Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Der Weg von der DDRGrenzgemeinde zum Gedächtnisort
Glasehausen war einst Teil des DDR-Sperrgebiets. Kulturraum verbindet die Erinnerung der Menschen
Mal schnell von Glasehausen, Ortsteil von Heiligenstadt, ins niedersächsische Nesselröden, einem Ortsteil von Duderstadt, fahren. Das ist kein besonderes Ereignis. Anders zu DDR-Zeiten. Wer in den Westen reisen durfte, was längst nicht allen Bürgern gestattet war, hatte oft einen langen Umweg vor sich: Der Grenzübergang Duderstadt/Worbis für Pkw und Busse war im Sommer 1973 eröffnet worden. Ansonsten ging es nach Eisenach und von dort mit dem „Interzonenzug“nach Bebra in Nordhessen, erste Station einer Reise in die Bundesrepublik Deutschland.
Nicht mehr jugendliche Einwohner Glasehausens, dem Sperrgebiet, das heißt in dem an der Grenze zur BRD gelegenem Dorf, erinnern sich ebenso daran wie an Geschichten und Begebenheiten unter Stichworten wie „Leben im Sperrgebiet“, „Westkontakte“, „Zwangsumsiedlung“, „Ausbau der innerdeutschen Grenze“, „Begegnung mit Grenzsoldaten“, „Schlagbaum“. An Zeiten denken sie, als es in ihrem Dorf drei Telefone gab: beim Bürgermeister, beim LPG-Vorsitzenden und in der Poststelle.
Zeitzeugen erzählen ihre Geschichten
Zum Feuerwehrfest 1987, das als Wehrbereichstreffen mit den Feuerwehren aus Reinholterode, Steinbach und Günterode in Glasehausen stattfand, wurden alle Beteiligten namentlich in Listen registriert. „Wir sind offen“steht heute in einem Raum des Dorfgemeinschaftshauses zu lesen – und das hat durchaus eine doppelte Bedeutung. Am 31. Dezember 1989 wurde als eine Errungenschaft der friedlichen Revolution die Grenzübergangsstelle Glasehausen – Beienrode für Fußgänger offiziell eröffnet; ab dem 17. März 1990 gab es auch die Möglichkeit für Fahrzeuge.
„Wir sind offen“bedeutet aber auch, dass alle Interessierten nach Anmeldung und Terminabsprache willkommen sind im „Kulturraum der Erinnerung“. Unter dem Motto „Glasehausen erzählt: Vom Ende der Welt in die Mitte Deutschlands“entstand hier ein ganz besonderes kleines Museum auf der Grundlage von Gesprächen mit Zeitzeugen
und umfangreicher Recherchearbeit.
Christina Janik als Initiatorin erzählt: „Am 1. Juli 2022 bin ich Ortsteilbürgermeisterin geworden. Am 10. Juli 2022 haben wir den entsprechenden Antrag gestellt. Man liest schon mal in der Zeitung, dass Mittel für ein Projekt nicht abgerufen wurden. Das sollte uns in Glasehausen nicht passieren.“Mit diesen Worten verweist sie auf das Landesförderprojekt „Kulturraum der Erinnerung“des Thüringer Ministeriums für Umwelt, Energie und Naturschutz.
Suche nach Verbündeten dauerte nicht lange
Es hat die Erinnerungskultur für Orte an der ehemaligen Grenze und am „Grünen Band“zum Inhalt. Deshalb gehört im Saal eine temporäre Ausstellung zum „Naturmonument Grünes Band“dazu. Nach Zusage der Förderung gab es reichlich Arbeit, auch übers Jahr 2023. Christina Janik brauchte nicht lange nach Verbündeten zu suchen, lud
die Einwohnerinnen und Einwohner ein zum Erzähl-Café, schrieb eifrig alles auf, sammelte für die Dauerausstellung Fotos, die ihr aus Privathaushalten in Glasehausen, in Thüringen und Niedersachsen zur Verfügung gestellt wurden.
Atelier aus Weimar übernimmt Projektrealisierung
Aus den Erzählungen entstanden Texte für die Präsentation. „Es gab eine Super-Resonanz“, wie sie betont. Ihre Meinung: „Diese Dokumente sind nicht für die Aufbewahrung in einer Schublade gedacht, sondern müssen der Öffentlichkeit zugänglich sein, das ist etwas Wertvolles für unsere Region.“Die Kommunalpolitikerin fügt hinzu: „Freiheit ist für uns heute selbstverständlich. Doch es ist so wichtig, wegen des Aufkommens von Opportunismus in der Gesellschaft diese Errungenschaften zu betonen.“
Für die Präsentation „Grünes Band“wusste sie Claudia Wilhelm, Leiterin des Naturparks EichsfeldHainich-Werratal, und Gebietsbetreuer
Gerhard Propf, Stiftung Naturschutz Thüringen, an ihrer Seite. Die Umsetzung beider Projekte übernahm das Atelier Papenfuss aus Weimar.
Beim Erzähl-Café gab es traurige Momente, als sich Beteiligte erinnerten, wie sich am Grenzzaun Verwandte aus Ost und West heimlich zugewunken haben, nicht zueinander kamen. Aber es gab bei allen ernsten Ereignissen aus heutiger Sicht und wieder Anlass zum Schmunzeln: Wer Angehörige oder Freunde einladen wollte, musste für sie bei der Polizei in der Kreisstadt einen Passierschein beantragen. Der für Glasehausen zuständige Ortspolizist, der Abschnittsbevollmächtige (ABV), kam den Dorfbewohnern entgegen: Sie konnten ihm den Antrag sonntags beim Frühschoppen in der Gaststätte übergeben.