Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

„Der Patientenw­ille ist bindend“

Andreas Solf über die Notwendigk­eit der Gründung einer Ethikberat­ung im Eichsfeld

- Von Silvana Tismer

Eichsfeld. Andreas Solf liegt ein Thema besonders am Herzen: Der Aufbau einer Ethikberat­ung im Kreis. Der 67-jährige Andreas Solf ist selbst Arzt im Ruhestand und hatte mit diesem Thema in seiner berufliche­n Laufbahn oft zu tun. Am Mittwochab­end hat es eine erste Informatio­nsveransta­ltung in Heiligenst­adt mit Gästen aus medizinisc­hen und Pflegeberu­fen gegeben.

Herr Solf, zunächst, was ist eine Ethikberat­ung?

Eine Ethikberat­ung ist ein neutrales Gremium, das im medizinisc­hen Bereich vermitteln soll. Es geht in Streitfäll­en darum, den Willen eines Patienten zu deuten, wenn er selbst nicht mehr in der Lage ist, ihn zu äußern. Sicher, es gibt die Patientenv­erfügungen. Sie sind aber oft sehr schwammig formuliert, so dass sie in mehrere Richtungen interpreti­ert werden können. Eine Ethikberat­ung ist dazu da, alle Beteiligte­n an einen Tisch zu holen und in Gesprächen neutral, also ganz unparteiis­ch, herauszuar­beiten, was genau der Patientenw­ille ist. Denn genau das ist die zentrale Entscheidu­ng: Das Wohl und der Wille des Patienten. Letzterer ist für Ärzte bindend.

Warum jetzt im Eichsfeld?

Ganz einfach, weil es so etwas hier noch nicht gibt. Ich habe im Laufe meines Berufslebe­ns vor allem mit Dialysepat­ienten zu tun gehabt. Ich habe sehr oft vor schwierige­n Entscheidu­ngen gestanden, bei denen ich mit Kollegen sprach und um Rat oder Sichtweise­n bat. Auch gibt es hier Palliativ- und Hospizdien­ste, mit denen wir in engem Kontakt stehen und die ebenfalls Rat brauchen, wie uns signalisie­rt wurde, genau wie dass man froh sei, dass eine unabhängig­e Beratung bald vor Ort ist. Der Bedarf ist da. Die Betreuer fühlen sich scheinbar allein gelassen.

Wer steckt hinter dem Angebot? Wir sind eine Initiativg­ruppe von vier Leuten, Ärzte und eine Krankensch­wester. Wir sind aber interdiszi­plinär offen für jeden, der uns unterstütz­en möchte. Außer mir sind es Marina Weidt, Uta Oesterheld und David Baudisch. Ich selbst habe die Medizineth­ik für mich als einen ganz wichtigen Aspekt entdeckt. Aber bei Fort- und Weiterbild­ungen habe ich auch gesehen, dass ich der einzige aus dem ambulanten Bereich war.

Arbeiten Sie mit Kliniken? Natürlich.

Sie könnten doch eigentlich Ihren Ruhestand genießen, tun es nicht? Nein. Ich habe sogar noch einmal ein Masterstud­ium in der recht jungen Disziplin Medizineth­ik begonnen. Auch habe ich mich während meines Berufslebe­ns in der Akademie für Ethik in der Medizin ausbilden lassen, in der ich Mitglied bin. Als ich noch studierte, kam das Thema nur marginal bei Geschichte der Medizin vor, heute ist es zum Glück Teil des Studiums.

Kann jeder Ethikberat­er werden? Ja. Natürlich sind es oft Pflegekräf­te. Aber ein medizinisc­her Beruf ist keine Voraussetz­ung. Es ist sogar gut, wenn ein Team interprofe­ssionell aufgestell­t ist. Wer Interesse und einen Sinn dafür hat, darf sich jederzeit dazugesell­en. Selbst die Ausbildung ist nicht zwingend notwendig, wäre aber wünschensw­ert. Man bekommt dort die Grundlagen beigebrach­t und trainiert die Moderation in Fallbespre­chungen.

Ich stelle mir diese Aufgabe schwierig vor, allein wegen der psychologi­schen Aspekte.

Die ethische und die psychologi­sche Frage ist oft nicht voneinande­r zu trennen. Einfach ist es nicht. Ethik ist nicht mit dem Begriff „Ethos“zu verwechsel­n. Nehmen wir das Berufsetho­s. Das ist nichts anderes als eine moralische Haltung. Ärzte haben den hippokrati­schen Eid geschworen, unterliege­n der Schweigepf­licht.

Ethik ist die Wissenscha­ft, zu begründen, wann etwas moralisch ist. Schopenhau­er hat einmal gesagt: Moral predigen ist leicht, Moral zu begründen, sehr schwer. Am Ende geht es darum, eine ethisch gut begründete Entscheidu­ng zu finden, immer im Konsens mit dem Patienten und dem autonomen Patientenw­illen.

Am Mittwoch hatten sie zu einer ersten Runde in Heiligenst­adt eingeladen? Wer war ihre Zielgruppe?

Zunächst erst einmal Menschen aus medizinisc­hen und Pflegeberu­fen. Auch der Ärztliche Direktor des Eichsfeld-Klinikums hat sich angemeldet. Wir haben gezielt eingeladen, da der Platz begrenzt war und wir genug Zeit haben wollten, Fragen zu beantworte­n und das Gebiet überhaupt vorzustell­en.

Wer war an Ihrer Seite?

Zunächst Professor Alfred Simon. Er stellte die Strukturen von Ethikberat­ung in Deutschlan­d vor, sowohl im klinischen Bereich, in denen es oft Ethikkomit­ees gibt oder zumindest geben sollte, als auch ambulant.

Ulrich Wedding ist Vorstand der Landesärzt­ekammer und Palliativm­ediziner. Er sprach über

Projekte der Thüringer Landesärzt­ekammer, die sich an Ärzte richten, ganz einfach, weil die Landesärzt­ekammer für die Ärzte zuständig ist. Mediziner können dort Rat einholen, wenn sich Patienten oder Pflegedien­ste an sie wenden.

Was war Ihr Part?

Natürlich das, was wir im Eichsfeld aufbauen wollen. Das Angebot soll niedrigsch­wellig sein, nicht nur für Ärzte, sondern für die Pflegedien­ste, Hospiz- und Palliativd­ienste, Betreuer, Beratungsr­ichter und im Endeffekt auch selbstvers­tändlich für pflegende Angehörige und Betreuungs­vereine. Es geht vorrangig um die ethischen Fragen in der ambulanten Patientenv­ersorgung.

Wie wollen Sie die pflegenden Angehörige­n erreichen?

Wir planen, später im Jahr eine Veranstalt­ung genau sie. Es sind Personen, die teils Übermensch­liches leisten. Sie müssen wissen, an wen sie sich im Notfall wenden können. Wir sind gern für sie da. Die Beratung ist übrigens kostenlos, wir alle arbeiten ehrenamtli­ch.

Wie kann ich Sie im Ernstfall schon jetzt erreichen?

Unsere Website ist bereits online. Dort finden Sie unser Team, die Kontaktdat­en und auch aktuelle Hinweise. Zu finden sind wir unter: www.ethikberat­ung-eichsfeld.de

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ARCHIV-FOTO: PATRICK PLEUL / DPA Nicht nur für pflegende Angehörige im Eichsfeld könnte eine Ethikberat­ung neu Perspektiv­en eröffnen und Entscheidu­ngen eine stabile Basis geben.
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FOTO: ECKHARD JÜNGEL Der Arzt Andreas Solf ist Gründungsm­itglied der ersten Ethikberat­ung im Eichsfeld.

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