Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Tag der Befreiung, Tag des Neubeginns
Gedanken zum Ende des Zweiten Weltkrieges vor 79 Jahren
Für unsere Schülergeneration gab es in Ostdeutschland, spätestens mit der Entstehung der beiden deutschen Staaten 1949, keine Diskussionen. Die Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 war die Reaktion auf die Gründung der BRD am 23. Mai 1949. Die deutsche Teilung war damit vollzogen und gleichfalls die Zuordnung der beiden Staaten zu den Siegermächten dieses Weltkrieges. Von Deutschland war der mörderische, der heiße Krieg ausgegangen; nun war das Land für Jahrzehnte im sogenannten Kalten Krieg an die ehemals verbündeten Sieger gekoppelt, politisch, wirtschaftlich und besonders militärisch.
Auch die Menschen in Thüringen waren in den ersten Monaten des Jahres 1945 mit dem Kriegsalltag konfrontiert. Die meisten Leute wünschten sich das Ende des Krieges herbei, einige wenige aber glaubten noch an den Endsieg und wollten ihre Gemeinde verteidigen, gegen die vorrückenden Feinde, bis zum letzten Mann.
Dieses Szenario spielte sich ebenso zwischen Gotha und Erfurt ab. Die US-Armee hatte am 5. April 1945 bereits Neudietendorf über die Autobahn erreicht und die Dörfer bis Apfelstädt besetzt. Am 7. April versuchte eine Gruppe deutscher Soldaten, mit Volkssturm und SSLeuten „Führer und Reich“von den feindlichen Truppen fernzuhalten. Dies endete am 9. April 1945 mit einem Panzer-Artillerie-Beschuss der US-Armee, mit mehreren Todesopfern auf beiden Seiten und etwa 80 zerstörten oder beschädigten Gebäuden in Neudietendorf.
US-Oberbefehlshaber übernachtet in Neudietendorf
Schließlich nahm am 11. April 1945 der Stab der 80. US-Division für einige Tage sein Quartier im damaligen „Gasthof der Brüdergemeine“, dem heutigen Bürgerhaus „Drei Rosen“. Der US-Oberbefehlshaber General Dwight D. Eisenhower traf sich hier mit den US-Generalen Patton
und Bradley am 12. April 1945, übernachtete im Haus und erhielt die Nachricht vom Tod des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, was sicher wesentlich die weiteren Entscheidungen beeinflusste.
Zu den US-Truppen gehörte der junge Offizier Bernard Michel, der im Feindesland an der Gasthof-Fassade den Schriftzug der Brüdergemeine entdeckte. Er selbst war Mitglied der Moravian Church, einer Brüdergemeine in Bethlehem/ Pennsylvania. Er konnte es nicht fassen, hier Glaubensgeschwister anzutreffen. Er suchte das Pfarrhaus
und traf den erschrockenen Prediger Theophil Steinmann, der zuerst zögerlich die Türen zur Gemeinde öffnete.
Der Amerikaner blieb fünf Wochen und half den Neudietendorfern in mancher Weise. Im Jahre 1988 besuchte Michel mit seiner Frau Lillian erneut die Thüringer Gemeine und zeigte sein Losungsbuch von 1945, mit fast 20 Autogrammen von Bürgern des Ortes aus dieser schweren Zeit, als Geste des Friedens und der Versöhnung zwischen den Menschen. Die Bevölkerung der DDR wurde in der
Sowjetischen Besatzungszone von der Politik und Ideologie ihres Staates stark beeinflusst: Der 8. Mai 1945 war eindeutig der Tag der Befreiung von der Hitler-Diktatur mit den unfassbaren Verbrechen, mit dem Weltkrieg und den Millionen Toten in vielen Ländern. Dieser Tag war ein wichtiger Feiertag und kein Tag der Niederlage zum Kriegsende. Das war die Staatsdoktrin der DDR, welche von der Mehrheit der Bevölkerung zunehmend akzeptiert wurde.
Die westdeutsche Politik dagegen tat sich in ihren Besatzungszonen der USA, Englands und Frankreichs schwer mit diesem Tag. Es brauchte 40 Jahre nach Kriegsende, bis am 8. Mai 1985 der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker seine große Gedenkrede halten konnte. Diese Rede war eine historische Analyse und ein mutiger Wegweiser in die Zukunft, unter Beachtung der deutschen Verantwortung in der Geschichte.
Hat solch eine Politik heute keine Chancen mehr?