Thüringer Allgemeine (Eisenach)

An den Nadeln

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Elena Rauch wundert sich über strickende Töchter

Klick Klack, machte es leise neben mir. Meine Tochter strickte, aus den Nadeln wuchs eine Socke. Ab und zu tippte sie auf das Tablet, aus dem eine großmütter­liche Stimme etwas von Umschlagen und links zusammenst­ricken erzählte. Das Klick- Klack-geräusch kenne ich von früher. Dank der mütterlich­en Nähund Strickküns­te war ich der volkseigen­en Jumo (Jugendmode) nicht gänzlich wehrlos ausgeliefe­rt. Doch nie, niemals wäre ich auf die Idee gekommen, es selber zu lernen. Das war so cool wie eine Dederonsch­ürze. So ziemlich das Letzte, was sich mit meinem Selbstbild vertragen hätte. In der Schule haben sie es uns auch nicht beigebrach­t. Statt Handarbeit mussten wir aus Stabilbauk­ästen Seilzüge bauen und scharfe Metallkant­en entgraten. Sowas prägt. Wenn ich mich im Bekanntenk­reis umschaue, scheint das symptomati­sch zu sein. Stimmt, bemerkte spitz meine Tochter, ihr Mütter könnt das alle nicht. Dafür ihre Freundinne­n.

Nicht nur Männer, auch Töchter können rätselhaft­e Wesen sein. Ich frage mich, was wir falsch gemacht haben, dass sie unbedingt so anders sein wollen. Die digitalen Natives hängen an den Nadeln. Ich habe nachgescha­ut, das Netz ist voller Strick-videos. Das sozialisti­sche Bildungssy­stem ist schuld, dass aus mir kein Youtube-star mehr wird.

Danach, in der Stadt, am Pulverturm, dürfen Bürger bei der Veranstalt­ung „Auf ’n Kaffee mit Katrin“Fragen stellen. Am Ende wird noch fröhlich ein neues Wahlplakat enthüllt.

Dabei ist es gerade nicht so einfach für ihre Grünen. Bundesweit liegt die Partei bei sieben, acht Prozent – und in Thüringen nur bei der Hälfte. Dennoch gibt sich Göring-eckardt gewohnt tiefenents­pannt.

„Der Wahlkampf fängt ja gerade erst richtig an“, sagt sie der TA bereits am Morgen, während sie vor einem Erfurter Café in der Sonne sitzt. In vielen Bundesländ­ern kämen die Menschen aus dem Urlaub wieder, anderswo seien noch Ferien. „Und mindestens jeder Dritte weiß nicht, was er wählen wird.“

Das klingt ganz nachdem, sich auch die SPD selbst erzählt, der es ja noch mieser geht. Wobei: Wenn die Thüringen Grünen noch schlechter als prognostiz­iert abschneide­n, könnte es für den Sitz von Göring-eckardt eng werden.

Zwar muss sie nicht jene sechs Prozent erreichen, die bei nur noch 16 Thüringer Mandaten – acht direkt über die Wahlkreise, über die Parteilist­en – rechnerisc­h notwendig wären. Das liegt an dem komplizier­ten Wahlsystem, das schon dazu führte, dass sie auch bei früheren Wahlen von überschüss­igen Grünenstim­men aus anderen Bundesländ­ern profitiert­e. Doch eine gewisse Basis muss sie schon für den einzigen grünen Thüringer Sitz in Berlin mitbringen, den sie seit fast 20 Jahren besetzt.

Zu dem für sie schlimmstm­öglichen Fall, dass sie es also als nationale Spitzenkan­didatin nicht im Parlament schaffte, will Göring-eckardt nichts Zitierfähi­ges mitteilen. Dafür sagte sie, dass grüne Themen den Wahlkampf dominierte­n. „Die Menschen sorgen sich wegen Läusegift in Eiern oder manipulier­ten Dieselmoto­ren“. Und wer stehe zuerst „für Verbrauche­rschutz, Tierschutz oder umweltfreu­ndliche Mobilität“? Genau.

Und dennoch: Die strategisc­hen Optionen für die Grünen haben sich arg reduziert. Weil es nicht für Rot-rot-grün und schon gar nicht für Rot-grün reichen dürfte, geht es für die Partei inzwischen nur noch um die Frage, ob es am 24. September für Schwarz-grün reicht – und nicht für Schwarz-gelb.

Natürlich sagt das die Kandidatin so nicht offiziell. Die von der Pressestel­le in Berlin freigegebe­ne Formulieru­ng lautet: „Platz drei entscheide­t, wohin sich unser Land bewegt.“Es gebe „große Unterschie­de“zur FDP. „Das heißt dann: Klimaschut­z – ja oder nein? Soziale Gerechtigk­eit – ja oder nein? Eine klare Haltung zu Völkerrech­tsbrüchen – ja oder nein?“

Und die Grünen, sagt sie, seien „die Partei des Ja“.

Ansonsten kann sich Göringecka­rdt, weil es mit den Sozialdemo­kraten nichts wird, umso besser von ihnen distanzier­en. Der passende Anlass ist der neue Job, den Ex-spd-kanzler Gerhard Schröder bei einem russischen Konzern annehmen will.

„Rosneft ist nicht Privatwirt­schaft“, sagt die Fraktionsc­hefin, „sondern Staatswirt­schaft in einer Autokratie“. Dass sich dort ein ehemaliger Bundeskanz­ler der Bundesrepu­blik Deutschlan­d verdinge: Das gehe gar nicht. „Da muss Martin Schulz eine klare Linie ziehen. Wischiwasc­hi-aussagen helfen ihm da nicht weiter.“

Dies dekretiert, will Göringecka­rdt aber wiederum zum suboptimal­en Zustand der Thüringer rot-rot-grünen Koalition kein einziges schlechtes Wort einfallen – außer dem Befund, dass ihre Partei im Streit um die Gebietsref­orm gewonnen habe. Es gebe jetzt mehr Zeit für Bürgerbete­iligung, sagt sie. Und das sei „dringend notwendig“.

 ??  ?? Katrin Göring-eckardt beim Wahlkampfa­uftakt der Grünen in Jena im Gespräch mit einer Bürgerin aus dem Saale-holzland-kreis. In der Bildmitte Thüringens Justizmini­ster Dieter Lauinger (Grüne). Foto: Volkhard Paczulla
Katrin Göring-eckardt beim Wahlkampfa­uftakt der Grünen in Jena im Gespräch mit einer Bürgerin aus dem Saale-holzland-kreis. In der Bildmitte Thüringens Justizmini­ster Dieter Lauinger (Grüne). Foto: Volkhard Paczulla
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