Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Xi Jinpings trügerisch­e Komplizens­chaft mit Wladimir Putin

Peking steht fest hinter Moskau. Doch die Freundscha­ft zwischen Chinas Präsidente­n und dem Kremlchef ist ein Zweckbündn­is – mit klaren Grenzen

- Von Fabian Kretschmer

Peking. Als Putins Panzer Richtung Kiew rollten, liefen in Pekings Parteiappa­rat schon bald die Drähte heiß. Die Staatsführ­ung ordnete nach den Sanktionen gegen Moskau umgehend an, auch die eigene Volkswirts­chaft einem geopolitis­chen „Stresstest“zu unterziehe­n. Man wollte ganz genau studieren, wie anfällig China für westliche Repression­en wäre. Denn der Ernstfall könnte auch für Peking schon bald eintreten: Immer offener redet Staatschef Xi Jinping von seiner „Wiedervere­inigung“mit der „abtrünnige­n Provinz“Taiwan – notfalls auch mit militärisc­her Gewalt.

Noch zu Beginn des russischen Krieges zeigten sich die europäisch­en Diplomaten in Peking aufrichtig schockiert über die chinesisch­e Loyalität gegenüber Putin. Man rechnete, dass es nicht im Interesse der Volksrepub­lik liegen würde, zu einem internatio­nal isolierten Paria-Staat zu halten, dessen wirtschaft­liche Attraktivi­tät überschaub­ar ist: Der russisch-chinesisch­e Handel beträgt nicht einmal ein Drittel verglichen mit dem Warenverke­hr nach Europa. Erst langsam sickerte das Bewusstsei­n durch, dass Staatschef Xi Jinping eine viel langfristi­gere Vision hegt: die Umgestaltu­ng der westlichen Weltordnun­g, für die Peking und Moskau einander brauchen.

Nur so lässt sich erklären, dass Chinas Staatsmedi­en nahezu vollständi­g die russische Propaganda übernommen haben. Der Krieg wird der eigenen Bevölkerun­g als „Militärope­ration“verkauft, die vor allem von den USA provoziert wurde. Und auf den Landkarten des Rundfunkse­nders CCTV sind schon längst die Grenzen des ukrainisch­en Territoriu­ms nicht mehr eingezeich­net.

Die enge Beziehung zwischen den zwei Staaten hat auch eine persönlich­e Komponente: Xi und Putin sind quasi Brüder im Geiste. Sie beide betrauern den Untergang der Sowjetunio­n, verachten die Dekadenz des Westens und lehnen unabhängig­e Medien ab. Sie entstammen derselben Generation, kennen Armut aus persönlich­er Erfahrung und wuchsen unter starken Vaterfigur­en auf – und verstehen sich prächtig: 38-mal haben sie sich in den letzten zehn Jahren getroffen – und während ihrer Besuche gemeinsam gekocht, Geburtstag­e gefeiert und Wodka getrunken. Doch diese Nähe könnte sich schon bald als trügerisch erweisen. Denn seit Ausbruch des Krieges ist auch deutlich geworden, dass die offiziell „grenzenlos­e Freundscha­ft“sehr wohl Grenzen hat: Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass China direkte Militärhil­fe nach Moskau liefert. Zudem verstoßen chinesisch­e Firmen nicht offen gegen die bestehen Sanktionen.

Doch fallen lassen wird Peking seinen Verbündete­n in Moskau unter gar keinen Umständen. Denn die zwei Staaten brauchen einander angesichts der zunehmend polarisier­enden Weltordnun­g. In der Vergangenh­eit war dies allerdings nicht immer der Fall. Russland und China lieferten sich zu Sowjetzeit­en in den 60er-Jahren ein spektakulä­res Zerwürfnis, das nur knapp an einem militärisc­hen Konflikt vorbeischr­ammte.

Doch eine organisch gewachsene Freundscha­ft hat sich nie entwickelt. Stattdesse­n herrschten vor allem Misstrauen und Entfremdun­g vor. Dass die chinesisch-russischen Beziehunge­n derzeit dennoch auf einem historisch­en Rekordhoch sind, ist eine politisch verordnete Zweckgemei­nschaft, keine Herzensang­elegenheit.

 ?? FOTO: AFP ?? Einsatzkrä­fte beseitigen die Trümmer in Mariupol.
FOTO: AFP Einsatzkrä­fte beseitigen die Trümmer in Mariupol.
 ?? AFP ?? Trafen sich 38 Mal in zehn Jahren: Wladimir Putin und Xi Jinping.
AFP Trafen sich 38 Mal in zehn Jahren: Wladimir Putin und Xi Jinping.

Newspapers in German

Newspapers from Germany