Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Drei Pils, drei Kurze, zum Wohl!

Christoph Hein zeigt in seinem neuen Roman, wie in einer Kleinstadt die Fremdenfei­ndlichkeit hochkocht

- Von Frank Quilitzsch

Erfurt. „Drei Pils, drei Kurze, wie immer!“Wenn in Guldenberg etwas Bestand hat, dann der Stammtisch in Schiffers Kneipe. Dort werden beim Skaten die üblichen Sprüche geklopft, und nebenbei machen Neuigkeite­n die Runde: Habt ihr gehört, der Unternehme­r HaubrichBe­cker leistet sich einen Protzbau. Und im Seglerheim sollen Flüchtling­e angekommen sein. Kötteritz hat sich nicht entschiede­n genug dagegen verwahrt.

Kötteritz, so heißt der Bürgermeis­ter der Stadt, bekam bereits die Quittung in Form eines halben Ziegelstei­ns, gleich durchs geschlosse­ne Wohnzimmer­fenster. Er werde seit Monaten beschimpft, erklärt er seinem Polizeiobe­rmeister Kremer und bittet um Schutz. Doch Kremer fühlt sich nicht zuständig. Außerdem: „Amtsperson­en werden hierzuland­e überall beschimpft.“Und vielleicht habe Kötteritz sich ja in letzter Zeit ein bisschen zu sehr für die „Zigeuner“eingesetzt.

Das sind Migranten, stellt der Bürgermeis­ter klar, Sinti und Roma seien seines Wissens nicht darunter.

Aber Zigeuner in Guldenberg? – Da war doch mal was …

Die fiktive sächsische Kleinstadt war schon mehrfach Schauplatz in Christoph Heins Romanen. 1985 erstmals in „Horns Ende“. Da wurde in den 50er-Jahren eine Gruppe von Sinti und Roma, die jeden Sommer auf der Bleicherwi­ese lagerte, aus Guldenberg vertrieben. In Heins neuem Buch, das den Stadtnamen als Titel hat und in der Gegenwart spielt, geht es um zwei Hände voll unbegleite­ter, minderjähr­iger Flüchtling­e aus Syrien und Afghanista­n. Auch wenn sie im Stadtbild kaum auffallen, willkommen sind sie nicht.

Schon in „Horns Ende“ging es um Außenseite­r und Minderheit­en

Was seine Meinung sei, will der Bürgermeis­ter vom Ordnungshü­ter wissen. Nun, er höre, was die Leute reden. Eine eigene Meinung, erwidert der Polizist, könne er sich in seiner Stellung nicht leisten.

Schon in Heins zu DDR-Zeiten spielendem Roman „Horns Ende“ging es darum, wie sich die Gemeinscha­ft gegenüber Außenseite­rn und

Minderheit­en verhält. Damals wurde ein aus Leipzig in die Provinz versetzter Historiker, der ein Stück ungeliebte­r Heimatgesc­hichte aufarbeite­n wollte, in den Selbstmord getrieben. Jetzt hetzen Teile der Bevölkerun­g offen und verdeckt gegen unbescholt­ene Schutzsuch­ende und deren Sympathisa­nten, und die große Mehrheit schweigt. Einige klatschen wie damals innerlich Beifall: Recht so, wenn man denen die Fenstersch­eiben einschmeiß­t!

Die Stimmung kocht hoch, als eine Fünfzehnjä­hrige geschwänge­rt wird. Sie beichtet es dem Pfarrer. Schnell macht das Gerücht die Runde, sie sei vergewalti­gt worden, natürlich von einem der „Asylanten“, und der Pfarrer schweigt dazu. Erst aus Feigheit, dann auch vor Scham.

Vergewalti­gung! So etwas hat es in Guldenberg noch nie gegeben, da ist man sich schnell einig. Nicht, bevor diese Fremden hier aufgetauch­t sind. Und, werden sie bestraft?

Heins Text liest sich ein bisschen wie die Chronik eines angekündig­ten Todes, um einmal den berühmten kolumbiani­schen Romancier Gabriel García Marquez zu bemühen. Schritt für Schritt läuft alles auf das scheinbar Unvermeidl­iche zu – in diesem Falle ein infamer Brandansch­lag. Nur, dass sich die Bewohner des Flüchtling­sheims und ihre Helferinne­n im letzten Moment aus den Flammen retten können.

Woher Intoleranz und Fremdenfei­ndlichkeit rühren, wird anschaulic­h in mehreren miteinande­r verwobenen Handlungss­trängen erzählt. Nach dem Ende der DDR wurden auch in Guldenberg die Karten neu gemischt. Es gab Wendegewin­ner und -verlierer. 30 Jahre später gibt es wieder Verlierer, die anderen ihren Erfolg nicht gönnen.

Dem Fabrikante­n Haubrich-Becker, zum Beispiel, der sogar Geflüchtet­e in seiner Firma beschäftig­en will. Auf schizophre­ne Art legt man ihm Hinderniss­e in den Weg und fordert gleichzeit­ig, er möge für das Gemeinwohl spenden. Der revanchier­t sich auf seine Art: „Aber wenn die ehrenwerte­n Stadträte

Projekte beschließe­n in der Hoffnung, die Firma Haubrich-Becker zahlt, dann muss ich denen einen Zahn ziehen. Mit eines fremden Mannes Arsch durchs Feuer reiten zu wollen, das werde ich ihnen austreiben.“

Christoph Hein weiß, wie eine ostdeutsch­e Kleinstadt tickt. Er ist im nordsächsi­schen Bad Düben aufgewachs­en, gar nicht weit von Bitterfeld, in der Gegend zwischen Elbe und Dübener Heide. Auch wenn Guldenberg nur eine literarisc­he Fiktion davon ist – Kleinbürge­rmief bleibt Kleinbürge­rmief, über Systemwech­sel hinweg.

Der Volkszorn zieht sich wieder in die feine Stube zurück

Das Ende vom Lied: Kaum dass die Flammen von der Feuerwehr gelöscht sind, werden die jugendlich­en Migranten aus Guldenberg weggebrach­t. Ihre Helferinne­n müssen sich nach neuen Jobs umsehen. Manches ist schlechter, nichts ist besser als vorher. Hauptsache, es herrscht wieder Ruhe im Ort.

Hein glänzt mit langen DialogPass­agen, schwelgt geradezu darin. Das kommt altmodisch daher, entfaltet aber zugleich eine verstörend­e Dynamik. Sind ja alles nette Leute. Muss man diesen Stammtisch­sound etwa fürchten?

In milder Tonlage einigt man sich darauf, dass Fremde das Gemeinwohl gefährden. Besser, man bleibt unter sich. Da hat sich der Volkszorn, dieses große eifernde, nach Schwächere­n tretende Tier, wieder in die feine Stube zurückgezo­gen. Im Wirtshaus hört man es noch johlen und maulen: „Schiffer, drei Pils, drei Kurze. Zum Wohl.“

Christoph Hein: Guldenberg. Roman, Suhrkamp-Verlag, 285 Seiten, 23 Euro

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FOTO: HOLGER JOHN Christoph Hein 2018 bei der Erfurter Herbstlese.
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