Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Eine Art Götterdämmerung
Im Nibelungen-Theater des Erfurter Waidspeichers überleben die Menschen die Puppen
„Eine zierliche Fresse hast du“, ruft Siegfried, dieser heldische Kindskopf (Heinrich Bennke), dem Drachen zu, bevor er ihm selbige poliert und für immer schließt. Es ist die, nun ja, Fresse von Tomas Mielentz, der den Drachen am Mikrofon tönen lässt, derweil die bärtige Mundpartie, projiziert auf den Gazevorhang, groß und größer wird.
In dieser Szene besiegt gleichsam die Puppe den Menschen. Doch ist dies ja erst der Anfang ihrer Erzählung nach dem Nibelungenlied, das sie binnen achtzig Minuten bis zum bitteren Ende führen, bis zu Kriemhilds Rache. Dann rollen beziehungsweise fallen Puppenköpfe – und übrig bleibt der Mensch. Auch eine Art Götterdämmerung.
Die fand, auf langem Weg von der germanischen Mythologie zum mittelhochdeutschen Heldenepos, ohnehin statt. Dessen Eingangsstrophe haben sie nun mit Kreide an den Spieltisch gekritzelt: „Uns ist in alten maeren wunders vil geseit.“
Doch beschränkt sich Regisseur Frank Alexander Engel, der damit das Dutzend seiner Inszenierungen fürs Theater Waidspeicher vollmacht, nicht auf diesen Text. Er erzählt mit Ausstattungspartnerin Kerstin Schmidt sowie mit vier Spielern „nach verschiedenen Quellen der mittelalterlichen Sage“,
Kurze Szenen, schnelle Schnitte und weitere filmische Elemente
Dazu gehören wohl die Edda: Die Verliebt-verlobt-aber-nicht-verheiratet-Vorgeschichte von Siegfried und Brünhild, im Nibelungenlied allenfalls noch zu erahnen, taucht hier wieder auf. Eine eigene Setzung, Brünhild nach Siegfrieds Tod nicht ganz und gar aus der Geschichte zu verbannen, tritt hinzu.
So entsteht „Gold Macht Liebe Tod – Das Nibelungenlied“als episches, also illusionsfreies, aber stimmungsvolles Theater: in seiner (fast
Brechtschen) Form, ganz und gar nicht, was Länge und Breite betrifft.
Kurze Szenen, schnelle Schnitte. Fast filmische Elemente auch durch veränderte Einstellungsgrößen: von der Totalen bis zum Close-up. Das erreichen sie mit Licht und dem Wechsel einer Figur von der Puppe zu ihrem Spieler. Und der kann, im Gegensatz zur Puppe, wie wir hier sehen, sehr hübsche verschiedene Fressen ziehen: in diesem Fall besonders Juliane Solvång, wenn sie Hagen von Tronje, mit der rechten Hand vorm Auge, eine verschmitztverschlagene Grinseschnute leiht.
Schau- und Puppenspiel nachund nebeneinander – kaum aber miteinander – ist das Prinzip. Wir sehen ein Quartett als Ensemble, darunter auch Melissa Stock im Waidspeicher-Debüt. Die Puppen, oft auf eine mit dem Figurennamen beschriftete Kiste gestellt, kommen vorzugsweise solistisch daher. Interaktionen zwischen Puppe und Puppe sowie zwischen Puppe und Spieler bleiben leider die Ausnahme.
Siegfried ist der ganze nackte, allerdings nach Kämpfen mit Drachen wie mit Dänen und Sachsen blutbefleckte Unschuldsknabe, König Gunther ist das opportunistische Weichei, Kriemhild das zarte Wesen, das zur Furie werden wird.
Das alles erzählen sie uns an einem Ort, der zugleich Amtsstube und Thronsaal sein könnte sowie, mit Gebirgsmassiv auf Fototapete, zugleich ein Drinnen und Draußen. Links und rechts vor Mikrofonen, die für Hall und Nachhall sorgen, zwei Geräuschemacherboxen. Sebastian Herzfeld hat extra noch Musik und Klang eingespielt: schön, aber ein bisschen zu viel des Guten.
Der fraglos sehenswerte und subtil komödiantische Abend sucht, auf seine Weise, das Gesamtkunstwerk. Die einzelne Puppe geht darin jedoch ein wenig unter.
Nächste Termine meist ausverkauft. Karten noch für 2. & 8. März, 10 Uhr.