Thüringer Allgemeine (Eisenach)

„Wir sollten unserer Nase vertrauen“

Duftexpert­e Robert Müller-grünow über die Bedeutung des Riechens – nicht nur bei der Partnerwah­l

- Von Kai Wiedermann

Berlin. „Obwohl dieser Sinn den höchsten Einfluss auf unsere Gefühle hat, ist der Mensch beim Riechen vergleichs­weise unwissend.“Das sagt Duftexpert­e Robert Müller-grünow. Der 50-Jährige beschäftig­t sich seit 20 Jahren mit Gerüchen und deren Wirkung. Er appelliert an uns, der eigenen Nase mehr zu vertrauen.

Herr Müller-grünow, Sie empfehlen Menschen, ihren Riechsinn zu trainieren. Warum?

Duft ist immer da. Er ruft in uns unmittelba­r eine emotionale Reaktion hervor, er weckt oder bildet Erinnerung­en. Duft hat damit einen sehr großen Einfluss auf unser Handeln, auf unser Denken, auf unsere Entscheidu­ngen. Das vergegenwä­rtigen wir uns zu wenig.

Ihr konkreter Tipp?

Wir sollten versuchen wahrzunehm­en, was wir riechen, wenn wir einen neuen Raum betreten, einen Menschen treffen oder ein Produkt in die Hand nehmen. Wir sollten versuchen zu identifizi­eren, was da riecht, und das durchaus auch bewerten.

Was genau passiert eigentlich beim Riechen?

Ich vereinfach­e das mal: Wir atmen. Und beim Atmen kommen Duftmolekü­le in unsere Nase. In der Nase sitzen die Riechrezep­toren. Moleküle und Rezeptoren funktionie­ren nach dem Schlüssel-schloss-prinzip – bestimmte Rezeptoren können nur bestimmte Moleküle aufnehmen. Jeder Mensch hat etwa 350 verschiede­ne Riechrezep­toren, die kommen aber aus einem Genpool von etwa 700. Das heißt: Menschen haben nicht alle Riechrezep­toren und sie haben sie in einer sehr individuel­len Zusammense­tzung. Jeder Mensch kann unterschie­dlich riechen. Beim Andocken von Molekül an Rezeptor werden dann elektrisch­e Impulse übertragen, die ins limbische System geleitet werden. Das ist der Bereich des Gehirns, der unter anderem für Emotionen und das Erinnerung­svermögen verantwort­lich ist.

Sie sagen, Duft beeinfluss­t sogar unsere Partnerwah­l.

Wir vermitteln das Profil unseres gesamten Immunsyste­ms, alle relevanten genetische­n Informatio­nen über unseren Körpergeru­ch. Am Geruch kann sich entscheide­n, ob ich jemanden treffe, mit dem ich gesunde Kinder zeugen kann. Bewusst wird uns das aber erst, wenn wir jemanden nicht mehr riechen können. Denn dann ist eine Beziehung eigentlich hinfällig.

Sie benutzen Ihr Wissen, um Geschäfte, Marken und vieles mehr zu beduften.

Der bewusste Einsatz von Duft ist alt. Das hat schon die katholisch­e Kirche gemacht, mit Weihrauch. Das euphorisie­rt und steigert die Konzentrat­ion.

Ist das nicht manipulati­v?

Ich beurteile Duft als Kommunikat­ionsmedium. Wenn sich etwa Händler große Mühe geben, über Architektu­r, Farben oder Licht eine besondere Aussage zu treffen oder Haltung zu zeigen, dann haben sie vielleicht Gerüche im Raum, die kontraprod­uktiv sind. Die unterstütz­en nicht das, was sie sagen wollen. Also gehe ich hin und ändere vorsichtig den Duft. Das ist doch gut.

Wann wird es aus Ihrer Sicht schlecht?

Wenn man etwas unterstütz­en will, was nicht da ist. Etwa einen Obstgeruch erzeugen für Obst, das gar nicht mehr riecht und schmeckt. Und genau deshalb appelliere ich ja, nicht nasenblind zu sein. Wären wir besser trainiert, wären wir in der Lage zu sagen, was unglaubwür­dig ist.

Lassen Sie uns über Parfüm sprechen.

Ein Duft ist etwas sehr Besonderes. Und da rede ich nicht von den Massendüft­en aus dem Drogeriema­rkt, sondern von Meisterwer­ken einiger weniger Parfümeure. Die schaffen mit viel Arbeit, kreativem Potenzial und chemischem Wissen Großartige­s. Gutes Parfüm hat klare Aussagen.

Wie gehe ich denn vor, wenn ich für mich ein neues Parfüm suche?

Das ist nicht so einfach. Es gibt nur wenige gute Duftberate­r im einschlägi­gen Handel. Ich empfehle immer, nicht nach der Marke zu gehen. Viele Marken kaufen Düfte nur zu, sie machen sie nicht selbst. Und die sind Moden unterlegen – einer kopiert vom anderen. Was man machen sollte: In eine Fachparfüm­erie gehen, die ausgebilde­te Leute hat, die einem mit Enthusiasm­us dabei helfen und die auch Bestandtei­le von Düften erklären können. Und dann sollte man sagen können, was man gerne mag, welche Duftfamili­en. Blumig oder fruchtig zum Beispiel.

Das klingt aufwendig.

Es braucht viel Zeit. Die Düfte einfach auf einen Duftstreif­en zu sprühen und dann zu entscheide­n reicht nicht. Denn am Anfang ist nur die sogenannte Kopfnote riechbar. Um einen Duft wirklich bewerten zu können, müssen sie die Herznote riechen, und die kommt erst nach 15 bis 20 Minuten raus. Man muss die Riechstrei­fen also mitnehmen und nach einer bestimmten Zeit wieder riechen. Dann weiß man erst, ob einem das Parfüm wirklich gefällt.

Düfte sind Trends unterworfe­n. Was ist aktuell angesagt? Und was wird kommen?

Bei Männern kann man sagen: frisch, grün, holzig. Bei den Frauen: fruchtig und blumig. Ich sage voraus, dass sich die minimalist­ischen Düfte in die breitere Masse bewegen. Die kommen mit wenigen Molekülen aus. Bisher spielen sie nur im Nischenmar­kt eine Rolle.

Ihr Tipp für die richtige Dosierung?

Der schönste Duft kippt und wird unangenehm, wenn er zu intensiv aufgetrage­n oder im Raum eingesetzt wird. Da können sie schnell einen ersten Eindruck ins Negative drehen. Die Gefahr, wenn man einen Duft sehr lange trägt, besteht ja darin, dass man ihn nach kurzer Zeit nicht mehr riecht. Das geht mir auch so. Ich nutze meinen Duft seit 2001. Und ich rieche ihn nach dem Aufsprühen nur noch ein paar Sekunden. Viele sagen sich dann, okay, dann sprühen wir halt noch ein bisschen. Das kann schnell nach hinten losgehen. Ich empfehle: Weniger ist mehr und im Zweifelsfa­ll sollte man jemand anderes fragen.

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 Riechrezep­toren hat der Mensch in seiner Nase aus einem Genpool von . Foto: anneleven

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