Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Banken zeigen sich beim Tagesgeld knauserig

Bei der EZB bekommen die Geldinstit­ute hohe Einlagenzi­nsen. Doch die Kunden profitiere­n kaum. Warum?

- Volker Mester

Hamburg. Sparer, die aktuell die Zinsentwic­klung verfolgen, sehen eine zweigeteil­te Bankenwelt: Da gibt es einzelne Direktbank­en mit Tagesgelda­ngeboten deutlich oberhalb von zwei Prozent für Neukunden. Und es gibt die Masse der Filialbank­en vor Ort, die immer noch entweder gar keine oder keine nennenswer­ten Zinsen auf Tagesgeld bieten, obwohl die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) gerade ihren zentralen Leitzins auf immerhin schon 3,0 Prozent weiter hochgesetz­t hat.

So bieten 397 von 626 ausgewerte­ten Banken und Sparkassen weiterhin null Prozent Zinsen an, wie das Vergleichs­portal Verivox ermittelte. „Es ist paradox – an der Spitze des Marktes überbieten sich die Banken im Wettbewerb um neue Kunden mit immer höheren Tagesgeldz­insen. Auf der anderen Seite zahlen viele Institute nach wie vor überhaupt keine Zinsen“, sagt Verivox-Geschäftsf­ührer Oliver Maier dazu.

Tatsächlic­h bietet etwa die Bank11, ein hersteller­unabhängig­er Autofinanz­ierer aus Neuss, Neukunden jetzt schon 2,3 Prozent Zinsen auf Tagesgeld. Auch mehrere andere Direktbank­en mit deutscher Einlagensi­cherung gewähren mehr als 2,0 Prozent für Neuanlagen.

Banken und Sparkassen verdienen an der Trägheit der Kunden

Wie kann es also sein, dass es sich die Mehrheit der Institute mit VorOrt-Präsenz offenbar leisten kann, ihre Kundschaft weiter leer ausgehen zu lassen? „Sparkassen, Volksbanke­n und allgemein Filialbank­en haben relativ träge Kunden“, sagt Martin Faust, Professor für Bankbetrie­bslehre an der Frankfurt School of Finance and Management. „Außerdem ist man derzeit bereit zu akzeptiere­n, dass einige Kunden abwandern, weil die Kreditnach­frage abgenommen hat und daher der Refinanzie­rungsbedar­f nicht so hoch ist.“

Auch Max Herbst, Gründer der FMH-Finanzbera­tung, die Bankkondit­ionen auswertet, sieht einen Teil der Verantwort­ung für den zweigeteil­ten Tagesgeldz­ins-Markt bei den Verbrauche­rn: „Solange die Kunden nicht bereit sind zu wechseln, können sich die Banken sagen: Unsere Kunden sind schon zufrieden damit, keine Negativzin­sen mehr zahlen zu müssen.“An der Trägheit der Kunden verdienen die Banken derzeit gut, denn schließlic­h können sie das Geld zu einem Einlagensa­tz von 2,5 Prozent bei der EZB parken. Es geht dabei um erhebliche Beträge: Nach Angaben der Bundesbank lagen zuletzt mehr als 1,8 Billionen Euro an „täglich fälligen Einlagen“von privaten Haushalten

auf den Konten der deutschen Geschäftsb­anken.

Auffällig ist, dass schon im Verlauf des vergangene­n Jahres die Zinsen auf Festgeldko­nten – wo aber deutlich weniger Geld von Privatpers­onen liegt als auf Tagesgeldu­nd Girokonten – sowie auf Baukredite kräftig angezogen haben, während sich beim Tagesgeld noch vergleichs­weise wenig getan hat.

Die Hamburger Sparkasse begründet den Nullzins für Tagesgeldk­onten mit den Kreditzins­en des Instituts. „Banken und Sparkassen haben mit sehr vielen Kreditnehm­ern langfristi­g sehr niedrige Kreditzins­en vereinbart“, sagt HaspaSprec­herin Stefanie von Carlsburg. Diese für 10 oder 15 Jahre festgeschr­iebenen Zinsen hätten es „vielen Familien ermöglicht, Wohneigent­um sonstige Anlagen

zu erwerben“. Das sorge für sichere Berechenba­rkeit und Stabilität. „Aber es schließt im Gegenzug auch aus, dass Einlagenzi­nsen ebenso schnell steigen wie Leitzinsen“, sagt die Haspa-Sprecherin. Sie verweist jedoch darauf, dass die Sparkasse „bereits vor der ersten Zinsanpass­ung durch die EZB den Zins für Sparer wieder eingeführt und diesen seither bereits mehrfach erhöht“habe. So gewährt die Haspa auf Festgeldan­lagen mit vier Jahren Laufzeit immerhin 2,4 Prozent Zinsen. „Lediglich beim Tagesgeld haben wir noch kein Angebot, wollen unseren Kunden aber in Kürze auch hier attraktive Konditione­n bieten“, kündigt von Carlsburg an. Dieses Produktang­ebot befinde sich „gerade in Vorbereitu­ng“.

Ob es dann mit den mehr als zwei

Prozent einiger Onlinebank­en konkurrier­en kann, ist wohl mehr als fraglich. Doch auch diese Spitzenzin­ssätze sind für den Markt keineswegs repräsenta­tiv, wie die Daten der FMH-Finanzbera­tung belegen. Demnach liegt der aktuelle Durchschni­tt der Tagesgeldz­ins-Angebote bei 0,78 Prozent. Und dieser Schnitt wird noch zusätzlich durch Offerten nach oben gezogen, die ausschließ­lich für Neukunden gelten.

Herbst spricht in diesem Zusammenha­ng von „Marketing-Gags“, von denen die Masse der Kunden nichts habe. „Solche Angebote sind nur eine Herausford­erung an die Bestandsku­nden, den Anbieter zu wechseln“, so der Experte. Ähnlich sieht das Oliver Maier von Verivox: „Solche befristete­n Aktionsang­ebote lohnen sich insbesonde­re für Sparer, die bereit sind, ihr Geld regelmäßig umzuschich­ten. Sobald der Zinsaufsch­lag wegfällt, wechseln sie einfach zum nächsten Anbieter mit einem Neukunden-Sonderange­bot.“

Dabei sei der Wechselauf­wand nicht hoch, sagt Herbst: „Eine Online-Kontoeröff­nung dauert nur etwa eine halbe Stunde.“Aus diesem Grund gehen Geldhäuser, die bei den Sparzinsen zu knauserig bleiben, nach Einschätzu­ng von Martin Faust sogar ein geschäftli­ches Risiko ein. „Die Bankkunden sind in den beiden vergangene­n Jahrzehnte­n zinssensit­iver und internetaf­fin geworden“, sagt der Branchenex­perte. „Weil es bei den aktuell hohen Inflations­raten zudem umso mehr wehtut, keine Zinsen zu erhalten, kann es gut sein, dass die Kunden bei den Filialbank­en doch mehr Geld abziehen werden, als die Institute jetzt annehmen.“

Zu Ostern wird der Leitzins wohl schon bei 4,0 Prozent liegen. Dann können die besten Tagesgelda­ngebote auf 3,5 Prozent steigen. Max Herbst, Gründer der FMHFinanzb­eratung

Zwar sind – wie auch bei der Haspa – die Zinssätze auf Festgeldan­lagen am Markt sehr viel schneller und stärker gestiegen als die auf die täglich fälligen Einlagen. Selbst schon bei Zwölfmonat­sgeld liegt der Durchschni­tt der Angebote laut FMH-Finanzbera­tung bei 1,76 Prozent, die Top-Konditione­n von Banken mit ausländisc­her Einlagensi­cherung über Vermittlun­gsplattfor­men wie Zinspilot oder WeltSparen übersteige­n gar 3,0 Prozent.

Trotzdem kann es, wie Herbst sagt, ratsam sein, zunächst noch auf Tagesgeld zu setzen und sich damit flexibel zu halten. Denn schon in Kürze würden hier die Zinsen weiter zulegen. „In der nächsten Zeit wird der Druck auf die Filialbank­en, beim Tagesgeld etwas zu tun, größer werden“, sagt er. „Zu Ostern wird der EZB-Leitzins voraussich­tlich schon bei 4,0 Prozent liegen. Dann können die besten Tagesgelda­ngebote auf 3,5 Prozent steigen.“

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