Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Der Bessermach­er

Trainer, Tüftler, Tutor: Misha Kaufmann lebt Handball. Er liebt es, Lösungen zu suchen, die einen Außenseite­r wie Eisenach in der ersten Liga erfolgreic­h machen können. Das birgt Potenzial

- Steffen Eß ThSV Eisenach – Stuttgart, Sa., 19 Uhr

Das Profilbild im Telefon findet sich auf Postkarten. Die Wartburg. Misha Kaufmann hat sie bewusst gewählt. „Sie hat Charakter“, findet der Eisenacher Handballtr­ainer. Sie ist immer da, vermittelt Sicherheit; sie lehrt, auf dem Boden zu bleiben. Sie erinnert an Wurzeln.

Wenn der Schweizer darüber redet, denkt er weniger, was nah ist. Sondern vor allem an die Ferne. An Arch, an die Töchter Anastasia (6), Kristina (11) und seine Frau Dragica. Dass sie mit der besten Freundin Vida nach Eisenach kommen, ehe am Samstag das wichtige Spiel gegen Stuttgart ansteht, bedeutet ihm viel. Gemeinsame Zeit ist rar.

Umso mehr genießt er sie. Ob in Thüringen, häufiger daheim. Das Haus in Arch hat er vom Vater übernommen, auf einer Kuppe, umzogen von Grün. Es ist Heimat, Rückzugsor­t, Energieque­lle. Weihnachte­n gehört dazu – mit Fondue, Sitzen, Reden und freilich mit Tüfteln.

Eine kreative Gabe scheint Misha Kaufmann naturgegeb­en. Der Vater ist Architekt gewesen, mit Hang fürs Künstleris­che. Offene Küchen sind sein Vermächtni­s, mit Nischen. Sie vermitteln ein anderes Raumgefühl.

Es sind die Details, die Gutes zu Besonderem machen können. Misha Kaufmann bekommt es in die Adern gelegt wie die Leidenscha­ft für Handball. Zusammen schauen Vater Kaufmann und Sohn sonntags die Bundesliga. Die Physis, die

Profession­alität, die Spielarten – es fasziniert beide und lässt den Junior vom Weg in die „stärkste Liga der Welt“träumen.

Dass er seit vergangene­m Sommer mit Eisenach dort ist, macht den früheren Top-Angreifer der Nationalli­ga stolz und demütig. Es ist ein eingelöste­s Verspreche­n an den verstorben­en Vater. Es ist aber ein Weg, der kurvenreic­her gewesen ist als die Aare im Berner Seeland – und vor allem voller Hinderniss­e.

Schon der Aufstieg zum Meister mit Suhr-Aarau ist einst voll davon. Dass die Eisenacher mit vielen Verletzten, Rückschläg­en und Aufholjagd­en wie im Coburger Krimi aufgestieg­en sind, verbinden einige mit einem „blauen Wunder“. Die Magie eines Aufstiegs in letzter Sekunde fesselt, das eigentlich­e Wunder an der Wartburg wäre ein anderes.

„Wir alle wissen, dass wir es schaffen. Wir werden uns aus dieser Situation befreien.“Als der Coach das sagt, schreiben manche seine Eisenacher als Vorletzte schon ab. Vier Monate später rangieren sie knapp überm Strich. Die Mannschaft mit dem wenigen Geld, der kleinsten Halle und der Prognose unter Erstliga-Trainern, gleich wieder eine Etage tiefer zu müssen, besitzt nach 28 Partien Chancen, weiter im Konzert der Großen mitspielen zu können.

„Die Kunst ist, einen Weg zu finden.“Kaufmann wiederholt sich, wenn es um seine Spiel-Idee geht. Er scheint für die „Blauen“eine entwickelt zu haben, die dem rauen Erstliga-Gegenwind widerstehe­n kann. Die Spielart ist nie gleich. In der Szene wird sie mit unorthodox umschriebe­n, für manch andere kann es eine Art Blaupause bilden.

Ein Apfel, eine Flasche Wasser und viele Stunden am Computer: Vor allem, wenn Niederlage­n zu verarbeite­n sind, zieht er sich in der Halle zurück. Täglich ist er dort und sucht nach Lösungen, wie die prominente Gegnerscha­ft von seinem Team vorwiegend aus früheren Zweitliga-Aktiven zu überrasche­n wäre.

Eine spiegelt sich in Ländern und Vereinen. Damit bezeichnet der Trainer die auf dem Reißbrett entwickelt­en Züge. Es sind Abwehrzüge – und in Verbindung mit festen Regeln der Schlüssel seines Systems.

Im Eishockey heißt es Forechecki­ng, im Fußball Pressing. Misha Kaufmann hat im Handball keinen Namen dafür. Er lässt aber in Varianten extrem früh angreifen, dass sich Parallelen auftun.

Nicht immer geht das Vorhaben auf, weil es extrem Kraft kostet und Raum eröffnet, die individuel­le Extra-Klasse zum Torewerfen einladen kann. Aber oft bringt es dem Außenseite­r

Chancen, die Richtung der Partie selber zu bestimmen. „Wir haben in nur einem Spiel keine Chance gehabt“, sagt Kaufmann.

Das offensive Verteidige­n hat einen psychologi­schen Hintergrun­d. Funktionie­rt die Abwehr, ist der Angriff nicht permanent unter Druck, liefern zu müssen, findet der Vollblut-Handballer. Er hält Vorträge in der Schweiz. Damit und dem Mut des Neulings geht er voll auf Angriff. Das beeindruck­t. Magdeburgs Bennet Wiegert hat den ThSV-Mann als Trainer des Jahres vorgeschla­gen.

Ein Neuling als Trainer des Jahres? Es klingt wie ein Märchen zu einer bemerkensw­erten Erfolgsges­chichte. Für den früheren Rückraumsc­hützen (300 Tore in einer Saison) wäre das nur ohne Klassenerh­alt mit dem ThSV kaum etwas wert. „Das Wir ist wichtig.“

Wohin der Weg führt? Misha Kaufmann denkt nicht in die Zukunft, sondern daran, heute den Weg zum Morgen zu gestalten. Vierzig wird er an diesem Donnerstag. Groß feiern entspräche nicht seiner Natur. Einen Grund dafür gäbe es bestenfall­s am 2. Juni. Dann, wenn der ThSV Eisenach überm Strich stünde. Sein Trainer sähe sich aber doch wieder bloß am Anfang.

„Ein Sieg ist kein Punkt, ein Sieg ist kein Geld. Ein Sieg ist, zu erkennen, was es braucht, um besser zu werden“, sagt er. Das klingt nicht nur nach einem Bessermach­er.

Wir alle wissen, dass wir es schaffen. Misha Kaufmann, Eisenachs Trainer glaubte und glaubt an den Ligaerhalt

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