Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Insel mit
Ibiza gilt als Promi-eiland und große Open-air-disco. Doch auf der Mittelmeerinsel gibt es noch immer ruhige und verträumte Ecken fernab des Rummels – und bis heute auch eine Hippieszene
Juanito Mari liebt es, die Geschichte von Las Dalias zu erzählen, dem berühmtesten Hippiemarkt Europas – es ist auch die Geschichte seiner Kindheit. Hier wuchs er auf. „Las Dalias ist ein Lebensgefühl, das die Baleareninsel Ibiza weltweit berühmt machte.“Um 22 Uhr weht ein laues Lüftchen. Eine Ethno-band spielt inmitten der rund 200 Stände des Nachtmarkts, die Stimmung ist locker. Der 56jährige Mari nippt zufrieden an seinem Bier. Hier ist er zu Hause. Die Kneipe, die zum Hippiemarkt gehört, hatte sein Vater Joan 1954 als Straßenbar für die Bewohner gegründet. Es sollte der Beginn einer Legende werden, doch das ahnte damals noch niemand.
Tourismus gab es in jener Zeit noch nicht, nur vereinzelt kamen Berühmtheiten wie Aristoteles Onassis oder Fürst Rainier von Monaco auf die wildromantische Insel mit ihren Pinienwäldern, zerklüfteten Küsten und türkisblauen Buchten. Das änderte sich in den 1960ern, später erkor der internationale Jetset-szene die Insel zu seinem Lieblingsziel. Zunächst aber strandeten auf Ibiza die „Peluts“, die Haarigen, wie die Einheimischen sie nannten. Die meisten Aussteiger siedelten sich in der Gegend von Sant Carles an. Für wenig Geld kauften sie den
Insulanern die weißen würfelförmigen Häuser ab. Abends trafen sie sich in Las Dalias, dem Hotspot der Insel. Es war die Blütezeit von Flower Power. 1985 entstand der Las Dalias auf dem Gartengelände unterhalb der Kneipe – heute eine Institution.
Das Gleiche gilt für die nicht weit von Maris Kneipe entfernte urige Bar „Ca n’anneta“gegenüber der weiß getünchten Kirche von Sant Carles. Sie ist nicht nur wegen der leckeren Tapas gut besucht, sondern auch wegen ihrer Geschichte als Hippieoase. „Der Ruhm früherer Tage bringt uns viele Gäste“, sagt Kellner Pepe Guasch. Bis heute sind der Norden und Nordwesten rund um die hübsche Stadt Santa Eulària des Riu das Epizentrum der Hippiekultur.
Weniger beschaulich geht es in Sant Antoni im Westen der Insel zu. Das einst verschlafene Fischerdorf ist inzwischen eine der größten Städte der Insel, mit Edeldiskotheken wie dem Amnesia und der höchsten Beach-club-dichte Ibizas. Im „Café del Mar“warten wie an jedem Abend bereits mehrere Hundert Menschen darauf, dass die Sonne im Meer versinkt. Und das Erste, was man beim Anflug auf Ibiza sieht, ist die Partymeile entlang der Platja d’en Bossa, einem der längsten Sandstrände der Insel.
Also doch zurück in den ruhigeren Norden. In der verschlafenen Siedlung Balàfia im Landesinneren stehen fünf Bauernhäuser, die an alte Zeiten erinnern. Über einigen der Casas Payesas erheben sich trutzige Schutztürme.
Mehrere der schönsten Wanderwege der Insel starten ebenfalls im Norden, im Dorf Santa Agnès, bekannt für seine urige Bar „Can Cosmi“und die spektakuläre Mandelblüte im Februar. Von hier aus gelangt man schnell zur Puerta del Cielo, dem Tor des Himmels, einem Fels, der einen spektakulären Ausblick bietet. „Die Insel hat eine gespaltene Seele“, sagt Canseco an seinem Lieblingsstrand Benirràs im Norden, wo Hippies abends die Sonne mit Trommelwirbel verabschieden.
Noch gibt es zwischen Hippies und Partyszene eine gewisse Balance, jeder hat seine Refugien. Doch auf die Insel mit ihren 140 000 Bewohnern kommen jedes Jahr mehr als drei Millionen Touristen, Tendenz steigend. Canseco ist optimistisch: „Um den Rummel kann man einen Bogen machen, man muss es nur wollen.“