Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Morde im Berlin der Zwanzigerjahre
Im Thriller „Doch das Messer sieht man nicht“von I.L. Callis wird es für zwei Frauen gefährlich
Köln. Berlin 1927: Ein Mörder treibt sein Unwesen in der verruchten Gegend um den Schlesischen Bahnhof, ermordet und zerstückelt Prostituierte. Im Roman „Doch das Messer sieht man nicht“der Autorin I.L. Callis gerät Hauptfigur Anaïs Maar in einen Fall von äußerster Brutalität. Die Taten erinnern an den berühmten Serienmörder Jack the Ripper aus Londons Armenvierteln Ende des 19. Jahrhunderts.
Journalistin Anaïs wird auf den Fall angesetzt. Sie beschreibt in ihrem Artikel den Mörder als „Ripper von Berlin“, versetzt damit Berlin in Angst und Schrecken und schafft es so zu stadtweiter Berühmtheit. Doch die Berichterstattung bleibt auch dem Täter nicht verborgen und macht die Journalistin zur Zielscheibe. Unterstützung erhofft sich Anaïs von der jungen Josefine, die von einer Karriere beim Film träumt, allerdings als Obdachlose jeden Tag um ein warmes Essen und eine Unterkunft kämpfen muss. Dabei gerät sie immer wieder in gefährliche Situationen mit Männern, die ihre schwierige Lage auszunutzen bereit sind. Das Berlin der 1920er-Jahre besitzt bis heute eine enorme Faszination. Der „Tanz auf dem Vulkan“, das wilde und freie
Nachtleben in den Berliner Clubs und Bars, die neu gewonnenen Freiheiten und Möglichkeiten gerade auch für Frauen stehen in starkem Kontrast zu dem, was Deutschland mit dem Beginn der Naziherrschaft ab 1933 erwartet. Callis erzählt diese Zeit aus dem Blick zweier Frauen. Hauptfigur Anaïs Maar ist Tochter eines Afrikaners und einer Deutschen. Obwohl sie aufgrund ihrer Hautfarbe vielen Anfeindungen ausgesetzt ist, ermöglicht ihr die wohlhabende und einflussreiche Tante, bei der sie aufwächst, den Weg in höhere Berli- ner Schichten. Josefine lebt zwi- schen großen Träumen und einer knallharten Realität, in der sie sich oft zwischen Hunger oder Verge- waltigung entscheiden muss. Gera- de die Gedanken von Josefine gehö- ren zu den Stärken des Buches. Sie zeichnen ein schonungsloses Bild der Lebenswirklichkeit von Frauen aus armen Schichten in der End- phase der Weimarer Republik.
I.L. Callis: Doch das Messer sieht man nicht, Emons Verlag, Köln, 352 Seiten, 17 Euro.