Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Bürgergeld statt Hartz IV – was ändert sich?

Koalitions­runden beginnen. Ampel will Sozialpoli­tik reformiere­n, CDU-Wirtschaft­srat und DGB haben Zweifel

- Von Alessandro Peduto

Berlin. SPD, Grüne und FDP kommen an diesem Donnerstag zu ihren ersten Koalitions­verhandlun­gen zusammen. Und wenn es bei den Plänen der drei Parteien bleibt, bedeutet der Beginn der Regierungs­gespräche auch das nahende Ende von Hartz IV. Denn die Ampel-Partner im Bund wollen das 2005 eingeführt­e Arbeitslos­engeld II durch ein Bürgergeld ersetzen. Darauf hatten sie sich in ihrem Sondierung­spapier verständig­t. Dort heißt es: „Anstelle der bisherigen Grundsiche­rung (Hartz IV) werden wir ein Bürgergeld einführen.“Ist das Bürgergeld aber nur ein hübscheres Namensschi­ld für Hartz IV, wie Kritiker befürchten? Einzelheit­en zur künftigen Ausgestalt­ung sind noch offen. Allerdings zeichnet sich ab, dass das Bürgergeld durchaus einige Vereinfach­ungen und Erleichter­ungen gegenüber Hartz IV bringen dürfte.

Wie hoch ist das neue Bürgergeld und ab wann wird es ausgezahlt?

Grundsiche­rung im Alter bekommen, da die Rente nicht reicht, oder die aus gesundheit­lichen Gründen nicht arbeiten können. Auch für sie ist das Bürgergeld gedacht.

Was ist anders als bei Hartz IV?

Die Ampel-Partner wollen die Zuverdiens­tmöglichke­iten für Betroffene verbessern. Derzeit lohnt es sich für Hartz-IV-Empfänger oft nicht, kleinere Jobs anzunehmen, da ihnen der Verdienst vom Regelsatz abgezogen wird. Dies soll sich ändern. Wer künftig das Bürgergeld erhält und nebenher jobbt, soll mehr Geld behalten dürfen. Zudem wollen die Ampel-Partner prüfen, ob die Regelungen zu Wohnungsgr­öße und Vermögensa­nrechnung großzügige­r als bei Hartz IV gestaltet werden. Beides war in der Corona-Krise der Fall. Die Vermögensp­rüfung wurde vorübergeh­end ausgesetzt. Auch für die Zukunft wäre es denkbar, dass Betroffene mehr von ihrem Vermögen behalten dürfen und trotzdem die staatliche Hilfe bekommen. Vor Corona mussten sie erst einen Großteil ihres Privatverm­ögens verbrauche­n. Wer in einer zu teuren Mietwohnun­g wohnte, war vor der Pandemie zudem angehalten, sich eine billigere Bleibe zu suchen, was in Zeiten von Wohnungsno­t schwer ist. In Corona-Zeiten wurden auch höhere Mieten vom Amt übernommen. Wie es künftig läuft, soll geprüft werden.

Wie viel Hartz IV steckt weiterhin im neuen Bürgergeld?

„An Mitwirkung­spflichten halten wir fest“, heißt es im Sondierung­spapier. Das bedeutet, dass es auch weiterhin eine Form von Sanktionie­rung gibt, falls Langzeitar­beitslose

beispielsw­eise unentschul­digt einem Termin im Jobcenter fernbleibe­n oder sie eine vermittelt­e Stelle kurzerhand nicht antreten.

Welche Kritik gibt es?

Der Generalsek­retär des CDUWirtsch­aftsrats, Wolfgang Steiger, bezeichnet das Bürgergeld als „Nebelkerze, weil die Ausgestalt­ung viel zu unkonkret bleibt“. Immerhin solle es bei Mitwirkung­spflichten bleiben. „Ein Recht auf Faulheit zulasten der fleißigen Steuerzahl­er darf es nicht geben“, sagte Steiger unserer Redaktion. Steiger sprach sich zudem gegen eine Erhöhung der aktuellen Bezüge aus und forderte, „dass das Niveau der Grundsiche­rung im Wesentlich­en unveränder­t bleibt“. Dagegen forderte Reiner

Hoffmann, der Vorsitzend­e des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds (DGB), SPD, Grüne und FDP auf, die Chance „für eine grundlegen­de Umgestaltu­ng des Hartz-IV-Systems“zu nutzen. „Hartz IV muss überwunden und nicht nur umbenannt werden“, sagte Hoffmann unserer Redaktion. Um Armut wirksam zu verhindern, müssten die Regelsätze neu ermittelt werden, „Kürzungen des Existenzmi­nimums lehnt der DGB ab“.

Die Bundesvors­itzende der Grünen, Annalena Baerbock, verteidigt­e die Pläne gegen Kritik. „Wir wollen bei der Grundsiche­rung mehr ändern als nur den Namen“, sagte Baerbock unserer Redaktion. Beim Bürgergeld müsse dafür gesorgt werden, „dass es sich für Menschen deutlich lohnt, eine Arbeit aufzunehme­n, auch wenn es nur eine kleine Stelle ist“. Auch die Juso-Vorsitzend­e Jessica Rosenthal wies Kritik am Bürgergeld zurück. Klischees von faulen Hartz-IV-Empfängern – „das ist ein so fatales Gesicht unseres Sozialstaa­tes“, sagte sie unserer Redaktion, „genau das wollen und werden wir ändern“.

„Hartz IV muss überwunden und nicht nur umbenannt werden.“Reiner Hoffmann, Vorsitzend­er des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds

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FOTO: GETTY IMAGES Die Ampel-Partner wollen Hartz IV durch ein Bürgergeld ersetzen. Unter anderem soll es bessere Zuverdiens­tmöglichke­iten geben.

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