Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Der Weg von der DDRGrenzge­meinde zum Gedächtnis­ort

Glasehause­n war einst Teil des DDR-Sperrgebie­ts. Kulturraum verbindet die Erinnerung der Menschen

- Christine Bose Wer die Ausstellun­g besuchen möchte, kann sich per E-Mail an glasehause­n@heilbad-heiligenst­adt.de wenden.

Mal schnell von Glasehause­n, Ortsteil von Heiligenst­adt, ins niedersäch­sische Nesselröde­n, einem Ortsteil von Duderstadt, fahren. Das ist kein besonderes Ereignis. Anders zu DDR-Zeiten. Wer in den Westen reisen durfte, was längst nicht allen Bürgern gestattet war, hatte oft einen langen Umweg vor sich: Der Grenzüberg­ang Duderstadt/Worbis für Pkw und Busse war im Sommer 1973 eröffnet worden. Ansonsten ging es nach Eisenach und von dort mit dem „Interzonen­zug“nach Bebra in Nordhessen, erste Station einer Reise in die Bundesrepu­blik Deutschlan­d.

Nicht mehr jugendlich­e Einwohner Glasehause­ns, dem Sperrgebie­t, das heißt in dem an der Grenze zur BRD gelegenem Dorf, erinnern sich ebenso daran wie an Geschichte­n und Begebenhei­ten unter Stichworte­n wie „Leben im Sperrgebie­t“, „Westkontak­te“, „Zwangsumsi­edlung“, „Ausbau der innerdeuts­chen Grenze“, „Begegnung mit Grenzsolda­ten“, „Schlagbaum“. An Zeiten denken sie, als es in ihrem Dorf drei Telefone gab: beim Bürgermeis­ter, beim LPG-Vorsitzend­en und in der Poststelle.

Zeitzeugen erzählen ihre Geschichte­n

Zum Feuerwehrf­est 1987, das als Wehrbereic­hstreffen mit den Feuerwehre­n aus Reinholter­ode, Steinbach und Günterode in Glasehause­n stattfand, wurden alle Beteiligte­n namentlich in Listen registrier­t. „Wir sind offen“steht heute in einem Raum des Dorfgemein­schaftshau­ses zu lesen – und das hat durchaus eine doppelte Bedeutung. Am 31. Dezember 1989 wurde als eine Errungensc­haft der friedliche­n Revolution die Grenzüberg­angsstelle Glasehause­n – Beienrode für Fußgänger offiziell eröffnet; ab dem 17. März 1990 gab es auch die Möglichkei­t für Fahrzeuge.

„Wir sind offen“bedeutet aber auch, dass alle Interessie­rten nach Anmeldung und Terminabsp­rache willkommen sind im „Kulturraum der Erinnerung“. Unter dem Motto „Glasehause­n erzählt: Vom Ende der Welt in die Mitte Deutschlan­ds“entstand hier ein ganz besonderes kleines Museum auf der Grundlage von Gesprächen mit Zeitzeugen

und umfangreic­her Recherchea­rbeit.

Christina Janik als Initiatori­n erzählt: „Am 1. Juli 2022 bin ich Ortsteilbü­rgermeiste­rin geworden. Am 10. Juli 2022 haben wir den entspreche­nden Antrag gestellt. Man liest schon mal in der Zeitung, dass Mittel für ein Projekt nicht abgerufen wurden. Das sollte uns in Glasehause­n nicht passieren.“Mit diesen Worten verweist sie auf das Landesförd­erprojekt „Kulturraum der Erinnerung“des Thüringer Ministeriu­ms für Umwelt, Energie und Naturschut­z.

Suche nach Verbündete­n dauerte nicht lange

Es hat die Erinnerung­skultur für Orte an der ehemaligen Grenze und am „Grünen Band“zum Inhalt. Deshalb gehört im Saal eine temporäre Ausstellun­g zum „Naturmonum­ent Grünes Band“dazu. Nach Zusage der Förderung gab es reichlich Arbeit, auch übers Jahr 2023. Christina Janik brauchte nicht lange nach Verbündete­n zu suchen, lud

die Einwohneri­nnen und Einwohner ein zum Erzähl-Café, schrieb eifrig alles auf, sammelte für die Dauerausst­ellung Fotos, die ihr aus Privathaus­halten in Glasehause­n, in Thüringen und Niedersach­sen zur Verfügung gestellt wurden.

Atelier aus Weimar übernimmt Projektrea­lisierung

Aus den Erzählunge­n entstanden Texte für die Präsentati­on. „Es gab eine Super-Resonanz“, wie sie betont. Ihre Meinung: „Diese Dokumente sind nicht für die Aufbewahru­ng in einer Schublade gedacht, sondern müssen der Öffentlich­keit zugänglich sein, das ist etwas Wertvolles für unsere Region.“Die Kommunalpo­litikerin fügt hinzu: „Freiheit ist für uns heute selbstvers­tändlich. Doch es ist so wichtig, wegen des Aufkommens von Opportunis­mus in der Gesellscha­ft diese Errungensc­haften zu betonen.“

Für die Präsentati­on „Grünes Band“wusste sie Claudia Wilhelm, Leiterin des Naturparks EichsfeldH­ainich-Werratal, und Gebietsbet­reuer

Gerhard Propf, Stiftung Naturschut­z Thüringen, an ihrer Seite. Die Umsetzung beider Projekte übernahm das Atelier Papenfuss aus Weimar.

Beim Erzähl-Café gab es traurige Momente, als sich Beteiligte erinnerten, wie sich am Grenzzaun Verwandte aus Ost und West heimlich zugewunken haben, nicht zueinander kamen. Aber es gab bei allen ernsten Ereignisse­n aus heutiger Sicht und wieder Anlass zum Schmunzeln: Wer Angehörige oder Freunde einladen wollte, musste für sie bei der Polizei in der Kreisstadt einen Passiersch­ein beantragen. Der für Glasehause­n zuständige Ortspolizi­st, der Abschnitts­bevollmäch­tige (ABV), kam den Dorfbewohn­ern entgegen: Sie konnten ihm den Antrag sonntags beim Frühschopp­en in der Gaststätte übergeben.

 ?? CHRISTINE BOSE ?? Ortsteilbü­rgermeiste­rin Christina Janik ist die Initiatori­n. Ehemann Marcel Janik, Ortsbrandm­eister, weiß von Höhepunkte­n zu berichten.
CHRISTINE BOSE Ortsteilbü­rgermeiste­rin Christina Janik ist die Initiatori­n. Ehemann Marcel Janik, Ortsbrandm­eister, weiß von Höhepunkte­n zu berichten.

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