Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
„Es braucht die öffentliche Debatte“
Eckart Lintzel beleuchtet Situation von Leinefelde-Worbis und analysiert den Fusionsgedanken
Leinefelde-Worbis. Über die Zukunft und Entwicklung der Stadt Leinefelde-Worbis wird derzeit viel diskutiert. Wir wollten von Eckart Lintzel (CDU), dem ehemaligen Bürgermeister von Worbis und späterem Ersten Beigeordneten der Einheitsstadt wissen, was vom damaligen Fusionsgedanken geblieben ist und was er rät.
Mit welchen Ideen sind Sie in die Fusion zur Stadt Leinefelde-Worbis gegangen?
Den Herausforderungen, Worbis mit nur rund 5500 Einwohnern plus Kreisstadtverlust und in der direkten Nachbarschaft Leinefelde mit dramatischen Einwohnerverlusten, etwas entgegensetzen. Eine Lösung schaffen, zeitgemäß sein und den Menschen mit diesem mutigen Aufbruch einen Schwung vermitteln, also Zukunft schaffen, anstatt im Wettbewerb parallel in die gleichen Sachen und wo möglich auch noch unabgestimmt zu investieren und dabei auch noch den gemeinsamen Standort zu schwächen. Das waren meine wesentlichen Beweggründe.
Welche wichtigen Punkte gab es noch für Sie?
Es galt erstens, die Finanzkraft durch das Zusammenführen beider Vermögen und Erträge zu stärken. Zweitens ging es um die Stärkung der Standortkompetenz als ein funktionsteiliges Mittelzentrum mit über 20.000 Einwohnern und ein größeres Potenzial an Entwicklungsflächen. Dritter Punkt war die Stärkung der Verwaltung durch die Zusammenlegung beider Verwaltungen mit den Möglichkeiten, sich spezieller und breiter aufstellen und ein besserer Dienstleister und Entwickler sein zu können.
Wie war es um die Finanzen und Entscheidungen in Worbis bestellt?
Wir wollten den Schritt der Fusion noch zu einem Zeitpunkt tun, in der sich keine der Gemeinden in einer finanziellen Not befindet und man sich auf Augenhöhe einlässt. Am besten kannte ich natürlich unseren, den Worbiser Haushalt. Als kleine Stadt überdurchschnittlich mit Einrichtungen ausgestattet, mussten wir auch den Verlust des Kreissitzes hinnehmen. Wir mussten den Haushalt konsolidieren und dabei hauptsächlich alle freiwilligen Leistungen, das bedeutet alle Einrichtungen, infrage stellen und Lösungen finden. Das hatte eine sehr lange Zeit zu kontroversen
Diskussionen und schließlich zu vielen schweren, teils schmerzhaften Entscheidungen geführt, die natürlich nicht das Wohlwollen der Interessengruppen finden konnten. Ein über 110 Jahre altes Freibad musste geschlossen werden, für den ehemaligen Kreistierpark möglichst eine gute Nachfolge, eine traditionelle Kegelbahn abgerissen und die Säle in Kirch- und Kaltohmfeld privatisiert werden, um mal einiges beispielhaft zu nennen. Aber wir haben mit unserem, teils sehr kontroversen, übrigens stets öffentlichen, komplexem und konsequentem Vorgehen letztlich Ausgleichszahlungen von einigen Millionen bekommen, die wir nicht zurückzahlen mussten. Und so gelang in wenigen Jahren die haushaltstechnische Gesundung, ohne dass wir auf wichtige Investitionen verzichten mussten. Wir konnten aber auch für unsere Verhältnisse eine überdurchschnittliche Steuerkraft vorweisen. Die war dann sogar zum Zeitpunkt der Fusion die stärkste aller Partner.
Was war das Besondere?
Wir hatten uns schon gleich Anfang der Neunziger zu einer Planungsgemeinschaft „Funktionsteiliges Mittelzentrum Leinefelde/ Worbis“zusammengeschlossen. Das war nicht nur einmalig, sondern brachte uns bei unseren übergeordneten Behörden
höchste Beachtung und Unterstützung ein. Schließlich unterstützten wir so auch die Interessen der Landesplanung. Und wir schafften damit eine sehr gute Grundlage für die Fusion. Wir hatten quasi ein Flächenentwicklungskonzept.
Was von alle dem strahlt in die Gegenwart?
Ich bin zwar schon nach einem reichlichen Jahr des Zusammenschlusses als Beigeordneter aus der Verwaltung ausgeschieden und hatte, entgegen der Absprache, bis dahin auch nur einen geringen Einblick und dann natürlich gar keinen mehr, aber eines konnte jeder mitverfolgen: Wir waren damals schlagartig nicht nur die Gemeinde mit dem größten Finanzumfang, sondern auch mit der größten Finanzkraft im Kreis. Und wir bekamen auch noch eine traumhafte Hochzeitsprämie. Wir hatten weit über 20.000 Einwohner und in der Raumordnungsplanung einen anderen Stellenwert. Und damit für Vorhaben im Wohnungsbau, bei Gewerbe- und Industrieansiedlungen, für Einzelhandelsflächen und vieles mehr gute Voraussetzungen. Und das ist bis heute so. Die Verwaltung konnte sich, abgesehen von einigen Dingen, unter anderen der Abschaffung der Stelle für den hauptamtlichen Beigeordneten, tatsächlich breiter aufstellen, hat seither
viele Ausbildungen vornehmen können. Also von daher haben wir viel, sehr viel erreichen können. Und gegenüber vielen anderen hat die Verwaltung in der fusionierten Konstellation inzwischen schon fast eine 20-jährige Erfahrung. Es ist doch gut, dass wir darauf zurückgreifen können. Darauf können wir doch bauen. Natürlich muss jetzt was fortgeführt werden, was noch sehr jung ist. Aber es gibt dafür auch vieles an guten Chancen.
Herr Lintzel, das ist Ihre Analyse. Wie bewerten Sie die Gegenwart?
Ich hätte da einen Hinweis: Macht die Entscheidungsprozesse wieder öffentlich, damit es nicht wieder Überraschungen von An- und vor allem Verkäufen geben kann. Davon hatten wir zu viele in der Vergangenheit. Sonst gibt es auch keine guten Lösungen, zwangsläufig kein Vertrauen, zu wenig Verständnis und kaum Mitwirkung. Und nur das ist auch rechtmäßig. Und noch eines: Um etwas Begonnenes gut weiter führen und entwickeln zu können, ist es wichtig, die Geschichte zu kennen. Zukunft braucht Herkunft, heißt es zurecht. Dazu bedarf es der freigiebigen aufgeschlossenen Weitergabe von denen, die Mitwirkten, und dem Interesse der Nachfolgenden, für dieses offen zu sein. Mehr nicht. Dann hat es Kultur.