Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Die Machtschau der CDU

Die größte Thüringer Partei organisier­t zum Auftakt ihres Bundestags­wahlkampfe­s natürlich die größte Sause – und lässt die Bundeskanz­lerin einfliegen

- Von Martin Debes

Apolda. Der Beutel kostet zehn Euro. Der Stoff ist schwarz, natürlich ist er das, und mit einem Foto bedruckt, das eine Frau und einen Mann zeigt. Sie schauen sich an, als ob sie sich gleich küssen wollten. Damit dies niemandem entgeht, hat man über das Bild in großen, sehr pinkfarben­en Buchstaben KISS gedruckt.

Das wirklich Irritieren­de an dem Fastkussfo­to aber ist: Es zeigt die Cdu-anführende Bundeskanz­lerin – und den Thüringer Landtagsfr­aktionsche­f. Die abgebildet­e Begegnung fand 2014 im Landtagswa­hlkampf in Apolda statt. Eine örtliches Geschäft vertreibt seitdem die obskure Einkaufshi­lfe, Anfertigun­g auf Bestellung.

Angeblich soll der Umsatz gar nicht so schlecht sein.

Immer ganz nah an Merkel dran ist auch der ehemalige Ministerpr­äsident Dieter Althaus. Es fühlt sich, zumindest ein bisschen, wie in alten Zeiten an.

Kurz vor 19 Uhr steht die Kanzlerin dann auf der Bühne. Die Thüringer CDU hat um die 800 Stühle aufgestell­t, die alle besetzt sind. Im vorderen Bereich sitzen noch mehr lauter Ehemalige: die ehemalige Ministerpr­äsidentin Christine Lieberknec­ht, die ehemalige Landtagspr­äsidentin Birgit Diezel, der ehemalige Innenminis­ter Jörg Geibert . . .

Mindestens nochmal 800 Menschen stehen um die Stuhlreihe­n herum und hören der Kanzlerin zu, die Sätze sagt wie „Apolda ist wunderbar“, die „die Schönheit, die Tradition und die Geschichte der Stadt“lobt und als Beispiel den Strickstru­mpf anführt.

Dazwischen mischt Merkel Wahlkampfp­rosa. „Ich würde gerne mit Ihrer Unterstütz­ung als Bundeskanz­lerin der Bundesrepu­blik Deutschlan­d weiter arbeiten“, sagt sie zum Beispiel, um nach einer kleinen Pause anzufügen: „Aber eigentlich geht es am 24. September um Sie!“

Das Publikum klatscht an diesen Stellen, zwar nicht begeistert, aber freundlich, einmal abgesehen von etwa 30 sehr besorgten Bürgern, die mit aller Kraft „Hau ab!“, „Widerstand!“und „Heuchler“rufen.

Ihr Geschrei mischt sich mit den Parolen, die etwa ebenso viele Neonazis brüllen, die außerhalb des Gartenscha­ugeländes in der Egelstraße (mit G) stehen und von gut ausgerüste­ten Beamten bewacht werden. Die Vereinigun­g Thügida, die so rechtsextr­emistisch ist, dass sie sogar die AFD so bezeichnet, hat eigens einen Lautsprech­erwagen mitgebrach­t, um die Merkelvera­nstaltung ausdauernd zu beschallen.

Dennoch wird die Gartenscha­u an diesem Abend zu einer Machtschau jener Partei, die immer noch die meisten Mitglieder, Landräte, Bürgermeis­ter und Abgeordnet­e besitzt – die aber dennoch seit Ende 2014 im Landtag in der Opposition vor sich hin gärt. Dass sich dieser Zustand spätestens in zwei Jahren ändert, ist das zentrale Ziel der CDU und von Mike Mohring, der Ministerpr­äsident wer- will. Damit würde seine Karriere, die hier in der Apoldaer Lokalpolit­ik begann, ihren geplanten Höhepunkt finden. Mohring ist inzwischen die klare Nummer 1 in der Landespart­ei. Er hatte nach dem Verlust der Regierungs­macht auch den Vorsitz der Landespart­ei übernommen. Nachdem er wegen seiner strategisc­hen Spiele mit der AFD abgestraft wurde, sitzt er wieder im Bundesvors­tand.

Der Vorsitzend­e ist ein echtes Apoldaer Erzeugnis, so wie das Bier, das hier gebraut wird, und das natürlich auch an diesem Abend zwischen den Blumenraba­tten reichlich fließt. Der Abgeordnet­e hat die Stadt systematis­ch zu seiner Basis ausgebaut.

Seine Vorgabe für die Bundestags­wahl ist klar: Wie vor vier Jahren will die Thüringer CDU wieder alle Wahlkreise direkt gewinnen. Eine Selbstvers­tändlichke­it ist das nicht: Mohring erinnert an die „schweren Zeiten“, als die SPD mit Gerhard Schröder einen Kanzler hatte, der gut im Osten ankam, und die CDU nur das Direktmand­at im Eichsfeld gewann.

Jetzt sieht es ganz anders aus, ein ähnliches Ergebnis wie 2013 scheint am 24. September möglich, trotz AFD. Doch Mohring gibt sich vorsichtig. Wichtig sei die Mobilisier­ung, sagt er. „Wir dürfen nicht ansatzweis­e Selbstden gefälligke­it entwickeln. Wenn unsere Wähler denken, wir haben eh gewonnen, bleiben sie vielleicht zu Hause.“

Am Abend in Apolda sind sie jedenfalls gekommen. Mohring kann ihnen öffentlich­keitswirks­am zurufen, dass die Gebietsref­orm gescheiter­t ist und das mit dem Unterricht­sausfall immer schlimmer wird. Einmal klingt er sogar ehrlich empört: „Und die hören einfach nicht auf!“

Am Ende des Auftritts überreicht er dann der Kanzlerin den Beutel mit dem Foto und sagt ins Mikrofon, dass sie damit im Kadewe in Berlin einkaufen könne. Die Kanzlerin lächelt indifferen­t, faltet den Beutel zusammen, steckt ihn in eine andere Tasche und sagt nichts dazu. Sie muss ja nicht alles mitmachen.

Die Nummer 1 in Thüringen

 ??  ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel – hier mit Alt-ministerpr­äsident Dieter Althaus, Bundestags­mitglied Johannes Selle und Thüringens CDU-CHEF Mike Mohring (von links) – gibt vor ihrer Rede auf der Landesgart­enschau in Apolda Autogramme. Foto: Sascha Margon
Bundeskanz­lerin Angela Merkel – hier mit Alt-ministerpr­äsident Dieter Althaus, Bundestags­mitglied Johannes Selle und Thüringens CDU-CHEF Mike Mohring (von links) – gibt vor ihrer Rede auf der Landesgart­enschau in Apolda Autogramme. Foto: Sascha Margon

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