Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Mord im Kehltal Weil er einen Mann im Thüringer Wald erschlug, muss ein früherer Lehrer lebenslang in Haft. Sein Komplize kommt mit achteinhalb Jahren davon. Doch es bleiben Fragen
Erfurt. Die Entscheidung ist verkündet. Die Verurteilten starren vor sich hin, während ihr Richter über Schuld und Sühne referiert. „Eiskalt“, sagt er, sei das Verbrechen ausgeführt worden, und „wunderbar vorbereitet“. Dafür gebe es „jede Menge objektive Beweise“.
Dann hebt Holger Pröbstel ein wenig theatralisch beide Arme über seinen Kopf und stellt eine Frage, die seit nahezu zwei Jahren oft gestellt wurde.
„Warum“, fragt er, „musste nun Herr H. sterben?“
Die Antwort darauf, sagt er, könnten nur die beiden Männer liefern, die vor ihm auf der Anklagebank sitzen.
Aber sie schweigen.
Es ist der gestrige Mittag im großen Sitzungssaal des Erfurter Landgerichts, als Andreas K. (54) und Patrice P. (21) wegen gemeinschaftlichen Mordes und Brandstiftung verurteilt werden. Einige Verwandte und Freunde sind gekommen, in der zweiten Zuschauerreihe weint leise ein Kind vor sich hin.
Andreas K. trägt das Resthaar kurzrasiert, dazu ein kariertes Hemd, Jeans und randlose Brille. Er ist Diplompädagoge und hat einen Doktortitel. An seiner Schule in Gotha, an der er Sport und Sozialkunde lehrte, galt er als überaus beliebt. Im Landesverband der Schwimmmeister amtierte er als Geschäftsführer.
Patrice P. sieht gut aus, trotz der langen Untersuchungshaft. Der schwarze Anzug sitzt, die Haare sind modisch frisiert. Er betrieb als Schüler Leistungssport, gewann Medaillen als Nordischer Kombinierer. Danach brachte er wenig zu Ende, nicht die Schule und auch nicht die Ausbildung als Verkäufer in einem Sportgeschäft.
Nein, wie Mörder wirken die beiden nicht. Aber auch dafür hat der Vorsitzende Richter Pröbstel einen seiner vielen Sätze parat, die zuweilen auf eine anstrengende Art selbstgewiss klingen. „Es ist“, sagt er, „im Leben oft nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint.“ Die Geschichte aus dem Leben, die vor dem Landgericht verhandelt wurde, beginnt in Stützerbach, einem freundlichen Dorf zwischen Ilmenau und Schmiedefeld am Rennsteig, das neben zwei Kirchen und einem Goethehaus auch ein besonders schönes Waldbad vorhält. Das Wasser wird aus dem kalten Taubach angestaut, das Ufer ist von Bäumen gesäumt.
Andreas K. arbeitet hier während der Sommerferien als Schwimmlehrer. Er organisiert Schülercamps, mit Wettkämpfen in Surfbrettpaddeln, abendlichen Feuern und Schwimmkursen. Handys sind verboten. Patrice ist einer der Jugendlichen, die in seiner Obhut sind.
Im Waldbad hat Andreas K. auch mit Michael H. zu tun, der dort als Schwimmmeister beschäftigt ist. Zwischen den beiden und Patrice beginnt das, was Pröbstel eine „Dreiecksbeziehung“nennt. Es geht um Geld, Geschäfte und Gewalt, aber vielleicht auch um Liebe.
Michael H. ist ein bulliger Mann mit Kampfsporterfahrung, seine Arme sind stark tätowiert. Er legt sich mit anderen an, auch körperlich. „Er war eine sehr schillernde Persönlichkeit“, sagt Pröbstel. Doch dies rechtfertige „in keinster Weise“das, was danach passierte.
Nach dem, was Staatsanwaltschaft und Polizei rekonstruierten und das Gericht für glaubwürdig hält, soll dies geschehen sein: Am späten Abend des 24. Oktober 2015 sagt Michael H. seiner Lebensgefährtin, dass er noch mal wegmüsse, nach Oberhof. Er nimmt seinen weißen, angemieteten Golf, später steigt Andreas K. zu ihm ins Auto.
Sie fahren die lange gewundene Straße nach Oberhof und von dort durch das Kehltal in Richtung Gehlberg. Es ist gegen 22 Uhr, als das Auto mitten im Wald anhält und die beiden Männer aussteigen, für eine Rauchpause.
Da schlägt Andreas K. von hinten zu, mit einem Totschläger, zwölfmal. In der Nähe wartet Patrice P., damals 19 Jahre alt. Er ist mit dem Auto seiner Schwester zum Tatort gefahren, mit einer Plane im Kofferraum. Das Opfer soll woanders hingefahren und mit dem Auto verbrannt werden. So zumindest lautet der Plan.
Doch Michael H. wiegt weit über 100 Kilogramm, er ist zu schwer. Also schleppen die beiden ihn mühsam zu einem nahen Bach. Da er immer noch lebt, nimmt Andreas K. einen großen Stein aus dem Wasser und zertrümmert damit den Schädel des Opfers.
Danach fahren die Männer die Autos in Richtung Schmücke. Auf einem abgelegenen Parkplatz zünden sie den Golf mit Benzin an, es soll keine Spuren geben. Sie ziehen auch neue Kleidung an und verstecken die alte nahe der Ohra-talsperre im Wald.
In den Tagen darauf verschickt die Polizeiinspektion Gotha eine Suchmeldung: Michael H., 33 Jahre alt, habe am Abend des 24. Oktober seine Wohnung in Stützerbach verlassen, um in einem weißen VW Golf mit Hamburger Kennzeichen nach Oberhof zu fahren. Seitdem werde er vermisst. „Die Kriminalpolizei geht von einer Gefahr für Leib und Leben aus.“
Die Beamten befragen Andreas K., da es heißt, dass er sich mit Michael H. treffen wollte. Der Lehrer streitet alles ab, doch die Situation macht ihm und Patrice P. zu schaffen. Die beiden räumen ihre Konten ab, verkaufen, was zu verkaufen ist.
Es folgt die Flucht, über München und Paris bis nach Chile.
Doch der Jüngere hält es nicht lange in Südamerika aus. Noch im November, nach nur wenigen Wochen, kehrt er zurück – und wird sofort von der Polizei vernommen. In mehreren Vernehmungen erzählt er alles.
Die Leiche wird unter der Brücke im Kehltal entdeckt – genauso wie der Stein, mit dem der Mord ausgeführt wurde, und die Kleidung an der Talsperre, an der sich die DNA des Opfers findet.
Soweit die Anklage. Im Februar 2016 spüren Zielfahnder Andreas K. in Chile auf. Im August wird er nach Deutschland ausgeliefert. Im Januar dieses Jahres beginnt der Prozess. Doch fortan schweigt Patrice P. – genauso wie der Hauptangeklagte. Er lässt über seine Anwälte bestreiten, dass die Vernehmungen rechtmäßig zustande kamen.
Doch der Vorsitzende Richter wischt dies gestern mit wenigen Sätzen beiseite. Die Beamten, sagt er, hätten angesichts der Beweislage gar kein Motiv zu einer Manipulation gehabt. Dass ausgerechnet P., der Komplize eines Mörders, der Polizei Straftaten vorwerfe, das sei „schon dreist“.
Er habe, belehrt Pröbstel den Verurteilten, „eindeutiges Täterwissen“preisgegeben. Nur so ließe sich erklären, dass sich die Leiche und die Beweisstücke genau dort fanden, wo sie laut seiner Aussage sein sollten. Hinzu kämen all die vielen, von den Ermittlern gesicherten Nachrichten und E-mails von den Telefonen und Computern.
In seinem Urteil folgt das Gericht fast vollständig der Staatsanwaltschaft. Andreas K. erhält eine lebenslange Freiheitsstraße, was mindestens fünfzehn Jahre Haft bedeutet. Patrice P. wird zu einer Jugendstrafe von achteinhalb Jahren verurteilt. Hier hatte Staatsanwältin Steffi Herb ein Jahr mehr gefordert. Foto: Martin Debes
Damals, im Waldbad
Die Verteidigung hatte in beiden Fällen auf Freispruch plädiert. Doch davon, sagt Richter Pröbstel, sei man „meilenweit entfernt“gewesen. Die Kammer habe eher darüber nachgedacht, ob bei Patrice P. Erwachsenenstrafrecht anzuwenden sei. Dann wäre die Strafe deutlich höher ausgefallen. Doch am Ende, sagt der Richter, habe für den Mittäter gesprochen, dass er bei der Polizei aussagte: „Die Tat ist nur aufgeklärt geworden, weil Sie sich eingelassen haben.“
Doch warum musste Michael H. sterben? War es Geld? War es Hass? War es Leidenschaft? Oder wusste er zu viel? Die Antwort kennen nur die Männer, die in jener Nacht im Kehltal ein Leben auslöschten und ihre eigenen Leben wegwarfen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
„Eindeutiges Täterwissen“