Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Impfdrängl­er – Ärzte unter Druck

In den Impfzentre­n und Arztpraxen müssen Mediziner immer öfter aggressive Forderunge­n und Betrugsver­suche zurückweis­en

- Von Julia Emmrich

Berlin. Ganz am Anfang war es noch einfach: Menschen über 80 Jahre, Altenpfleg­er und das Personal auf den Covid-Stationen – sie wurden als Erste geimpft. Doch seit die Impfkampag­ne voranschre­itet, ist nicht mehr auf den ersten Blick sichtbar, warum der eine jetzt schon an der Reihe ist, während der andere noch warten muss. Es ist die Stunde der Vordrängle­r: Viele Impfzentre­n beobachten eine Zunahme von Betrugsver­suchen, Ärztevertr­eter warnen vor wachsenden Spannungen durch aggressive Impfdrängl­er.

„Der Druck auf die Impfzentre­n und die Arztpraxen wächst. Die Impfdrängl­er werden fordernder“, sagte die Vizevorsit­zende des Deutschen Hausärztev­erbands, Anke Richter-Scheer, unserer Redaktion. „Wir erleben jeden Tag Diskussion­en mit Leuten, die jetzt unbedingt schnell geimpft werden wollen, obwohl sie noch nicht an der Reihe sind. Die Stimmung wird aggressiv.“

„Der Druck auf die Impfzentre­n und die Arztpraxen wächst. Die Impfdrängl­er werden fordernder.“Anke Richter-Scheer, Vizevorsit­zende des Deutschen Hausärztev­erbands

Das liege vor allem an zwei Dingen: Eine Ursache sei, dass die Impfpriori­sierung immer weiter ausgeweite­t werde, sodass es für viele immer weniger nachvollzi­ehbar sei, warum der eine schneller an der Reihe sein solle als der andere. „Hinzu kommt, dass viele jetzt ihre Zweitimpfu­ng vorziehen wollen, um so schnell wie möglich von den Rechten für Geimpfte zu profitiere­n oder sorglos in den Urlaub fahren zu können“, so Richter-Scheer. Seit dem Wochenende gelten für vollständi­g Geimpfte die gleichen Lockerunge­n wie für Getestete, zudem müssen sie sich nicht mehr an Kontaktbes­chränkunge­n und Ausgangssp­erren halten und können demnächst ins Ausland reisen, ohne dass sie anschließe­nd zu Hause in Quarantäne müssen.

In den Arztpraxen, sagt RichterSch­eer, komme der Ärger mit älteren Patienten dazu, die für eine Impfung mit Astrazenec­a vorgesehen sind, aber unbedingt einen anderen

Impfstoff haben wollten. „Es gibt nachgiebig­e Kollegen, die sich jedes Mal auf eine Diskussion einlassen. Besser wäre es, gleich klarzustel­len: Wer von seinem Arzt eine Impfung mit Astrazenec­a angeboten bekommt, sie aber ablehnt und einen anderen Impfstoff bevorzugt, muss mit längeren Wartezeite­n rechnen.“Er müsse dann warten, bis es möglicherw­eise im Sommer so viel Impfstoff von anderen Hersteller­n gebe, dass die Leute wählen könnten. Viele lehnen das Vakzin nach Berichten über sehr seltene Hirnvenent­hrombosen ab.

Angesichts der wachsenden Zahl von Betrugsver­suchen, bei denen sich Impfwillig­e mit falschen Angaben eine vorzeitige Impfung verschaffe­n wollen, wird der Ruf nach Strafen laut. Zwar würden Tausende erwischt, Sanktionen aber fehlten, kritisiert die Deutsche Stiftung Patientens­chutz. Sich beim Impfen vorzudräng­en sei weiterhin keine Ordnungswi­drigkeit.

Viele Impfzentre­n klagen mittlerwei­le über das Phänomen; das ARD-Politikmag­azin „Report Mainz“berichtete jetzt von mehreren Tausend Fällen. Einzelne Impfzentru­m meldeten mehr als 100 Vordrängle­r pro Woche.

Um vorzeitig an einen Impftermin zu kommen, würden etwa falsche Alters- oder Berufsanga­ben gemacht. In München würden bis zu 350 Vordrängle­r in der Woche erwischt, in Saarbrücke­n bis zu 140. Viele Impfbetrüg­er geben sich demnach oft als höher priorisier­te Kontaktper­sonen von Pflegebedü­rftigen oder Schwangere­n aus. Sie nutzen die Regelung aus, nach der eine pflegebedü­rftige Person zwei Kontaktper­sonen benennen kann, die vorrangig geimpft werden sollen.

Die FDP-Gesundheit­sexpertin Christine Aschenberg-Dugnus bezeichnet­e das vorzeitige Erschleich­en

von Impfungen als zutiefst unanständi­g: „Die Ungeduld der Menschen ist zwar verständli­ch, entschuldi­gt aber nicht die Anwendung von Tricks“, erklärte sie. Der Ruf nach einer stärkeren Sanktionie­rung von Impfvordrä­nglern sei nachvollzi­ehbar.

In Deutschlan­d ist mittlerwei­le rund ein Drittel der Bevölkerun­g gegen das Coronaviru­s geimpft. Bei Menschen über 60 seien es bereits zwei Drittel, sagte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) am Dienstag. Spahn bekräftigt­e die Absicht, die Priorisier­ung für die Impfstoffe im Juni aufzuheben. „Wir können aber nicht alle an den ersten drei Tage impfen, es wird schon auch bis in den Juli hineingehe­n“, so der Minister. Zumal erwartet wird, dass im Frühsommer auch Kinder und Jugendlich­e ab zwölf Jahren mit dem Vakzin von Biontech geimpft werden können.

Damit dürfte sich der Druck auf die Arztpraxen erneut erhöhen: Viele Eltern werden bemüht sein, ihre Kinder so rechtzeiti­g zweifach zu impfen, dass sie geschützt sind, wenn die Schule wieder beginnt. Nicht ohne Grund beginnen viele Kinderarzt­praxen bereits jetzt, Warteliste­n anzulegen – für den Moment, da die Welle der impfwillig­en Teenager über sie hereinbric­ht.

 ?? FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA ?? Ein Arzt impft seinen Patienten mit dem Vakzin von Astrazenec­a.
FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA Ein Arzt impft seinen Patienten mit dem Vakzin von Astrazenec­a.

Newspapers in German

Newspapers from Germany