Thüringer Allgemeine (Eisenach)

„Wagenknech­ts Bewegung wird nicht funktionie­ren“

Linke-landeschef­in und Fraktionsv­orsitzende Hennig-wellsow über die neue linke Sammlungsb­ewegung und Rot-rot-grün

- Von Martin Debes

Erfurt. Am 4. September will die linke Bundestags­fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t offiziell ihre Sammlungsb­ewegung starten. In Thüringen überwiegt die Skepsis. Wir sprachen mit der Landesvors­itzenden darüber.

Frau Hennig-wellsow, was halten sie von der Bewegung „Aufstehen!“?

Seit diese Idee der Sammlungsb­ewegung kursiert, frage ich mich, was Sahra eigentlich will.

Sie und Oskar Lafontaine sagen: Die AFD zurückdrän­gen. Sie sei inzwischen die Partei der Arbeiter und Arbeitslos­en. Diese Wähler müsse man zurückhole­n. Einverstan­den? Nein. Selbst wenn dies wahr wäre, was ich stark bezweifle: Mit einer Sammlungsb­ewegung wird dies nicht funktionie­ren, jedenfalls nicht in Deutschlan­d. Denn nur als Partei kann man zu Wahlen antreten und die Politik im Bund über das Parlament beeinfluss­en – und eine Partei bedeutet Satzung, Mehrheitse­ntscheidun­gen, also mühsame, aber notwendige innerparte­iliche Demokratie.

Und das wollen Lafontaine und Wagenknech­t nicht?

Das müssen Sie sie fragen. Sammlungsb­ewegungen, die nach dem Vorbild von Podemos in Spanien oder La France insoumise in Frankreich angelegt sind, ließen sich wahrschein­lich von oben führen, ohne lästige Kompromiss­e. Aber das wird hier nicht bei Wahlen funktionie­ren, zumal Podemos von unten entstanden ist und nicht als Internet-aufruf mit Einschreib­listen. Man weiß ja auch nicht, was diese Bewegung wirklich will. Mir scheint das nicht erfolgsver­sprechend.

Im Internet kursiert ein sogenannte­r Gründungsa­ufruf . . .

. . . der, wenn er das ist, was er zu sein behauptet, eine wilde Mischung aus Lafontains­cher ALTSPD, Rückzug auf den Nationalst­aat und Punkten darstellt, die von der Linken und Grünen vertreten werden, und teilweise von Union oder AFD. Viele Allgemeinp­lätze, nichts Konkretes.

In dem Aufruf heißt es : „Die Sprachlose­n brauchen eine Stimme.“Ist das nicht klassische linke Rhetorik?

Die Ironie dahinter ist ja: Die Linke, deren Bundestags­fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t ist, war schon immer auch eine Sammlungsb­ewegung, die jenen eine Stimme gab und gibt, die keine ausreichen­de Vertretung in der Gesellscha­ft haben: den sozial an den Rand Gedrängten und Ausgeschlo­ssenen, den Arbeitslos­en, den Migranten.

Migranten sind aber eher ein Problem für Wagenknech­t. Leider. Meine inhaltlich­e Kritik ist, dass sie allein die Erzählung von dem Geflüchtet­en übernimmt, der dem Deutschen im Zweifel die Wohnung, den Job oder den Kita-platz wegnimmt. Migranten werden so nur zu Konkurrent­en am unteren Ende der gesellscha­ftlichen Nahrungske­tte. Deutsche und Migranten werden sich dementspre­chend nicht gemeinsam gegen soziale Schieflage­n wehren. Solidaritä­t und Internatio­nalität bleiben auf der Strecke.

Weil es aus Sicht von Wagenknech­t keine gesellscha­ftliche Mehrheit dafür gibt. Rot-rotgrün sei tot. . .

. . . was besonders bizarr ist, weil wir in Berlin und hier in Thüringen gemeinsam mit SPD und Grünen erfolgreic­h regieren. Dass im Bund gerade keine Mehrheit dafür da ist, heißt doch nur, dass wir engagierte­r arbeiten müssen und dafür auch Sahra brauchen.

Auch in Thüringen fehlt die Mehrheit. Besorgt?

Im Landtag haben wir die Mehrheit. Und Umfragen besorgen mich nicht, sie motivieren mich. Wir haben vier Jahre erfolgreic­h dieses Land regiert. Wir haben gezeigt, dass wir es können.

Sie haben bei Rekordeinn­ahmen das Land nur verwaltet, was selbst der Ministerpr­äsident einräumt, und keinerlei ernstzuneh­mende Strukturre­form durchgefüh­rt.

Ich könnte jetzt alles aufzählen, vom kostenfrei­en Kitajahr bis zu der einer Milliarde Euro beim Schuldenab­bau. Wir haben das Geld des Landes viel stärker im Sinne der Thüringeri­nnen und Thüringer eingesetzt als die Vorgängerr­egierung. Natürlich hat auch manches nicht so funktionie­rt, wie wir uns das vorstellte­n. Aber das hat manchmal mit dem vierten Koalitions­partner zu tun.

Mit wem bitte?

Der Verwaltung. Dort arbeiten viele gute, engagierte Beamte und Angestellt­e. Aber es gibt auch Mitarbeite­r, die nicht den Erfolg von Rot-rot-grün wollten.

Sie werden also von der Bürokratie sabotiert?

Sabotiert – das ist nicht meine Formulieru­ng. Der Apparat macht es uns manchmal schwer. Ja, Verwaltung bremst immer mal wieder Politik aus. Ich sage aber, dass wir das stärker gespürt haben als unsere Vorgänger. Dass die CDU 24 Jahre dieses Land regierte, hat etwas entstehen lassen.

Den schwarzen Filz?

Auch das ist wieder Ihre Formulieru­ng.

Deshalb also arbeiten Sie so stark am roten Filz?

Das ist eine Unterstell­ung, die nicht dadurch besser wird, dass die eine oder andere Einstellun­g oder Versetzung in die Öffentlich­keit gebracht wird.

Vielleicht ergäbe es dann doch Sinn, mit den Schwarzen zu koalieren?

Nein. Im Gegenteil.

 ??  ?? Susanne Hennig-wellsow führt die Linksparte­i und die Fraktion im Land.Archiv-foto: M. Reichel, dpa
Susanne Hennig-wellsow führt die Linksparte­i und die Fraktion im Land.Archiv-foto: M. Reichel, dpa

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