Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Prinzessinnen rauben, aber richtig
Gäbe es keine Drachen, wäre der Hochadel längst ausgestorben. Denn wenn Prinzessinnen nicht von Drachen geraubt würden – wie könnten Prinzen dann merken, dass sie ohne ihre Herzallerliebste nicht sein mögen? So schwingen sie sich aufs Pferd, befreien die Prinzessin aus der schnuckeligen Höhle, die die Raubdrachen für sie eingerichtet haben – und dann läuten die Hochzeitsglocken.
Das richtige Rauben ist also quasi überlebenswichtig und eine große Ehre, findet der große violette Raubdrachenlehrer, der seinen Job seit 500 Jahren macht. Streng nach Lehrbuch – ja, es gibt extra eines. Der kleine grüne Drache hingegen ist genervt: stundenlanges Warten, bis mal eine Kutsche mit Prinzessin kommt, blutige Schrammen vom Kampf mit der Ritter-Eskorte – und kein Dank, nirgends.
Das braucht er nicht, ebenso wenig, wie Caramella einen Prinzen braucht. Die Prinzessin will die Welt sehen, Abenteuer erleben. Daher ist sie ziemlich sauer, als sie geraubt wird, und wirbelt alles gehörig durcheinander. Den Rattinchen, die den Drachenmüll entsorgen, baut sie ein schönes Zuhause samt Pool. Prinzessin Poppy, die ebenfalls geraubt wurde und das alles wunderbar findet, zeigt sie, was noch so alles geht. Poppy macht ihr im Gegenzug
klar, dass traditionelle Prinzessinnen glücklich und zufrieden sein können. Vor allem, wenn sie einen kleinen, dünnen, ängstlichen Prinzen lieben, der mehr Mut beweist als alle muskelbepackten Königssöhne zusammen.
Und so krempelt Dagmar H. Mueller in ihrem wunderbaren Gute-Laune-Buch die Verhältnisse originell und wortwitzig immer wieder um, bringt unaufdringlich Rollenklischees ins Wanken und zu der Einsicht, dass Glück nicht von den Regeln abhängt, die andere aufgestellt haben.
Prächtig und detailreich in Szene gesetzt hat Sabine Rothmund das alles, lässt Rattinchen durch die Seiten wuseln, bonbon-bunte Drachen ihre Fußspuren hinterlassen und Prinzessinnen schmollen. Nicht zum letzten Mal: Der zweite Band ist schon in Arbeit.