Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Die Machtschau der CDU
Die größte Thüringer Partei organisiert zum Auftakt ihres Bundestagswahlkampfes natürlich die größte Sause – und lässt die Bundeskanzlerin einfliegen
Apolda. Der Beutel kostet zehn Euro. Der Stoff ist schwarz, natürlich ist er das, und mit einem Foto bedruckt, das eine Frau und einen Mann zeigt. Sie schauen sich an, als ob sie sich gleich küssen wollten. Damit dies niemandem entgeht, hat man über das Bild in großen, sehr pinkfarbenen Buchstaben KISS gedruckt.
Das wirklich Irritierende an dem Fastkussfoto aber ist: Es zeigt die Cdu-anführende Bundeskanzlerin – und den Thüringer Landtagsfraktionschef. Die abgebildete Begegnung fand 2014 im Landtagswahlkampf in Apolda statt. Eine örtliches Geschäft vertreibt seitdem die obskure Einkaufshilfe, Anfertigung auf Bestellung.
Angeblich soll der Umsatz gar nicht so schlecht sein.
Immer ganz nah an Merkel dran ist auch der ehemalige Ministerpräsident Dieter Althaus. Es fühlt sich, zumindest ein bisschen, wie in alten Zeiten an.
Kurz vor 19 Uhr steht die Kanzlerin dann auf der Bühne. Die Thüringer CDU hat um die 800 Stühle aufgestellt, die alle besetzt sind. Im vorderen Bereich sitzen noch mehr lauter Ehemalige: die ehemalige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, die ehemalige Landtagspräsidentin Birgit Diezel, der ehemalige Innenminister Jörg Geibert . . .
Mindestens nochmal 800 Menschen stehen um die Stuhlreihen herum und hören der Kanzlerin zu, die Sätze sagt wie „Apolda ist wunderbar“, die „die Schönheit, die Tradition und die Geschichte der Stadt“lobt und als Beispiel den Strickstrumpf anführt.
Dazwischen mischt Merkel Wahlkampfprosa. „Ich würde gerne mit Ihrer Unterstützung als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland weiter arbeiten“, sagt sie zum Beispiel, um nach einer kleinen Pause anzufügen: „Aber eigentlich geht es am 24. September um Sie!“
Das Publikum klatscht an diesen Stellen, zwar nicht begeistert, aber freundlich, einmal abgesehen von etwa 30 sehr besorgten Bürgern, die mit aller Kraft „Hau ab!“, „Widerstand!“und „Heuchler“rufen.
Ihr Geschrei mischt sich mit den Parolen, die etwa ebenso viele Neonazis brüllen, die außerhalb des Gartenschaugeländes in der Egelstraße (mit G) stehen und von gut ausgerüsteten Beamten bewacht werden. Die Vereinigung Thügida, die so rechtsextremistisch ist, dass sie sogar die AFD so bezeichnet, hat eigens einen Lautsprecherwagen mitgebracht, um die Merkelveranstaltung ausdauernd zu beschallen.
Dennoch wird die Gartenschau an diesem Abend zu einer Machtschau jener Partei, die immer noch die meisten Mitglieder, Landräte, Bürgermeister und Abgeordnete besitzt – die aber dennoch seit Ende 2014 im Landtag in der Opposition vor sich hin gärt. Dass sich dieser Zustand spätestens in zwei Jahren ändert, ist das zentrale Ziel der CDU und von Mike Mohring, der Ministerpräsident wer- will. Damit würde seine Karriere, die hier in der Apoldaer Lokalpolitik begann, ihren geplanten Höhepunkt finden. Mohring ist inzwischen die klare Nummer 1 in der Landespartei. Er hatte nach dem Verlust der Regierungsmacht auch den Vorsitz der Landespartei übernommen. Nachdem er wegen seiner strategischen Spiele mit der AFD abgestraft wurde, sitzt er wieder im Bundesvorstand.
Der Vorsitzende ist ein echtes Apoldaer Erzeugnis, so wie das Bier, das hier gebraut wird, und das natürlich auch an diesem Abend zwischen den Blumenrabatten reichlich fließt. Der Abgeordnete hat die Stadt systematisch zu seiner Basis ausgebaut.
Seine Vorgabe für die Bundestagswahl ist klar: Wie vor vier Jahren will die Thüringer CDU wieder alle Wahlkreise direkt gewinnen. Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht: Mohring erinnert an die „schweren Zeiten“, als die SPD mit Gerhard Schröder einen Kanzler hatte, der gut im Osten ankam, und die CDU nur das Direktmandat im Eichsfeld gewann.
Jetzt sieht es ganz anders aus, ein ähnliches Ergebnis wie 2013 scheint am 24. September möglich, trotz AFD. Doch Mohring gibt sich vorsichtig. Wichtig sei die Mobilisierung, sagt er. „Wir dürfen nicht ansatzweise Selbstden gefälligkeit entwickeln. Wenn unsere Wähler denken, wir haben eh gewonnen, bleiben sie vielleicht zu Hause.“
Am Abend in Apolda sind sie jedenfalls gekommen. Mohring kann ihnen öffentlichkeitswirksam zurufen, dass die Gebietsreform gescheitert ist und das mit dem Unterrichtsausfall immer schlimmer wird. Einmal klingt er sogar ehrlich empört: „Und die hören einfach nicht auf!“
Am Ende des Auftritts überreicht er dann der Kanzlerin den Beutel mit dem Foto und sagt ins Mikrofon, dass sie damit im Kadewe in Berlin einkaufen könne. Die Kanzlerin lächelt indifferent, faltet den Beutel zusammen, steckt ihn in eine andere Tasche und sagt nichts dazu. Sie muss ja nicht alles mitmachen.
Die Nummer 1 in Thüringen