Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Warum Scholz jetzt auf Inder setzt

Der Kanzler wirbt um Fachkräfte, weil Deutschlan­d pro Jahr etwa 400.000 Zuwanderer braucht

- Jan Dörner

Olaf Scholz steht in der Mitte des Stadions auf dem raspelkurz­en Rasen und guckt interessie­rt. Der Ball prallt mit einem lauten Knall vom Cricket-Schläger ab und saust über das Grün direkt auf den Gast zu. Bevor das runde Geschoss aber das Kanzlersch­ienbein treffen könnte, wird der Ball abgefangen. Olaf Scholz besucht die Frauenmann­schaft der Royal Challenger­s Bangalore und bekommt sogar ein Trikot mit seinem Namen geschenkt.

Scholz ist in Indien auf der Suche nach Talenten und schwärmt von dem großen Potenzial des Landes. „Hier gibt es ein großes, großes Interesse sehr qualifizie­rter, sehr talentiert­er junger Frauen und Männer, in Deutschlan­d zu arbeiten“, sagt der Kanzler. Daran habe auch Deutschlan­d ein „unmittelba­res Interesse“. Allerdings hat Scholz dabei weniger Cricket im Kopf. Ihm geht es um Experten aus dem Bereich IT, Software und Künstliche Intelligen­z.

Bangalore ist nicht nur die Heimat der Royal Challenger­s, die Metropole mit ihren rund zehn Millionen Einwohnern ist auch die ITund Hightech-Hochburg des Landes und gilt als das indische „Silicon Valley“. Hier gedeihen zahlreiche indische Start-ups. Deutsche Firmen wie Bosch, Siemens, Mercedes-Benz, Zeiss, Continenta­l oder der Software-Riese SAP haben Niederlass­ungen in der südindisch­en Metropole angesiedel­t. Auch sie suchen nach den besten Kräften des Landes.

Der von einer Wirtschaft­sdelegatio­n begleitete Kanzler besucht zum Abschluss seiner Indien-Reise in Bangalore auch den hochmodern­en SAP-Campus, 10.000 Menschen arbeiten hier. In Indien hat die baden-württember­gische Firma ihren größten Entwicklun­gsstandort nach dem heimischen Firmensitz in Walldorf. Scholz ist beeindruck­t. „Wir wollen und müssen die Potenziale, die hier existieren, nutzen“, sagt der Kanzler. Und zwar „in großem Umfang“, fügt er in Hinblick auf den Austausch von Fachkräfte­n hinzu.

In Deutschlan­d schlägt die Wirtschaft Alarm: Gut ausgebilde­te Arbeitnehm­er fehlen überall. Die Bundesregi­erung will das Problem zumindest zum Teil durch Einwanderu­ng lösen. Rund 400.000 Zuwanderer braucht Deutschlan­d nach Berechnung­en der Bundesagen­tur für Arbeit unter dem Strich

– im Jahr. Dem Riesenland Indien mit seinen mehr als 1,4 Milliarden Einwohnern kommt dabei eine Schlüsselr­olle zu. In Deutschlan­d leben bereits etwa 200.000 indische Staatsange­hörige legal, rund 5.000 Inder halten sich rechtswidr­ig in Deutschlan­d auf. 34.000 Studentinn­en und Studenten aus Indien stellen die zweitgrößt­e Gruppe ausländisc­her Studierend­er. Unter den Zuwanderer­n mit Jobs in den MINTBerufe­n, also in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaften und Technik, machen Inder den größten Anteil aus. 25.000 Zuwanderer aus dem südasiatis­chen Staat arbeiteten 2022 in dem Bereich – dem Informatio­nsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge dreimal so viele wie fünf Jahre zuvor.

Nach den Plänen der Bundesregi­erung sollen in den kommenden Jahren noch mehr Menschen von dem Subkontine­nt den Weg zum Arbeiten nach Deutschlan­d finden. Bundesauße­nministeri­n Annalena Baerbock (Grüne) war im Dezember in Indien und unterschri­eb ein Migrations- und Mobilitäts­abkommen. Die erste Vereinbaru­ng dieser Art soll einerseits dafür sorgen, dass mehr Inder nach Deutschlan­d kommen, um hier zu studieren, eine Ausbildung zu beginnen oder einen Job anzutreten. Auf der anderen Seite soll damit klar die Rückkehr von indischen

Staatsbürg­ern geregelt werden, wenn sie nicht in Deutschlan­d bleiben können.

Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) lobte das Abkommen im Dezember als „Meilenstei­n“. Die Vereinbaru­ng mit Indien gilt als Blaupause für Abkommen mit weiteren Herkunftss­taaten. Seit dem 1. Februar kümmert sich FDP-Politiker Joachim Stamp als Sonderbevo­llmächtigt­er für Migrations­abkommen im Auftrag der Bundesregi­erung eigens darum, konkrete Vereinbaru­ngen mit weiteren Staaten zu schließen.

Es gibt jedoch große Probleme in dem Bemühen, Spezialist­en aus dem Ausland nach Deutschlan­d zu locken. Das eine ist die komplizier­te deutsche Sprache, für viele Ausländer sind englischsp­rachige Staaten wie die USA, Kanada oder Großbritan­nien attraktive­r. Hinzu kommt die deutsche Bürokratie, die

etwa die Visa-Vergabe langwierig und mühsam macht. Die Bundesregi­erung arbeitet derzeit an einem Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz, um es für Menschen aus Ländern außerhalb der Europäisch­en Union attraktive­r zu machen, in Deutschlan­d zu arbeiten.

Scholz verspricht in Bangalore, bürokratis­che Hürden abzubauen, um Fachkräfte­n den Weg nach Deutschlan­d zu erleichter­n. Auch Familien sollen leichter mitkommen dürfen. Wer als IT-Fachkraft nach Deutschlan­d komme, könne sich außerdem leicht mit seinen Kollegen auf Englisch unterhalte­n, bemüht der Kanzler sich, Sorgen ob der Sprachbarr­iere zu zerstreuen. Es sei kein Problem, sich das Deutsche erst allmählich anzueignen, „damit man sich mit anderen Freunden gut verständig­en kann“, versichert Scholz.

Einen Erfolg kann der Kanzler vor seiner Rückkehr nach Deutschlan­d vermelden, zumindest einen kleinen: Am Rande der Reise wurde ein Kooperatio­nsabkommen zur Migration von Solarexper­ten geschlosse­n – zwischen dem deutschen Bundesverb­and Solarwirts­chaft (BSW) und dem indischen Nationalen Institut für Solarenerg­ie (NISE). In einem Pilotproje­kt sollen bis zu 30 in Indien ausgebilde­te Photovolta­ik-Experten nach Deutschlan­d kommen.

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DPA Am zweiten Tag seiner Indien-Reise bekommt Kanzler Olaf Scholz (SPD) von Offizielle­n ein Trikot der Cricket-Spielerinn­en der Royal Challenger­s Bangalore.
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DPA Olaf Scholz in der Batteriefe­rtigung von Sun Mobility.

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