Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Wenn die Zeichen der Zeit verblassen: Gibt es eine Altersgrenze für Tattoos? Aus der Seniorenredaktion
Auch Ältere haben Spaß an dem individuellen Körperschmuck
Glauben Sie, dass es Tattoos mit Zufriedenheitsgarantie bis ins hohe Alter gibt? Oder gar Alte, die sich ein Tattoo stechen lassen?
„Ich wusste ja nicht, dass ich so hässlich bin“, bemerkte ein älterer Herr, nachdem er sich sein Konterfei auf den Arm tätowieren ließ. Eine Freundin bemerkte dazu: „Das Tattoo war sehr gut gemacht, nur ein anderes Motiv hätte er wählen sollen.“
Die Alten von heute sind agil, reiseund feierlustig, studieren und nerven gelegentlich die Jüngeren. Körperschmuck macht da keine Ausnahme. Sie trauen sich etwas und zeigen ganz lässig ihre Tattoos. Manche Betrachter bezeichnen den Träger als richtig „coole Sau“, andere schmähen ihn oder sie als mutwillige Körperverletzer.
Obwohl die Meinungen zu diesem Thema sehr weit auseinandergehen, sind mir, viel öfter als ich vermutet habe, Tattoos bei Älteren begegnet, was bedeutet, auch Ältere haben Interesse, ihren Körper zu verschönern. Nicht selten sind Tattoos die übertriebene Zurschaustellung eigener Gefühle. Entsteht es aus einer verflossenen Liebe, gerät der Körperschmuck nicht selten zur Peinlichkeit. Ein tätowierter Kindername am Arm kündet wohl eher von der Angst des Trägers, ihn eines Tages vergessen zu können, als von Selbstinszenierung.
Babybilder auf dem Unterarm liegen voll im Trend. Eine 90-jährige Oma hat sich nach besiegter Krebserkrankung und auf Anraten ihres Enkelsohnes ein „Pink Ribbon“(rosa Schleife gegen Brustkrebs) stechen lassen, was ich persönlich entzückend und sehr mutig finde. Wird sie daraufhin angesprochen, reagiert sie ein wenig verlegen, doch macht es sie sehr stolz.
Tätowierungen wurden in den 1990er-jahren mit der „Bauchfreimode“populär und das „Arschgeweih“-tattoo wurde sehr schnell sehr beliebt. Heute gilt es allgemein als Sünde, als überladene Geschmacklosigkeit. Es wieder loszuwerden, ist nicht wirklich einfach. Ein Totenkopf-tattoo, womit sich durchaus auch ältere Herren schmücken, soll vordergründig grimmig wirken, doch verbirgt sich in Wahrheit dahinter ein liebenswertes Sensibelchen, sagte mir ein Fachmann. Hätten Sie das auch vermutet?
Ich gebe es zu, auch ich bin eine Freundin zeitlos schöner Tattoos. Doch großflächig gestochener Körperschmuck an allen Stellen wirkt auf mich wie eine Ritterrüstung und verursacht nicht selten bei mir eine bizarre Beklommenheit. Die Wissenschaft
spricht von einer wehrhaften „Schreckenstracht“, mit der sich die so Verschönten gegen die Zumutung wehren, mit jemand anderem verwechselt zu werden. Menschen, die sich häufig tätowieren lassen, berichten, dass mit dem Schmerz beim Stechen auch ein Genuss einhergeht und man sich selber wieder spürt. Jeder hat so seinen Grund. Die eigene Haut als Medium
zur Selbstdarstellung zu nutzen, hat sehr viel mit Narzissmus, der Liebe zu sich selbst, zu tun. Auch holen sich Menschen mit Tattoo-symbolen bestimmte Eigenschaften dauerhaft an ihre Seite, über die sie selbst nicht verfügen. Sie verleihen ihnen Kraft und Mut, glauben sie.
Doch auch das schönste Tattoo kann nach Jahren zu einem Problem
werden. „Wer sich mit seinem Tattoo identifiziert und nicht nur einem Modetrend folgt, wird es nie wegmachen lassen“sagte mir ein Tätowierer. Und, meine Damen, was meinen Sie, ist nicht das Permanent Make-up (Augenbrauen, Lidstrich, Lippenkontur) auch eine sehr spezielle Art des Tätowierens? Wie ich finde, in vielen Fällen eine sehr gelungene.
Tattoo-studios sind eine boomende Branche und rockige Rentner beweisen, dass Tattoos im Alter kein Tabu sind und alles andere als „uncool“. „Die Älteren zählen zu den außergewöhnlichen Kunden“berichtet ein Studio. Ihr Verhalten wird manchmal mit dem Pubertierender verglichen, ihre gelegentliche Besserwisserei ebenfalls.
Nichtsdestotrotz beherrschen nicht alle die Kunst, unschöne Tattoos zu vermeiden, wobei „die Schönheit immer im Auge des Betrachters liegt“erklärt mir Herr M. im Gespräch. Ob „grausige Modetorheit“, Selbstinszenierung oder Körperschmuck: Im Endeffekt muss jeder selbst wissen, was er sich gönnt. Und wenn dann doch einmal die Verzweiflung über ein gestochenes Tattoo überhand nimmt, kann es in nur wenigen Sitzungen wieder entfernt werden. Und die Haut ist dann wieder das, was sie immer war: nackt.