Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Wird Gas jetzt schon knapp?

Die Ukraine fährt die Durchleitu­ng von russischem Gas nach Westeuropa zurück. Das sind die Folgen

- Von Alexander Klay, Alessandro Peduto und Miguel Sanches

Berlin. Bisher lief die Gasversorg­ung ungeachtet des Ukraine-Krieges meist störungsfr­ei – zum beiderseit­igen Vorteil. Russland verdiente am Verkauf, die Ukraine kassierte eine Gebühr für die Durchleitu­ng, immerhin eine Milliarde Dollar im Jahr. Am Mittwoch stellte das Land den Gastransit an einem wichtigen Knotenpunk­t ein. Ist es ein Störfall, eine Warnung oder eine Kursänderu­ng? Antworten auf die wichtigste­n Fragen:

Wie begründet die Ukraine den Stopp?

Mit dem Krieg. Die russischen Truppen rücken im Gebiet um Luhansk in der Ostukraine vor. Letztlich sei es unmöglich geworden, den Punkt Sochraniwk­a und die Verdichter­station Nowopskow zu kontrollie­ren. Für den ukrainisch­en Netzbetrei­ber OGTSU ein Fall von „höherer Gewalt“.

Wie schwerwieg­end ist der Ausfall? Bis zu 32,6 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag fallen weg. Das ist etwa ein Drittel des Gases, das von Russland durch Pipelines in der Ukraine nach Westeuropa fließt. „Es war nur eine Frage der Zeit, dass dies passiert“, sagte die Energieexp­ertin

Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW Berlin) unserer Redaktion.

Ist die Erdgasvers­orgung Westeuropa­s gefährdet?

„Die Versorgung­ssicherhei­t in Deutschlan­d ist aktuell weiter gewährleis­tet“, teilte das Bundeswirt­schaftsmin­isterium auf Anfrage unserer Redaktion mit. Das bedeutet, dass viele Staaten erst mal mit weniger Erdgas via Ukraine auskommen müssen, aber die Verluste ausgleiche­n können. So werde derzeit mehr Gas aus den Niederland­en und aus Norwegen importiert. „Wir sind am Ende des Winters und die Gasnachfra­ge nimmt ab, sodass keine Versorgung­sengpässe zu erwarten sind“, sagt Expertin Kemfert. Sie glaubt aber, dass die Gaspreise weiter steigen werden – und damit die Rechnungen für die Endkunden. Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium hält sich mit Prognosen vorerst zurück.

Wie sehr ist Deutschlan­d auf diesen Gastransit angewiesen?

Vorneweg: Deutschlan­d ist selbst Transitlan­d für Gas nach Süd- und Westeuropa. Es kommt über drei Leitungen: Nord Stream 1 über die Ostsee (etwa 55 Milliarden Kubikmeter im Jahr), Jamal durch Belarus und Polen (33 Milliarden Kubikmeter)

und Sojus, das durch die Ukraine (40 Milliarden Kubikmeter) führt und an die Transgas-Pipeline nach Westeuropa anschließt. Im Streit über Gaszahlung­en mit Polen hat Russland die Lieferung über die Jamal-Pipeline jedoch vor zwei Wochen eingestell­t.

Lässt sich das Gas umleiten?

Die Ukrainer sagen, der Gasfluss könne über einen anderen Knotenpunk­t, Sudscha, auf russischer Seite umgeleitet werden. Gazprom bestreitet, dass die Ukrainer beim Knotenpunk­t in Sochraniwk­a gestört worden seien, und hält eine Umleitung über Sudscha für technisch nicht möglich, sagte Sprecher Sergej Kuprijanow laut der Agentur Interfax. Es ist unklar, wie lange die Störung anhält.

Ein Ausweichen auf die fertiggest­ellte Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die am Ende nicht in Betrieb genommen wurde, schloss eine Sprecherin des Wirtschaft­sministeri­ums aus. „Nord Stream 2 ist nach dem russischen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine wirklich gestorben und da denkt jetzt keiner daran, hierauf auszuweich­en.“

Drohen weitere Störungen? „Aufgrund des Kriegs war es bisher eher ein Wunder, dass es noch nicht zu Gaslieferu­nterbrechu­ngen durch die Ukraine gekommen ist“, meint Kemfert. Unionsfrak­tionsvize Jens Spahn (CDU) fordert von der Ampelkoali­tion ein Konzept für den Fall von Engpässen bei der Lieferung von russischem Gas. „Die Bundesregi­erung muss rasch klarstelle­n, was genau die Auswirkung­en der Drosselung sind. Auf einen Plan für einen möglichen Lieferstop­p warten wir noch immer“, sagte Spahn unserer Redaktion.

Bisher vermied es die Ukraine, vertragsbr­üchig zu werden. Statt den Gasfluss durch die Pipelines zu unterbrech­en, forderte Präsident Wolodymyr Selenskyj den Westen auf, die Sanktionen gegen Russland zu verschärfe­n. Wenn der Krieg an Intensität zunimmt, kann es jedoch sein, dass die Ukraine bestimmte Anforderun­gen nicht mehr erfüllen kann oder will. Sie weiß, dass ein Stopp der Gasexporte die russische Kriegskass­e ungleich härter treffen würde.

Russland hat Polen und Bulgarien den Gashahn zugedreht, weil die Staaten das Gas nicht wie plötzlich gefordert in russischen Rubel bezahlen wollten. Eigentlich sind Zahlungen in Euro oder Dollar vereinbart. Die meisten westeuropä­ischen Staaten wollen das Erdgas aus Russland mittelfris­tig durch Flüssiggas aus Katar oder den USA ersetzen.

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