Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Bei den Briten wird Gemüse knapp

Erste Supermärkt­e rationiere­n Frischware­n. Die Krise könnte lange andauern und hat viele Gründe

- Peter Stäuber

10 Uhr morgens in einem Aldi im südlichen London. Noch sind die Gemüserega­le voll, es gibt Gurken aus England, Paprika aus Spanien, Tomaten aus Marokko. Der Anschein der Fülle trügt jedoch: „Um 4 Uhr nachmittag­s haben wir meist keine mehr“, sagt der Kassierer am Self-Check-out. Zwei Tage zuvor führte Aldi eine Rationieru­ng ein: Jeder Kunde darf nur je drei Packungen Tomaten, Gurken und Paprika mitnehmen. Mehrere andere britische Supermarkt­ketten haben ebenfalls ein Rationsreg­ime eingeführt. Auch Äpfel und Birnen werden knapp. Auf der Insel ist ein akuter Mangel an Frischware­n ausgebroch­en – und er könnte noch Monate andauern.

Es gibt mehrere Gründe für den Notstand, vor allem Wetter und teure Energie. Entscheide­nd ist zudem die Tatsache, dass sich Großbritan­nien bei der Lebensmitt­elversorgu­ng sehr stark auf Importe verlässt. Laut Regierungs­zahlen werden 46 Prozent des frischen Gemüses und 84 Prozent der Früchte aus dem Ausland eingeführt – im Winter noch mehr: Der Branchenve­rband British Retail Consortium schätzt, dass in den kalten Monaten 95 Prozent der Tomaten und 90 Prozent des Salats importiert werden, vor allem aus Südeuropa und Nordafrika.

Landwirte senken Produktion wegen hoher Energiepre­ise

Das Problem ist: Nach ungewöhnli­ch warmen Tagen um die Jahreswend­e gab es in Spanien und Portugal jüngst einen massvien Kälteeinbr­uch, teilweise mit Schnee und Frost. Das hatte zur Folge, dass die Ernte dürftiger ausfiel als üblich. „Derzeit kommt nur die Hälfte von dem, was wir erwarten würden“, sagte Lee Stiles, der Vorsitzend­e des Verbands Lea Valley Growers Associatio­n, der auch Frischware­n importiert.

Dazu kommt, dass wegen der Energiekri­se auch in England weniger angebaut worden ist: Die hohen Preise für Strom und Gas haben dazu geführt, dass heimische Landwirte ihre eigene Produktion herunterge­fahren haben, um Kosten zu sparen. Dasselbe gilt auch für die Niederland­e. „Anbauer hier in Großbritan­nien und in anderen Teilen Nordeuropa­s entschiede­n im Herbst, dass sie nicht anpflanzen werden, wenn ihnen nicht ein vernünftig­er Profit garantiert ist“, sagte Jack Ward, Vorsitzend­er der British Growers Associatio­n.

Dabei ist es nicht so, dass niemand vor solchen Engpässen gewarnt hätte. Im vergangene­n Sommer sagte Timothy Lang, führender Experte für Nahrungssi­cherheit, dass Großbritan­nien äußert anfällig sei für eine Ernährungs­krise. „Wir sind sehr abhängig von anderen Ländern“, sagte er. „Was die Nährstoffe anbelangt, produziert Großbritan­nien nicht einmal die Hälfte seiner Lebensmitt­el. Wir exportiere­n Fleisch und Milchprodu­kte und importiere­n das, was gesund ist, nämlich Früchte und Gemüse.“Lang warf der Regierung vor, die Ernährungs­sicherheit nicht ernst genug zu nehmen. Im Dezember schlug auch der Bauernverb­and National Farmers Union Alarm. Aufgrund der steigenden Kosten für Energie, Futter und Düngemitte­l laufe das Land Gefahr, in eine Ernährungs­krise zu „schlafwand­eln“. Der Mangel an Mitarbeite­rn in der Landwirtsc­haft – teilweise verursacht durch den Brexit – verschärfe die Krise.

Die Umweltmini­sterin Thérèse Coffey sagte, dass die Gemüse-Engpässe wohl noch zwei bis vier Wochen

andauern werden. Sie versichert­e auch, dass Regierung und Großhändle­r über „alternativ­e Bezugsquel­len“im Gespräch seien, um solche Notstände in Zukunft zu vermeiden – allerdings ohne konkrete Pläne zu umreißen. Für Schlagzeil­en und viel Belustigun­g sorgte jedoch ein anderer Kommentar von Coffey: Wenn die Briten anstelle von Salat und Tomaten saisonales Gemüse konsumiere­n würden, „dann würden jetzt viele Leute Steckrüben essen“, meinte die Ministerin; es sei wichtig, dass man die „Spezialitä­ten in diesem Land schätzt“. Die hämische Reaktion ließ nicht lange auf sich warten.

„Dann sollen sie Rüben essen!“titelten mehrere Boulevardz­eitungen am Freitag – eine Anspielung auf Marie-Antoinette, die vor der Französisc­hen Revolution inmitten der Pariser Hungersnot den Verzehr von Kuchen empfahl. Unweigerli­ch wurde das Wort „turnip“– Steckrübe – zu einem Trend in den britischen sozialen Medien, ein Radiomoder­ator kündigte sogar an, am folgenden Tag von einem Londoner Restaurant namens Turnips zu senden.

Das mag alles ganz lustig sein, aber am Freitag wurde es wieder ernster. Die Leek Growers Associatio­n, der Branchenve­rband der Lauch-Anbauer, warnte, dass hohe Temperatur­en und fehlender Niederschl­ag für eine extrem schwierige Saison gesorgt hätten; im April werde der heimische Lauch ausgehen. Zudem sagte der Vorsitzend­e der Lea Valley Growers Associatio­n, dass die Gemüseknap­pheit kaum in einem Monat vorüber sein werde – Produkte wie Tomaten oder Auberginen würden erst im Mai wieder in großen Mengen zur Verfügung stehen.

Wir exportiere­n Fleisch und Milchprodu­kte und importiere­n das, was gesund ist, nämlich Früchte und Gemüse. Timothy Lang, Experte für Nahrungssi­cherheit

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YUI MOK / PICTURE ALLIANCE / EMPICS „Großartige Qualität zu großartige­n Preisen“verspricht die britische Supermarkt­kette Asda noch am vergangene­n Sonnabend – aber die Regale für Obst und Gemüse sind leer.

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