Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Skizzen in Bindersleben
Der Aktionskünstler Joseph Beuys, der heute 100 Jahre alt geworden wäre, wird in diesen Tagen als künstlerischer Übervater der Grünen gefeiert. Die Fettecke und der 7000-Eichen-Wald auf der Documenta sind legendär. Wenn es keine Pandemie gäbe, gäbe es wohl auch in Erfurt eine Würdigung. Denn hier hatte er seine erste Ausstellung.
Kaum zu glauben, bevor der Mann einen Filzhut trug, trug er einen Stahlhelm – und setzte sich eine Fliegerbrille auf. Im Zweiten Weltkrieg war das. Der Junge aus Krefeld hatte sich freiwillig für zwölf Jahre zum Kriegsdienst verpflichtet und wollte zur Luftwaffe. Im Dezember 1941 verschlug es ihn zur Ausbildung nach Erfurt an den Fliegerhorst Bindersleben. Nebenbei hat der junge Mann ein bisschen gezeichnet. Seine Skizzen wurden im Fliegerhorst ausgestellt.
An seinem 20. Geburtstag hatte Beuys einen freien Tag und fuhr hinüber nach Weimar. Er besuchte das Nietzsche-Archiv, das Goethehaus und Schloss Belvedere, wo er gezeichnet hat und das Gedicht „Nordischer Frühling“verfasste. Die Galerie Eigenheim in Weimar hat die Thüringer Zeit vor einigen Jahren einmal in einer Ausstellung untersucht. Wie stark der Impuls für den Künstler war, das lässt sich nur erahnen. Kurze Zeit später schrieb Beuys jedenfalls: „Ich habe mich entschlossen, nach dem Kriege den Bildhauerberuf zu erlernen!“Das passt zum Mythos Thüringen und zum Mythos Beuys.
Gut möglich, dass er bei den reichen Bauern in Bindersleben zum Umgang mit Fett inspiriert wurde. Längst als Märchen entlarvt, ist seine Geschichte, dass er nach einem Absturz im März 1944 von Tataren auf der Krim gesund gepflegt wurde. Eingerieben mit Fett, warm gehalten mit Filz.