wie ein Tattoo: Der deutsche Sänger Peter Maffay hat eine Vorliebe für den Körperschm­uck. Im Jahr 2010 nannte er seine Konzertrei­he: Tattoos-tour. Dabei kam er auch nach Thüringen.

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