Thüringer Allgemeine (Eisenach)

„Wir haben keine Angst“

In Spanien trauern die Menschen um die 14 Toten und 130 Verletzten der Anschläge von Barcelona und Cambrils

- Von Sören Kittel

Barcelona. Es sollte nur eine Minute des Schweigens werden, aber am Ende wird es eine halbe Stunde, in der die Menschen auf dem zentralen Platz in Barcelona still beieinande­r stehen. Die Alten, die eben noch am Straßenran­d Schach gespielt haben. Tätowierte Männer, die stumm weinen. Touristen, die der Terror im Urlaub eingeholt hat.

Plaça de Catalunya, zwölf Uhr mittags, es ist der Tag nach dem Terror. Tausende Menschen, viele in Schwarz gekleidet, versammeln sich zum Gedenken an die Terroropfe­r von Donnerstag. Die Flügelschl­äge der Tauben sind für kurze Zeit das einzige Geräusch, das die Stille durchbrich­t. Die Vögel finden keinen Fleck mehr zum Landen und kreisen über den Köpfen der Menschen.

Ganz vorne in der ersten Reihe, mit Blick zu den beiden großen Brunnen, steht König Felipe. Tief bewegt schließt er die Augen. Dann aber kommt das wahre Wesen der weltoffene­n, fröhlichen Stadt wieder an die Oberfläche: Minutenlan­g applaudier­en die Bürger im Gedenken an die Opfer. Jemand beginnt auf Katalan zu rufen: „No temim por!“Es wird der Schlachtru­f dieses Tages. Eine Katalanin flüstert die Übersetzun­g: „Wir haben keine Angst!“

Der große Platz liegt am nördlichen Ende der Prachtstra­ße Las Ramblas. Es ist noch nicht einmal 24 Stunden her, dass der Attentäter hier mit seinem Lieferwage­n auf die breite Fußgängerp­romenade in der Mitte fuhr. In hohem Tempo legte er in Schlangenl­inien mehrere hundert Meter zurück. Menschen rannten in Panik in alle Richtungen. Viele wurden überfahren. Augenzeuge­n-videos im Internet zeigen, wie links und rechts Tote und Schwerverl­etzte liegen. In Sekunden verwandelt­e sich die Flaniermei­le mit ihren edlen Geschäften und Cafés in einen Ort des Schreckens.

Jetzt, am Freitag, sind die Absperrung­en der Polizei aufgehoben. Die Ramblas sind wieder voller Menschen. Sie legen Blumen nieder, zünden Kerzen an. Auf Schildern steht: „Barcelona ist eine friedliche Stadt“. Eine ältere Frau bleibt stehen und schaut auf den Steinboden, als hätte sie etwas verloren. Links und rechts gehen die Menschen vorbei, die von der Schweigemi­nute auf der Plaça de Catalunya kommen. Die Frau kniet sich hin und weint. Wenn man hinsieht, erkennt man das Blut zwischen den Fugen des Pflasters.

Christian Günther und seine Frau Julia waren am Abend des Attentats nur wenige Kilometer entfernt. „Ich habe noch zu meiner Frau gesagt, dass Barcelona eine so ruhige Stadt ist“, erzählt Günther. „Man hört nie Sirenen.“Als sie am Donnerstag­abend die Innenstadt erreichten, war sie voll mit Rettungsun­d Polizeiwag­en. Andere Deutsche erzählten ihnen, was geschehen war. „Man muss jetzt wohl damit leben“, sagt Julia Günther. Ihren ersten Urlaub in diesem Jahr verbrachte die Familie in London, eine Woche bevor dort der Terror zuschlug. Schon im Dezember war ihre Tochter in Berlin auf dem Breitschei­dplatz, nur Stunden bevor das Attentat geschah. Am Freitagabe­nd wollte die Familie das Kreuzfahrt­schiff Aida besteigen, um durch das Mittelmeer zu fahren. Viele Deutsche sind mit diesem Schiff nach Barcelona gekommen, am Freitagmor­gen hat es im Hafen angelegt. Der Kapitän hat die Passagiere ermahnt, beim Besuch Barcelonas vorsichtig zu sein. Nun sind die Touristen in der Stadt unterwegs. Aber sie fotografie­ren nicht die architekto­nischen Meisterwer­ke des Architekte­n Antoni Gaudi: die Kathedrale Sagrada Família oder den Park Güell. Sie stehen vor den Blumenberg­en, die langsam entlang der Las Ramblas entstehen. „Du bist noch bei mir, ich kann dich spüren“, steht auf einem Zettel, der dort liegt. Auf einen anderen hat jemand wütend geschriebe­n: „Diese Kakerlaken werden uns nicht unterkrieg­en!“Menschen bleiben stehen, umarmen einander und weinen.

Am Donnerstag­abend war hier wegen der Absperrung­en kein Durchkomme­n. Touristen konnten ihre Hotels nicht erreichen. Sie aßen noch morgens um drei Uhr auf ihren Koffern entlang der Absperrbän­der. Abraham Mint aus Neuseeland war einer von ihnen, dabei wollte er nur in sein Hotel zurück. Der 39Jährige saß in einem Restaurant, als der Kleintrans­porter in die Menschen raste. „Ich konnte alles sehen und vor allem hören“, erzählt er noch immer mitgenomme­n. Etwa 50 Meter vom Tatort entfernt habe er gesessen, er sei sofort ins Innere des Restaurant­s gerannt. Danach sei er in sein Hotel gegangen und wollte sich gegen 23 Uhr noch etwas zu essen kaufen. „Aber dann kam ich nicht mehr zurück.“Vier Tage Urlaub habe er noch. Feiern könne er hier aber nicht mehr.

In Barcelona, der Stadt der Lebensfreu­de, patrouilli­eren nun Polizisten mit Sturmgeweh­ren. An den Fenstersch­eiben kleben schwarze Schleifen. An der Stelle der Ramblas, an der der Lieferwage­n des Terroriste­n zum Stehen kam, brüllen sich am Freitag zwei Menschen an. Ein älterer Mann beschuldig­t einen jüngeren, ihn bestohlen zu haben. Doch was ist schon Diebstahl im Vergleich zu Terror? Für einen Moment sieht es so aus, als sei in der Touristens­tadt die Normalität zurück.

Zwischen den Fugen des Pflasters ist Blut

Die Ermittler sind sicher: Der Fahrer von Cambrils steht in Verbindung mit einer Dschihadis­tenzelle in Alcanar. Dort, rund 200 Kilometer südlich von Barcelona, hatte es Mittwochna­cht eine heftige Explosion in einem Wohnhaus gegeben. In dem Haus lagerten etwa 20 Flaschen mit Propan- und Butangas, die offenbar in Barcelona als Sprengsatz eingesetzt werden sollten. Die Ermittler nehmen an, dass die mutmaßlich­en Islamisten einen Fehler beim Hantieren mit den Geräten machten und die Explosion auslösten. Ein Mensch kam dabei ums Leben, mutmaßlich einer der Bombenbaue­r; sieben weitere wurden verletzt.

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Noch in der Nacht wird der Lieferwage­n, mit dem der Attentäter über die Ramblas fuhr, abtranspor­tiert. Foto: Reuters/perez
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Das bei einer Explosion zerstörte Haus in Alcanar. Foto: dpa

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