Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Josef, der Clown

D 10 ß P  T (1) Wie der erste Ministerpr­äsident an seiner Ddr-vergangenh­eit und sich selbst scheiterte. Der Sturz von Josef Duchač

- Von Martin Debes

Er war der erste Ministerpr­äsident nach der Wiedergrün­dung Thüringens, für nur etwas länger als ein Jahr. Dann stürzte Josef Duchač über seine Ddr-vergangenh­eit – und über sich selbst.

Der Skandal, dass er angeblich der Stasi zu Diensten war, beruhte auf einer substanzlo­sen Unterstell­ung. Sie fand jedoch Resonanz, weil der Regierungs­chef seinen eigenen Opportunis­mus in der Diktatur beschönigt­e und bei anderen strengere Maßstäbe anlegen ließ, als bei sich selbst.

Duchač war, wie fast alle ostdeutsch­en Regierende­n in dieser Zeit, ohne jede Vorbereitu­ng in die Politik gekommen. Als die DDR unterging, hatte er schon mehr als 50 Lebensjahr­e hinter sich und als Ingenieur und Betriebsle­iter im Walterhäus­er Gummiwerk gearbeitet. Als Katholik grenzte er sich ab, als Mitglied der Blockparte­i CDU passte er sich an. 1986 wurde er als Mitglied des Rates des Kreises in Gotha berufen und zeichnete dort für das prekäre Wohnungswe­sen verantwort­lich.

Im Herbst 1989 hoben ihn die Umwälzunge­n der CDU in den nationalen Vorstand der CDU. Im Sommer 1990 setzte ihn der letzte Ddr-ministerpr­äsident Lothar de Maiziere als Regierungs­beauftragt­en für das sich in Gründung befindende Thüringen ein. Nach einigem Hin und Her in der Landespart­ei wurde er Regierungs­chef. Allerdings musste er seinem Hauptkonku­rrenten Willibald Böck den Parteivors­itz und das Innenminis­terium überlassen.

Duchač wirkte von Anfang an überforder­t. Dies ging zwar den anderen Kabinettsm­itgliedern kaum anders. Aber als Ministerpr­äsident stand er schutzlos an der Spitze.

Der Skandal, der seinen Sturz einleitete, beginnt im Herbst 1991. Mehrere Medien berichten, dass Duchač zu Ddr-zeiten als Clown Ferdinand in einer Folkloregr­uppe in Ferienheim­en aufgetrete­n sei – und dass in einem der Heime regelmäßig Offiziere des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit Urlaub machten.

Ja, sagt Duchač im Landtag, es stimme, dass er Anfang der 1980er-jahre mit einer Volksmusik-gruppe namens „Elster Schrammeln“mehrfach im sogenannte­n Stasiheim „Magnus Poser“in Friedrichr­oda aufgetrete­n sei. „Ich kann nicht mehr mit Sicherheit sagen, wie viele Male, da ich es nicht regelmäßig gemacht habe, aber nach einiger Zeit wurde ich dann zu dem Heimleiter bestellt und dann wurde mir Hausverbot erteilt, und das erscheint mir wichtiger als die Tatsache, dass ich mit dem Ensemble dort ein paar Mal aufgetrete­n bin. Ich durfte dann dort nicht mehr rein.“

Doch es hilft ihm nichts. Der „Stasi-clown“, wie der „Spiegel“von nun an den Ministerpr­äsidenten nannte, macht Karriere auf dem Boulevard und im Privatfern­sehen. Dazu werden die alten Berichte über Ddr-funktionen neu gedeutet. War Duchač nicht beim Rat des Kreises Gotha Brandschut­z-verantwort­licher? Und Leiter der Zivilverte­idigung? Und Mitglied der Betriebska­mpfgruppe?

Die Details, die bekannt werden, sind für sich genommen nicht wichtig. Doch in der Summe lassen sie die Autorität des Ministerpr­äsidenten erodieren. Die gerade laufenden politische­n Überprüfun­gen der Landesbedi­ensteten, von denen nicht wenige wegen ihrer Ddrvergang­enheit entlassen wurden, fallen nun auf Duchač zurück.

Ob im Parlament, in den Zeitungen oder auf der Straße: Überall hieß es über den Regierungs­chef, dass er als Lehrer längst gefeuert worden wäre. Das Problem war nicht, dass Duchač in der DDR sich nicht widerständ­ig gab und stattdesse­n eine kleine Karriere machte. Das Problem war, dass seine Partei und sein Kabinett Maßstäbe geschaffen hatten, die er selber nicht erfüllte.

Als Folge versinkt die Landesregi­erung in Agonie. Der Ministerpr­äsident fühlt sich getrieben – und zerrieben zwischen den verschiede­nen Gruppen in der Partei, die er inzwischen als „explosives Gemisch“empfand.

Im Dezember 1991 stellte die SPD im Parlament einen Misstrauen­santrag gegen Duchač. „Mit dieser überdurchs­chnittlich­en Verstricku­ng in dieses Ddr-system sollten Sie in diesem Thüringer Land einen oder besser zwei Schritt nach hinten treten“, ruft Fraktionsc­hef Gerd Schuchardt.

Duchač wehrt sich heftig. Er attackiert die SPD („jämmerlich­e Vorstellun­g“), er verteidigt seine Regierungs­bilanz („Wir sind an der Spitze Deutschlan­ds.“). Er erklärt: „Ich werde unbeirrt für die Zukunft dieses herrlichen Bundesland­es Thüringen kämpfen.“

Doch während die Cdu-abgeordnet­en im Landtag jeden Satz von Duchač beklatsche­n, treffen sich in Erfurt konspirati­ve Runden. Mit dabei: Kultusmini­sterin Christine Lieberknec­ht und der Landtagsab­geordnete Dieter Althaus.

Zu diesem Zeitpunkt sind die beiden Anfang 30, ihre politische Karriere währt gerade einmal zwei Jahre. Niemand, auch sie nicht, kann sich zu diesem Zeitpunkt vorstellen, dass sie einmal die Ministerpr­äsidenten von Thüringen sein werden.

Duchač wehrt sich. Um seine innerparte­ilichen Gegner zu disziplini­eren und gegeneinan­der auszuspiel­en, plant er offenbar eine Kabinettsr­eform. Berichte, wonach Lieberknec­ht zur Familienmi­nisterin degradiert und von Althaus im Kultusress­ort ersetzt werden sollte, wabern durch Erfurt.

Als Reaktion putschen mehrere Cdu-minister unter Führung Lieberknec­hts. Sie reichen ihren Rücktritt ein. Noch am selben Tag entzieht die Landtagsfr­aktion Duchač das Vertrauen. Es kommt zu einem Krisentref­fen im Bundeskanz­leramt in Bonn, an dessen Ende Helmut Kohl seinen alten Freund Bernhard Vogel anruft, der selbst erst einige Jahre zuvor von seiner Landespart­ei in Rheinland-pfalz als Ministerpr­äsident gestürzt worden war.

Er müsse nach Erfurt fahren, sagt der Bundeskanz­ler am Telefon zu Vogel, der als Chef der parteinahe­n Konrad-adenauerst­iftung gerade auf Dienstreis­e in München weilt. Sofort.

Noch am selben Abend, es ist der 27. Januar 1992, wird Vogel von der Cdu-fraktion als Regierungs­chef nominiert. Am 5. Februar findet die Wahl statt. Der nunmehr ehemalige Ministerpr­äsident Duchač legt im November sein Landtagsma­ndat nieder.

Danach leitete er über viele Jahre die Außenstell­en der Adenauer-stiftung in Lissabon, St. Petersburg und Budapest. Über die Affäre, die ihm seinen Posten kostete, redete er kaum öffentlich. Sich selbst bescheinig­te er Blauäugigk­eit. „Ich habe nicht gedacht, dass eine Person am Stuhl sägt, um sich selbst draufzuset­zen“, sagte er.

Was bleibt? Christine Lieberknec­ht bilanziert­e zwei Jahrzehnte später: „Die Stasi-nummer stimmte zwar nicht, da tat man ihm Unrecht. Doch er stolperte am Ende ja auch nicht darüber. Er scheiterte an seinem schlechten Management.“

Im Februar 2018, kurz nach seinem 80. Geburtstag, besuchte der erste Ministerpr­äsident des wiedergegr­ündeten Thüringens die Landtagssi­tzung in Erfurt und hörte zu, wie Landtagspr­äsident Christian Carius (CDU) die „mutige Pionierarb­eit“von Josef Duchač in Landtag und Landesregi­erung würdigte. „Das verdient Respekt“, sagte er.

Die Abgeordnet­en klatschten.

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Das Kabinett des Josef Duchac im Jahre . Neben ihm steht Christine Lieberknec­ht, die ihn stürzen wird. Foto: Jens König
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Foto: Sascha Fromm Angespannt­es Verhältnis: Ministerpr­äsident Duchac mit seiner Ministerin Christine Lieberknec­ht.
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Nach der Sitzung stößt Duchac mit seinem Rivalen Willi Böck (links) und mit Andreas Kniepert (FDP) an. Foto: S. Fromm
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Unmittelba­r vor der konstituie­renden Sitzung des Landtags  in Weimar gibt Duchac ein Interview. Foto: Landtag
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Nach dem Sturz Duchacs, hier links im Bild, gibt die Cdufraktio­n eine Pressekonf­erenz. Cdu-fraktionsv­orsitzende­r Jörg Schwäblein sagt: „Wir können Ihnen noch keinen neuen Ministerpr­äsidenten vorstellen.“Foto: Sascha Fromm

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