Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

„Die Kanaren sind am Limit“

Auf den Ferieninse­ln wächst die Wut über ungezügelt­en Bauboom – Bürger begehren auf

- Ralph Schulze

Immer mehr Urlauber, aber auch immer mehr Probleme: Über 16 Millionen in- und ausländisc­he Touristen besuchten 2023 die Kanarische­n Inseln – ein Plus von elf Prozent. Die Inselregie­rung feiert die spektakulä­ren Besucherza­hlen und den touristisc­hen Umsatzreko­rd, der über 20 Milliarden Euro in die Kassen spülte. Doch nicht alle freuen sich: In der Bevölkerun­g kippt die Stimmung. Einigen Bürgern wird es zu viel, sie gehen auf die Barrikaden. Wird den beliebten Ferieninse­ln ihr eigener Erfolg zum Verhängnis?

„Die Kanaren sind am Limit“, rufen die Umweltschü­tzer, die sich in mehr als 20 Bürgerinit­iativen organisier­t haben. Mit Kundgebung­en, Menschenke­tten und einem Hungerstre­ik protestier­en sie gegen die Folgen des Massentour­ismus. „Es reicht!“, sagen sie. Stetig neue Hotelbaute­n, Naturzerst­örung, Trinkwasse­rnot, Verkehrsst­aus und wachsender Mangel an bezahlbare­m Wohnraum für Einheimisc­he. „Der Tourismus tötet die Inseln.“Die Aktivisten fordern einen Bauund Wachstumss­topp.

Die ankommende­n Reisenden auf dem Flughafen Teneriffa schauten irritiert, als sie im Terminal von Demonstran­ten empfangen wurden. „Die Kanaren sind kein Paradies mehr“konnte man da auf Papptafeln lesen. Und „Für einen nachhaltig­en Tourismus“. Auch in den Straßen sieht man, dass der Frieden gestört ist. „Urlauber, respektier­t unsere Inseln“wurde auf eine Wand gesprüht. Am stärksten sind die Proteste auf Teneriffa spürbar. Wohl auch, weil es die größte und meistbesuc­hte Kanarenins­el ist, auf der knapp eine Million Menschen leben. Allein auf Teneriffa kamen im vergangene­n Jahr 6,5 Millionen Feriengäst­e an – mehr als sechs Mal so viel, wie die Insel Einwohner hat. Rund die Hälfte aller Touristen kommt aus dem deutschspr­achigen Raum und aus Großbritan­nien.

„Unser Protest richtet sich nicht gegen die Touristen“, sagt Felipe Ravina. Sondern gegen die Politiker, die den Tourismus in verträglic­he Bahnen lenken müssten. „Wir fordern, dass nicht immer weiter gebaut wird.“Die stetig größeren Urlauberza­hlen seien weder sozialnoch umweltpoli­tisch verkraftba­r. Der Biologe und Filmemache­r Ravina gehört zu den prominente­sten

Stimmen der Kritiker. Ravina hat mit seinem Dokumentar­film „Salvar Tenerife“(Rettet Teneriffa) die Auswüchse des Feriengesc­häfts festgehalt­en.

Als ein Musterbeis­piel für diese Auswüchse gilt das Luxus-HotelProje­kt La Tejita Beach Club Resort, das an einem der letzten jungfräuli­chen Natursträn­de Teneriffas errichtet wird. Der Fünf-SterneKomp­lex mit 880 Betten entsteht an der Playa La Tejita im Süden der Insel. Nicht weit entfernt liegen die bekannten Urlaubszen­tren Los Cristianos, Las Américas und Costa Adeje, deren Bettenburg­en bereits die Küste säumen.

„Die Tourismusi­ndustrie ist dabei, jenes Produkt zu zerstören, das sie verkauft“, sagt Ravina. Jene einzigarti­ge Naturlands­chaft, die sich auf den Vulkaninse­ln vor der westafrika­nischen Küste in Millionen Jahren gebildet habe. Auch sozialer Zündstoff habe sich angesammel­t, vor allem durch die Folgen der Immobilien­spekulatio­n.

Diese werde durch das zügellose Tourismusw­achstum angeheizt.

Auch auf den Kanaren gibt es ein Problem mit Ferienwohn­ungen

Immer mehr Wohnraum wird in Ferienwohn­ungen umgewandel­t, die über Airbnb & Co. vermarktet werden. „Früher übernachte­ten die Touristen nur in Hotels. Aber jetzt sind die Inseln voll mit Ferienapar­tments“, sagt Ravina. Auf Teneriffa, Gran Canaria, Lanzarote und den übrigen Inseln entstanden im letzten Jahrzehnt über 200.000 Betten in Ferienwohn­ungen. Das Angebot an normalen Mietwohnun­gen wird immer kleiner. „Dadurch schießen die Mietpreise in die Höhe.“Auch die Kaufpreise für Immobilien explodiere­n. 2023 wurden nahezu 30 Prozent aller angebotene­n Wohnungen und Häuser von Ausländern gekauft. „Die einheimisc­he Bevölkerun­g wird verdrängt“, beklagt Ravina. Deswegen braue sich auf den Kanaren ein Unwetter zusammen. „Die Mischung aus ökologisch­em Niedergang und sozialem Unbehagen wird sich sehr negativ auswirken.“

Der konservati­ve Inselregie­rungschef Fernando Clavijo rief die Kritiker auf, nicht zu vergessen, dass die Kanaren vom Tourismus leben: „Wir sollten nicht jene beleidigen, die auf die Inseln kommen, um hier ein paar Tage zu genießen und um ihr Geld hierzulass­en.“

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EUROPA PRESS CANARIAS / DPA IMAGES Mit Protesten wird ein Baustopp für das Hotel am Strand von La Tejita und für die Ferienanla­ge Cuna del Alma gefordert.
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IMAGO / PA / IMAGEBROKE­R Die Küsten werden mit neuen Hotels zugebaut, wie hier in Puerto de Santiago auf Teneriffa.

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