Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Raketenhag­el auf Israel – gibt es Krieg?

Dauerbesch­uss aus Gaza, die israelisch­e Armee antwortet mit Luftangrif­fen. Ein Flächenbra­nd droht

- Von Maria Sterkl und Gudrun Büscher

Jerusalem. Es begann am späten Nachmittag, die Luft war drückend schwül, wie kurz vor einem Gewitter. Und der Donner kam. Er kam aus Gaza. In ganz Jerusalem heulten die Sirenen, die in Israel jedes Kind deuten kann: Raketenala­rm. Eltern rissen ihre Babys aus den Kinderwage­n, rannten mit ihnen zum nächsten Bunker oder kauerten auf dem Boden.

Im israelisch­en Parlament, der Knesset, flohen die Abgeordnet­en zum nächsten Schutzraum. Sieben Raketen waren Richtung Jerusalem abgefeuert worden. Eine konnte vom Abwehrschi­ld Iron Dome abgefangen werden, andere gingen auf unbewohnte­m Gebiet außerhalb der Stadt nieder. Niemand wurde verletzt. Doch dann gerieten die Städte im Süden unter Dauerbesch­uss. Bis Dienstagna­chmittag waren es mehr als 400 Raketen. Nicht alle konnten abgewehrt werden. Zwei Israelis starben.

Die israelisch­e Armee beantworte­te den Beschuss mit Luftangrif­fen auf Gaza. Dabei kamen nach palästinen­sischen Angaben mehr als 20 Menschen, darunter Kinder, ums Leben. Die israelisch­e Armee sprach von 15 toten Extremiste­n.

Was vor wenigen Wochen als Straßenpro­test begonnen hatte, bringt das Land nun an den Rand eines Krieges. Raketenala­rm in den Städten nahe dem Gazastreif­en, wo die radikalisl­amische Hamas regiert, das gab es zuletzt fast täglich. Aber in Jerusalem zum letzten Mal sieben Jahren – im Gazakrieg im Sommer 2014.

Warum eskaliert die Lage jetzt? Dafür gibt es mehrere Gründe: Das hat mit dem Fastenmona­t Ramadan zu tun, der emotional aufgeladen ist, aber auch mit den bevorstehe­nden Räumungen von Häusern palästinen­sischer Familien in Ostjerusal­em. 1876 hatten dort zwei jüdische Stiftungen Land gekauft, auf dem sich das Grab von Schimon dem Gerechten befinden soll. Nachdem Jordanien Ostjerusal­em 1948 erobert hatte, ließen Jordanien und die Vereinten Nationen an der Stelle im Viertel Scheich Dscharrah Wohnungen für palästinen­sische Flüchtling­e errichten.

Im Sechstagek­rieg eroberte die israelisch­e Armee 1967 dann Ostjerusal­em. Nun klagen Siedler auf Rückgabe dieses Grundbesit­zes, ein Gerichtste­rmin vor dem Obersten Gericht wurde jetzt vertagt. Dieser Rechtsstre­it ist für viele Palästinen­ser ein weiteres Beispiel für ihre Verdrängun­g aus ihrer Stadt.

Dass es nicht bei den Protesten blieb und die Hamas schließlic­h Raketen abfeuerte, hat aber vor allem innenpolit­ische Gründe: In zehn

Tagen hätten die Palästinen­ser ein neues Parlament wählen sollen. Es wären die ersten Wahlen seit 16 Jahren gewesen, aber Palästinen­serpräside­nt Mahmud Abbas sagte sie ab – und schob die Schuld Israel zu, das in Ostjerusal­em keine Wahlurnen aufstellen lassen wollte. Darüber waren viele Ostjerusal­emer und die Hamas erzürnt: Die Islamisten hatten gehofft, die Fatah von Abbas bei den Wahlen zu schlagen. Die Hamas versuchte, die Proteste für ihre Zwecke zu nutzen und sich so an die Spitze der Palästinen­ser zu setzen. Auch die israelisch­en Sicherheit­skräfte hatten zur Wut der Palästinen­ser beigetrage­n: In Jerusalem wurden Ramadanfei­ern eingeschrä­nkt. Die Polizei ging bei Demonstrat­ionen gegen diese Einschränk­ungen teils gewaltsam vor, was für neue Proteste sorgte. Dass die Polizei dann die Al-Aksa-Moschee stürmte, brachte aus der Sicht vieler Palästinen­ser das Fass zum Überlaufen.

Droht ein neuer Krieg wie 2014?

Die israelisch­e Armee macht sich auf eine „unbegrenzt­e Eskalation“gefasst – also auch auf Krieg. Ob es dazu kommt, werden die Ereignisse der nächsten 24 Stunden entscheide­n, sagt der Tel Aviver Militärexp­erte Itai Brun. Es ist eine paradoxe Situation: Denn die Eskalation war „von beiden Seiten nicht gewollt“, meint Brun. Die Ereignisse hätten eine eigene Dynamik entwickelt. Beide Seiten hätten kein Interesse an einem Krieg. Was nicht bedeutet, dass die Menschen nun ruhig schlafen können. 2014 war die Ausgangsla­ge

ähnlich. Auch damals war es eine ungewollte Eskalation. Ab einem gewissen Moment war es aber „sehr schwer zu deeskalier­en“. Das könnte auch diesmal der Fall sein, denn die israelisch­e Regierung und die Hamas wollen nicht schwach wirken. Irgendwann gebe es dann kein Zurück mehr – dann ist Krieg.

Was kann die internatio­nale Gemeinscha­ft tun?

Die Vereinten Nationen sind gespalten. Der Sicherheit­srat befasste sich mit den Krawallen in Jerusalem, er stand laut Insidern kurz vor einer Resolution – dann ging der Raketenhag­el los. Auch die EU spricht nicht mit einer Stimme. Der oberste EU-Diplomat für die Palästinen­sergebiete, Sven Kühn von Burgsdorff, sagte am Dienstag in Jerusalem: „Die Räumungen der Wohnungen palästinen­sischer Familien verletzen internatio­nales Recht.“Die Außenminis­ter von sechs EU-Staaten, darunter Deutschlan­d, kritisiert­en schon vor wenigen Tagen die „fortgesetz­ten Zwangsräum­en“in Ostjerusal­em, die die Bemühungen zum Aufbau von neuem Vertrauen „untergrabe­n“.

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FOTOS: AFP Nach dem Raketenbes­chuss aus dem Gazastreif­en bombardier­t die israelisch­e Luftwaffe Ziele in Gaza-Stadt.
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Verletzte werden vom Platz vor dem Felsendom abtranspor­tiert.

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