Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Zarte Bewegung fest gebrannt
Das Faible für Figuren aus weißem Gold zieht Jens Walter aus Niedersachsen zum Thüringer Porzellan auf die Leuchtenburg
Kahla. Als gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann sowie selbstständiger Unternehmensund Anlageberater schätzt Jens Walter die Überzeugungskraft harter Zahlen. Waren gut zu verkaufen, Geld und Werte zu vermehren, das war sein Ding. „Jahrelang habe ich in diesem Metier tagtäglich 120 Prozent gegeben“, sagt der 50-Jährige. Walter redet in der Vergangenheit.
Denn seit einem guten Jahr hat Walter seiner Heimatstadt Wolfenbüttel in Niedersachsen den Rücken gekehrt, hat seine Kunden Geschäftspartnern seines Büros in Hannover anvertraut und bei der Stiftung Leuchtenburg einen neuen Job angenommen. Seit Februar verstärkt Jens Walter das Marketingteam der Leuchtenburg und setzt sich „nun hauptberuflich für das Thüringer Porzellan ein“.
Dem gehört allerdings schon seit mehr als 20 Jahren Walters große Liebe. Wie das mit Herzensangelegenheiten so ist, „kam die wie eine Krankheit, die einen befällt“. Ausgelöst wurde diese von „unserer neuen Wohnung und einem neuen leeren Schrank“, erinnert er sich. Bei einem Antiquitätenhändler entdeckten Walter und seine Frau eine Porzellanfigur des „alten Fritz“, die dann für 270 DM den Besitzer wechselte. „Nach zwei Wochen bin ich auf die Bodenmarke der Figur aufmerksam geworden, ein K mit Krone“, erzählt er. In einem Bestimmungsbuch fand er dann die zugehörige Manufaktur: Rudolf Kämmer in Rudolstadt. „Dass es in deren Umkreis noch zahlreiche andere Manufakturen gab, hat mich neugierig gemacht“, sagt Walter. Und deshalb führte die nächste Urlaubsreise über Thüringen.
„In Scheibe-alsbach hing an der Tür der Manufaktur ein handgemaltes Schild „Werksverkauf 6.50 -12 Uhr“, mit einem Knarren öffnete sich uns eine Schatzkammer“, erzählt Walter. Eine lange Zeit später verließ er diese mit zwei „zuckersüßen Püppchen“, wohlverpackt in einer Schachtel. „Damit sind wir dann eine Woche kreuz und Jens Walter hier mit der „Schwimmerin von Arthur Storch – hat nicht nur privat sein Herz an Thüringer Porzellan verloren, er arbeitet auf der Leuchtenburg auch dafür, es als Marke touristisch bekannter zu machen. Rechts: eine erotische Schneckenfigur von Kati Zorn. Foto: Angelika Schimmel
quer durch Bayern gefahren, die Püppchen haben die Tour unbeschadet überstanden und stehen noch heute im Schrank“. Und sie haben noch viel Gesellschaft bekommen. Denn Lichte, Walldorf und Unterweißbach waren weitere Stationen auf weiteren Reisen Walters durch das Thüringer Porzellanland.
„In Unterweißbach wurden wir freundlich durch die gesamte Manufaktur geführt, dort ist mir erstmals der Geruch der Porzellan-malfarben in die Nase gestiegen, in Volkstedt haben wir Christel und Erhard Kämmer und in der Aeltesten Volkstedter Udo Dittrich kennengelernt, zu denen wir noch heute eine gute Freundschaft pflegen. Aber hätte mir damals jemand gesagt, dass ich 2010 einen Vortrag über 250 Jahre Thüringer Porzellan halten werde und am Werksverzeichnis der Thüringer
Porzellane mitarbeite, ich hätte es ihm nie und nimmer geglaubt“, sagt er. Seit damals ist Walters Porzellansammlung stetig gewachsen. Ihr Schwerpunkt liegt in figürlichem Porzellan, das zwischen 1919 und 1933 in den diversen Manufakturen entstand. Eins seiner Lieblingsstücke ist „Die Schwimmerin“von Bildhauer Arthur Storch, der für die Schwarzburger Werkstätten arbeitete. „Seine Tochter Elsa hat ihm dafür Modell gestanden. Wie lebendig er die Figurine formte, wie es ihm gelang, die zarte Bewegung im gebrannten Material festzuhalten, lässt mich immer wieder ehrfürchtig erstaunen“, sagt Walter. Mit einem Augenzwinkern verweist er auf einen anderen Favoriten, die auf einer Schnecke reitende Nymphe von Kati Zorn. „Hier ist es der Künstlerin mit außerordentlicher Raffinesse gelungen, ein erotisches Thema ziemlich unschuldig darzustellen“, sagt Walter. Natürlich gehöre auch neues, modernes Design zu seiner Sammlung, unter anderem von Kati Zorn und Kerstin Kreller – die mit ihren Entwürfen an die Grenzen des technisch Machbaren geht.“
Dass Walter heute auf der Leuchtenburg daran arbeitet, die dortigen „Porzellanwelten“im In- und Ausland bekannter zu machen und überhaupt noch viel mehr Leute auf die Thüringer Porzellanstraße zu locken, das sei anfangs „die verrückte Idee“von Museumsleiterin Ulrike Kaiser gewesen. „Aber ich bin hier sehr glücklich, gehöre hier zu einem Team, das sehr agil, offen und engagiert arbeitet“, sagt Walter. Inzwischen sei er in Kahla heimisch geworden – verstehe aber immer noch nicht, „warum Kahla sich nicht mehr seiner Porzellangeschichte bewusst ist“, gesteht der 50-Jährige. Den Begriff „Thüringer Porzellan“zu einer Marke zu machen, die den Menschen genauso viel sagt wie Meissner Porzellan, dafür arbeitet Walter bei der Stiftung Leuchtenburg. „Thüringen ist weltweit das Kompetenzzentrum für Porzellan. Um 1900 gab es hier mehr als 400 Betriebe, die sich mit Porzellan beschäftigten. In solcher Ballung gab es das nirgends.“In den 1920er Jahren gab Max Adolf Pfeiffer, Werkbund-mitglied und Leiter der Unterweißbacher Manufaktur, Anstöße für eine Kunst aus ihrer Zeit heraus in der Porzellanherstellung „Er hat beispielsweise Ernst Barlach und Gerhard Marcks überzeugt, hier mit Porzellan zu arbeiten“, erklärt er. In Thüringen sei bis zur Wende viel an Porzellankompetenz und Kunstfertigkeit erhalten geblieben, danach gab es jedoch einen Bruch. „Viele der Modelleure und Porzellanmaler sind damals arbeitslos geworden, andere gehen jetzt in den Ruhestand. Es ist sehr mühsam, das alles heute wieder zu lernen“, sagt Walter. Doch die Branche lebe und entwickle sich weiter, das zeigten Unternehmen wie in Reichenbach, Rudolstadt, Gräfenthal, Weimar, aber auch Triptis und Kahla. Und diesen Schatz will Walter mit der Stiftung und den „Porzellanwelten“auf der Leuchtenburg heben.
Ein Kompetenzzentrum für Porzellan weltweit