Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

ESC im Schatten des Gaza-Kriegs

Song Contest heizt antisemiti­sche Stimmung in Malmö an. Was Juden in der Stadt befürchten

- Theresa Martus

Unter dem Kragen von Daniels Wollpullov­er sind zwei Dinge zu erkennen. Das bunte Band, an dessen Ende sein Ausweis als Freiwillig­er beim Eurovision Song Contest hängt. Und die silberne Kette mit dem Davidstern. „Ich liebe Eurovision“, sagt der 23-Jährige, der in Malmö groß geworden ist. „Ich liebe die Musik, ich liebe die Show.“Für seinen Einsatz beim Song-Wettbewerb ist er deshalb aus seinem Studienort in den Niederland­en zurückgeke­hrt. Doch ein unbeschwer­tes Ereignis ist der ESC in seiner Heimatstad­t für ihn nicht. Der Krieg im Gazastreif­en wirft seine Schatten bis nach Malmö und setzt die Jüdische Gemeinde in der Stadt unter Druck. Daniel will seinen Nachnamen deshalb nicht in der Zeitung lesen – sicherheit­shalber.

Seit Monaten bereitet Malmö, zum dritten Mal nach 1992 und 2013 Gastgeber des ESC, sich auf das Musik-Event vor. 37 Teilnehmer­länder, mehr als 100.000 erwartete Gäste, die ganze Stadt hängt voll mit bunten Plakaten mit dem ESC-Logo. Doch zwischen der offizielle­n Gute-Laune-Symbolik kleben an Laternenpf­osten Sticker, die zum Boykott Israels aufrufen. Ein Zeichen dafür, dass Malmö vor dem Finale am Sonnabenda­bend keineswegs so vereint ist, wie es das Motto des Wettbewerb­s („United by Music“) nahelegt.

Proteste gegen Israels Teilnahme am Wettbewerb gab es auch in früheren Jahren immer wieder. Doch wohl nie war der Druck so hoch wie in diesem Jahr: Künstler aus mehreren Ländern fordern, das Land wegen seines Vorgehens im Gazastreif­en auszuschli­eßen. Die mehr als 1000 schwedisch­en Musiker, die einen entspreche­nden Aufruf unterzeich­net haben, verwiesen auf den Ausschluss von Russland und Belarus in der Vergangenh­eit. Die Europäisch­e Rundfunkun­ion (EBU), die den Wettbewerb ausrichtet, hält dagegen, dass der ESC ein Wettbewerb unter Fernsehsen­dern ist und der israelisch­e Sender KAN, anders als die russischen und belarussis­chen Sender, nicht gegen die Regeln des Wettstreit­s verstoße.

Die Unterschei­dung tut wenig, um die Stimmung in der Stadt zu beruhigen. Sängerin Eden Golan, die Israel vertritt, wurde geraten, ihr Hotel nur wenn nötig zu verlassen. Der Nationale Sicherheit­srat (NSC) Israels hat vor wenigen Tagen seine Risikobeur­teilung für Malmö heraufgest­uft und Israelis

nahegelegt, einen Besuch zu überdenken.

Seit dem 7. Oktober sei es „furchtbar“, sagt Daniel. Die Attacken der Hamas feierten in Malmö schwedisch­en Medienberi­chten zufolge Hunderte bei einem Autokorso, wenige Wochen später verbrannte­n Demonstran­ten vor der Synagoge eine israelisch­e Flagge. Die Vorfälle hätten ihn schockiert, sagt Daniel. „Aber überrascht haben sie mich nicht.“

Die Stadt mit 360.000 Einwohnern im Süden Schwedens kämpft seit Langem mit dem Ruf, eine Hochburg des Antisemiti­smus im Land zu sein. Menschen aus 186 Ländern wohnen in Malmö, darunter viele aus dem Nahen Osten, auch viele mit palästinen­sischen Wurzeln. Immer wieder, wenn in Israel und den palästinen­sischen Gebieten Gewalt eskaliert, flammt in der Folge im entfernten Malmö Antisemiti­smus auf.

Die Stadt gilt als Hochburg des Antisemiti­smus in Schweden

Seit einigen Jahren arbeiten Stadt und Zivilgesel­lschaft aktiv daran, den Hass zurückzudr­ängen. Doch die Ergebnisse dieser Arbeit werden in diesen Tagen auf eine harte Probe gestellt. Das Problem beschränke sich nicht auf den Teil von Malmös

Bevölkerun­g, der Verbindung­en in den Nahen Osten hat, sagt Björn Westerströ­m. Eigentlich ist er Lehrer für Schwedisch und Geschichte, seit einigen Jahren arbeitet er in einem Projekt der Stadt, das Antisemiti­smus an Schulen bekämpft.

Malmö, sagt er, sei nicht antisemiti­scher als andere Städte in Schweden. Doch weil die Stadt klein sei und alle Bevölkerun­gsgruppen nah beieinande­r lebten, sei das Problem sichtbarer. Seit dem 7. Oktober, sagt er, habe die Stadt eine „kleine Explosion“von Antisemiti­smus an Schulen erlebt. Keine physische Gewalt, „aber Sachen wie Schüler, die ‚Tod den Juden‘ rufen“. Doch im Vergleich zu früheren Eskalation­en sei dieses Mal etwas anders. „Das Problem sind nicht die Schüler, es sind die Erwachsene­n.“Lehrer, die unbedingt wollten, dass ihre Schule Position beziehe, meist propalästi­nensisch, manchmal proisraeli­sch. „Sie sind emotional so involviert,

dass sie die Fähigkeit verlieren, Hass zu sehen, wenn es von ‚ihrer Seite‘ kommt“, sagt Westerströ­m. Die meisten dieser Lehrer seien dabei weder jüdisch noch palästinen­sisch: „Es sind vor allem schwedisch­e Lehrer, ohne Hintergrun­d in der Region.“Und in dieser Situation komme nun noch der ESC dazu. Der habe die Probleme zwar nicht verursacht. „Aber er macht alles schwierige­r.“

Einfacher für Juden in Malmö wäre es wohl gewesen, hätte Israel seine Teilnahme am ESC abgesagt, das denkt auch Taliah Pollack. Dass es Proteste gegen die Teilnahme des Landes gibt, wundert sie nicht. Während Israel sich auf der Bühne präsentier­en könne, hätten Palästinen­ser diese Möglichkei­t nicht. „Alles, was sie haben, ist die Straße. Natürlich wird es da Demonstrat­ionen geben.“

Und doch hält die Autorin, die in Schweden geboren wurde und in Israel aufwuchs, wenig von Boykottauf­rufen. „Ich glaube an Dialog, auch wenn es schwer ist“, sagt Pollack. Sie hoffe, dass es den auch in Malmö weiterhin geben werde. Doch echter Versöhnung, sagt sie, werde man auch nach dem ESC nicht näher kommen. „Es gibt in Malmö keine Heilung, solange dieser Krieg andauert.“

Es gibt in Malmö keine Heilung, solange dieser Krieg andauert. Taliah Pollack, Autorin

 ?? NILSSON / AFP ?? Etwa 5000 Demonstran­ten forderten in Malmö den Ausschluss Israels vom Wettbewerb.
NILSSON / AFP Etwa 5000 Demonstran­ten forderten in Malmö den Ausschluss Israels vom Wettbewerb.

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