Thüringer Allgemeine (Eisenach)
„Wagenknechts Bewegung wird nicht funktionieren“
Linke-landeschefin und Fraktionsvorsitzende Hennig-wellsow über die neue linke Sammlungsbewegung und Rot-rot-grün
Erfurt. Am 4. September will die linke Bundestagsfraktionschefin Sahra Wagenknecht offiziell ihre Sammlungsbewegung starten. In Thüringen überwiegt die Skepsis. Wir sprachen mit der Landesvorsitzenden darüber.
Frau Hennig-wellsow, was halten sie von der Bewegung „Aufstehen!“?
Seit diese Idee der Sammlungsbewegung kursiert, frage ich mich, was Sahra eigentlich will.
Sie und Oskar Lafontaine sagen: Die AFD zurückdrängen. Sie sei inzwischen die Partei der Arbeiter und Arbeitslosen. Diese Wähler müsse man zurückholen. Einverstanden? Nein. Selbst wenn dies wahr wäre, was ich stark bezweifle: Mit einer Sammlungsbewegung wird dies nicht funktionieren, jedenfalls nicht in Deutschland. Denn nur als Partei kann man zu Wahlen antreten und die Politik im Bund über das Parlament beeinflussen – und eine Partei bedeutet Satzung, Mehrheitsentscheidungen, also mühsame, aber notwendige innerparteiliche Demokratie.
Und das wollen Lafontaine und Wagenknecht nicht?
Das müssen Sie sie fragen. Sammlungsbewegungen, die nach dem Vorbild von Podemos in Spanien oder La France insoumise in Frankreich angelegt sind, ließen sich wahrscheinlich von oben führen, ohne lästige Kompromisse. Aber das wird hier nicht bei Wahlen funktionieren, zumal Podemos von unten entstanden ist und nicht als Internet-aufruf mit Einschreiblisten. Man weiß ja auch nicht, was diese Bewegung wirklich will. Mir scheint das nicht erfolgsversprechend.
Im Internet kursiert ein sogenannter Gründungsaufruf . . .
. . . der, wenn er das ist, was er zu sein behauptet, eine wilde Mischung aus Lafontainscher ALTSPD, Rückzug auf den Nationalstaat und Punkten darstellt, die von der Linken und Grünen vertreten werden, und teilweise von Union oder AFD. Viele Allgemeinplätze, nichts Konkretes.
In dem Aufruf heißt es : „Die Sprachlosen brauchen eine Stimme.“Ist das nicht klassische linke Rhetorik?
Die Ironie dahinter ist ja: Die Linke, deren Bundestagsfraktionschefin Sahra Wagenknecht ist, war schon immer auch eine Sammlungsbewegung, die jenen eine Stimme gab und gibt, die keine ausreichende Vertretung in der Gesellschaft haben: den sozial an den Rand Gedrängten und Ausgeschlossenen, den Arbeitslosen, den Migranten.
Migranten sind aber eher ein Problem für Wagenknecht. Leider. Meine inhaltliche Kritik ist, dass sie allein die Erzählung von dem Geflüchteten übernimmt, der dem Deutschen im Zweifel die Wohnung, den Job oder den Kita-platz wegnimmt. Migranten werden so nur zu Konkurrenten am unteren Ende der gesellschaftlichen Nahrungskette. Deutsche und Migranten werden sich dementsprechend nicht gemeinsam gegen soziale Schieflagen wehren. Solidarität und Internationalität bleiben auf der Strecke.
Weil es aus Sicht von Wagenknecht keine gesellschaftliche Mehrheit dafür gibt. Rot-rotgrün sei tot. . .
. . . was besonders bizarr ist, weil wir in Berlin und hier in Thüringen gemeinsam mit SPD und Grünen erfolgreich regieren. Dass im Bund gerade keine Mehrheit dafür da ist, heißt doch nur, dass wir engagierter arbeiten müssen und dafür auch Sahra brauchen.
Auch in Thüringen fehlt die Mehrheit. Besorgt?
Im Landtag haben wir die Mehrheit. Und Umfragen besorgen mich nicht, sie motivieren mich. Wir haben vier Jahre erfolgreich dieses Land regiert. Wir haben gezeigt, dass wir es können.
Sie haben bei Rekordeinnahmen das Land nur verwaltet, was selbst der Ministerpräsident einräumt, und keinerlei ernstzunehmende Strukturreform durchgeführt.
Ich könnte jetzt alles aufzählen, vom kostenfreien Kitajahr bis zu der einer Milliarde Euro beim Schuldenabbau. Wir haben das Geld des Landes viel stärker im Sinne der Thüringerinnen und Thüringer eingesetzt als die Vorgängerregierung. Natürlich hat auch manches nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstellten. Aber das hat manchmal mit dem vierten Koalitionspartner zu tun.
Mit wem bitte?
Der Verwaltung. Dort arbeiten viele gute, engagierte Beamte und Angestellte. Aber es gibt auch Mitarbeiter, die nicht den Erfolg von Rot-rot-grün wollten.
Sie werden also von der Bürokratie sabotiert?
Sabotiert – das ist nicht meine Formulierung. Der Apparat macht es uns manchmal schwer. Ja, Verwaltung bremst immer mal wieder Politik aus. Ich sage aber, dass wir das stärker gespürt haben als unsere Vorgänger. Dass die CDU 24 Jahre dieses Land regierte, hat etwas entstehen lassen.
Den schwarzen Filz?
Auch das ist wieder Ihre Formulierung.
Deshalb also arbeiten Sie so stark am roten Filz?
Das ist eine Unterstellung, die nicht dadurch besser wird, dass die eine oder andere Einstellung oder Versetzung in die Öffentlichkeit gebracht wird.
Vielleicht ergäbe es dann doch Sinn, mit den Schwarzen zu koalieren?
Nein. Im Gegenteil.