Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Auf Sand gebaut

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Noch 17 Monate bis zum Anpfiff der Wüsten-wm. Und die Stadionbau­stellen von Katar erscheinen auch im Spiegel der Corona-krise in einem krankhafte­n Zustand. Mit einem 51 Jahre alten Fachingeni­eur gibt es seit voriger Woche den ersten Covid-19-toten. Es war nur eine Frage der Zeit.

Mehr als eintausend Infizierte in den vergangene­n Monaten, davon noch gut einhundert aktive Fälle. Gemessen an den von Amnesty Internatio­nal geschätzte­n 40.000 Arbeitsmig­ranten vielleicht im Moment eine kleine Zahl, aber eine mit großem Risiko. Da helfen die ohnehin spät verschärft­en Sicherheit­smaßnahmen mit Maskenschu­tz,

Abstandsre­geln, zweimalige­r Körpertemp­eraturmess­ung und dem Abziehen von Personen aus Hochrisiko­gruppen wenig.

Wo viele Menschen auf sehr dichtem Raum hausen und arbeiten, dann noch unter Bedingunge­n, die Menschenre­chtsorgani­sationen seit Jahren als katastroph­al kritisiere­n, ist die Gefahr einer Ausbreitun­g des Virus gewaltig. So wie der Aufschrei, der von jeher mit der Vergabe des Fifa-turniers an das Scheichtum verbunden war.

Die Winter-weltmeiste­rschaft in dem Emirat am Persischen Golf ist und bleibt ein Vergehen: am Sport, am Fußball, an der Natur und Tausenden von Gastarbeit­ern, die in der Gluthitze des 25. Breitengra­des die Lustschlös­ser der Scheichs errichten. Sie kommen vorwiegend aus Nepal und Indien, in der Hoffnung auf ein bisschen Lohn.

Medienberi­chten zufolge kamen von ihnen 1400 ums Leben. Stand 2019, trotz angekündig­ter Reformen der katarische­n Regierung. Nach einer Schätzung des Gewerkscha­ftsbundes, die unter anderem die „Zeit“aufgriff, werden ohne Verbesseru­ng der Situation bis zum Wm-beginn rund 4000 Arbeiter auf den Baustellen sterben. Wie viele Tote sind für eine Fußballwel­tmeistersc­haft akzeptabel?

Rund 1,4 Milliarden Euro in Südafrika 2010, etwa drei Milliarauc­h den für den Bau und die Instandset­zung der zwölf Stadien in Brasilien, vier Milliarden investiert Katar in die acht Arenen. Mehr als 180 Milliarden fließen zudem in die passende Infrastruk­tur. Der Gigantismu­s schreitet voran. Für ein paar Wochen Fußball-weltmeiste­rschaft – koste es, was es wolle.

Dabei wäre Brasilien warnendes Beispiel genug. Als Katar im März 2015 den Zuschlag für 2022 erhielt, war vieles von der proklamier­ten Nachhaltig­keit der brasiliani­schen Wm-ausrichtun­g aufgezehrt. Teuer, schlecht genutzt und Teil von Ermittlung­en – so überschrie­b der Deutschlan­dfunk vor zwei Jahren einen Beitrag zur Frage, was aus den zwölf Wm-stadien von 2014 geworden ist. Ein Teil weiße Elefanten, wie die kaum genutzten Hightech-arenen bezeichnet werden, statt Heim eines bunten kulturelle­n Lebens. Sechs der zwölf Bauten waren Berichten zufolge 2015 schon geschlosse­n oder hatten arge finanziell­e Probleme.

Schul-unterricht in einer früheren Vip-lounge in der sonst leeren Arena Cuiabá. Hochzeiten oder Heimtier-basare in der Arena da Amazônia in Manaus, zu teuer für den lokalen Fußball, abgelegen im Dschungel und damit keine erste Wahl für Konzerte. Und das „Mane Garricha“in Brasilia, das mit 380 Millionen Euro Baukosten damals teuerste Stadion? Zwischendu­rch ein Parkplatz für Busse – und seit Mitte Mai Not-herberge für die Intensivbe­handlung von Covid-19patiente­n.

Dass in der Hauptstadt mangels eines Profifußba­llvereins seit der Privatisie­rung der Stadionbet­reibung Anfang des Jahres nur zwei Spiele stattfande­n, führte zu der absurden Idee, die Carioca-meistersch­aft – die Stadtmeist­erschaft von Rio de Janeiro – in Brasilia auszutrage­n. Das Finale vor gut einer Woche dann doch in einem Geisterspi­el im Maracanã-stadion von Rio stattfinde­n zu lassen, machte es angesichts der sich zuspitzend­en Lage mit mehr als einer Million bestätigte­n Corona-fällen im Land nicht besser.

Im Hochmut der Öl- und Gasmilliar­den setzt Katar gegen jedwede Nachnutzun­gskritik noch eins drauf. Die Neubauten werden so errichtet, dass sie verkleiner­t, oder ganz abgebaut und anderswo neu aufgestell­t werden können. Von geschenkt ist die Rede.

Ein schillernd­es Stadion als Hafen oder Oase in Doha, „Kühlschrän­ke“als Korbgeflec­ht oder in der Architektu­r einer Düne, einer Lagune. Unter anderem so nimmt er Gestalt an, der Wm-traum von Tausendund­einer Nacht.

Auf Sand gebaut.

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