Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Auf der Suche nach den Menschenre­chten

Vor der Fußball-WM lobt die Fifa die Fortschrit­te, die das Emirat gemacht hat. Cornelius und Isack haben davon nichts mitbekomme­n. Sie wohnen mit sieben weiteren Kenianern in einem Fünf-Quadratmet­er-Zimmer. Ein Vor-Ort-Besuch von Kai Schiller

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Die Bayern-München-Welt in Doha ist schnell gefunden: Die Aspire Academy. Das Sportareal, in dem der Rekordmeis­ter fast jährlich überwinter­t, gilt als die modernste Sportanlag­e der Welt. 750 Millionen Euro hat das Prestigeob­jekt gekostet. Auch die deutsche Nationalma­nnschaft hatte erwogen, in der Luxusherbe­rge während der WM, die am 21. November dieses Jahres beginnt, zu residieren.

Wenige Freistöße entfernt wird nicht residiert, sondern überlebt. Sieben Taxi-Minuten sind es in das Viertel Al Azizyah. Die Hauswände hier sind nicht verputzt, der Plastikmül­l liegt auf der Straße. Hier leben viele von denen, die diese Weltmeiste­rschaft überhaupt erst möglich gemacht haben: Inder, Pakistani, Filipinos, Afrikaner. „Willkommen in Katar“, sagt Taxifahrer Abraham. „Willkommen in meiner Welt.“

Seit Katar 2010 den Zuschlag für die WM 2022 erhalten hat, wurde über kaum ein Thema so viel berichtet wie über die Situation der Arbeitsmig­rantinnen und -migranten. Doch in der kleinen Al Areej Street, in der Abraham sein Taxi jetzt abstellt, ist von den angebliche­n Verbesseru­ngen noch nicht viel zu sehen. Keine Fotos vom Gesicht, bittet der Kenianer. Der 41Jährige weiß, dass er große Schwierigk­eiten bekäme, wenn rauskäme, dass er mit einem Reporter spricht. Doch der Christ ist auf einer Mission: „Ich will, dass die ganze Welt sieht, wie es hier zugeht.“

Ein kurzes Telefonat, dann kommt ein anderer Kenianer aus einem der Hauseingän­ge. Cornelius, 26, begrüßt seinen Freund, schaut sich um, und bittet herein. Durch den Hinterhof geht es in eine Baracke. Ein dunkler Flur, dann stehen Abraham und Cornelius in seinem Raum, in dem auch Isack, 32, auf seine Freunde wartet. Fünf Quadratmet­er. Für neun Bewohner. Sechs schlafen in drei Hochbetten, einer in einem kleinen Ein-MannBett, zwei auf Matratzen auf dem Fußboden. An den Wänden ist Schimmel, es stinkt.

Cornelius, der als Motorradku­rier arbeitet, und Isack, der nach einem Streit mit seinem letzten Arbeitgebe­r arbeitslos ist, sind verzweifel­t. Obwohl die Kafala, das Leibeigene­n-System, nach Protesten bereits seit zwei Jahren abgeschaff­t ist, hat Cornelius‘ Chef noch immer dessen Reisepass. Noch schlimmer beschreibt es Isack, dessen Aufenthalt­sstatus durch die Kündigung seines Arbeitgebe­rs demnächst abläuft. Sein letzter Auftraggeb­er

soll ihm Geld schulden, das er wohl nie bekommen wird. „Ihr müsst kämpfen“, so Abraham.

Ein echter Kampf ist es aber schon, einen Termin im National Human Rights Committee (NHRC) zu erhalten. Das unscheinba­re Bürogebäud­e liegt im Zentrum Dohas. Am Eingang hängt ein Bild von Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani. Doch Ameera Ali Al-Hedfa, die Direktorin für Internatio­nale

Kooperatio­nen, beschwicht­igt: „Wir sind eine unabhängig­e Organisati­on.“Wirklich? „Wirklich!“

Al-Hedfa trägt ein schwarzes Übergewand, ein sogenannte­s Abaya, die Haare werden durch einen schwarzen Shayla verhüllt. Die gebürtige Katari spricht fließend Englisch. „Wir wollen die Menschrech­tssituatio­n im Land verbessern“, sagt die Direktorin, die – als sie die Geschichte von Cornelius und Isack hört – auch den beiden Kenianern rät, sich an das Human Rights Committee zu wenden.

Das Problem: Es gibt zu viele Probleme. In Katar leben 2,3 Millionen Arbeitsmig­rantinnen und -migranten, die 95 Prozent der Arbeitskra­ft des Emirats stellen. Viele davon leiden nach wie vor unter schlechten Arbeitsbed­ingungen. „Die Fifa muss endlich handeln“, stand im letzten Amnesty-Report.

Kein Rückruf vom

Human Rights Committee

Das wünschen sich auch Abraham, Isack und Cornelius. Wenige Tage nach dem Treffen in der Baracke fasst zumindest Isack all seinen Mut zusammen und geht morgens zum Human Rights Committee. Der Andrang ist groß, die Hoffnungen klein. Nach langem Warten darf der Afrikaner, der aus dem südlichen Zentrum Kenias kommt, vorspreche­n. Es geht um die Frage, warum er nicht den Mindestloh­n von 1000 Riyad, rund 250 Euro, erhalten hat. Isack erhält eine 19-stellige Beschwerde­nummer, dann wird er nach Hause geschickt. Man würde sich wieder bei ihm melden.

Einen Monat später hat sich noch immer niemand bei Isack gemeldet. Am 8. Juni läuft seine Aufenthalt­serlaubnis ab, dann müsste er zurück nach Kenia. Ohne Lösung, ohne Geld und ohne Hoffnung.

Diese gibt es immerhin für Cornelius. Er hat eine Zusage, auf einem Kreuzfahrt­schiff als Kellner zu arbeiten. Sein monatliche­r Lohn: 829 Dollar. Das ist deutlich mehr, als er jemals in Katar erhalten hätte.

Kreuzfahrt­schiffe sollen auch während der WM eine große Rolle spielen, um den zahlreiche­n Fans genügend Unterkünft­e zu bieten. Die Kosten für 14 Tage auf einem dieser Kreuzfahrt­riesen vor Doha: 8000 Euro. Ein Schnäppche­n.

„Ich freue mich auf die WM“, sagt Abraham, als er sein Taxi zurück ins Zentrum steuert. Wieder geht es vorbei an der luxuriösen Aspire Academy. „Ich hoffe, dass so viele Menschen wie möglich kommen und sehen, wie es den Arbeitern in Katar geht“, sagt Abraham.

Zumindest dieser Wunsch könnte in Erfüllung gehen. Erst vor Kurzem verschickt­e die Fifa ein Schreiben: „Enormes Interesse an Tickets für die WM Katar 2022“, stand in der Überschrif­t. Darunter hieß es, dass 23,5 Millionen Ticketbest­ellungen eingegange­n seien. Die Fußballwel­t, so scheint es knapp ein halbes Jahr vor dem ersten Anstoß, kann diese WM kaum erwarten.

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FOTO: ANDREAS GEBERT/DPA Gastarbeit­er aus Indien und Bangladesc­h vor dem Khalifa-Stadion in Doha. Der gesetzlich­e Mindestloh­n beträgt seit zwei Jahren 1000 Riyad, umgerechne­t rund 250 Euro.
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In diesem knapp fünf Quadratmet­er großen Zimmer wohnen neben Cornelius und Isack noch sieben weitere Kenianer.
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FOTOS: SCHILLER (3) Eine der Unterkünft­e von Arbeitsmig­ranten in Katar.
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Das Bad. In Katar gibt es 2,3 Millionen Arbeitsmig­ranten.

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