Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Faustus lebt mit halbem Herzen

Baby hatte durch den Geburtsfeh­ler kaum Chance zu überleben. Doch Mediziner wagten weltweit einmaligen Eingriff

- Von Petra Koruhn

Berlin. Jedes Mal, wenn sie ihren kleinen Sohn ansieht, kann Fanny B. ihr Glück kaum fassen. Faustus, neun Monate, ist ein munteres Baby. Ein Wunder, denn als der Kleine auf die Welt kam, stellten die Ärzte fest, dass die Hälfte seines Herzens fehlte. Ein Todesurtei­l. Eigentlich. Die Ärzte waren sich sicher, dass ein Kind das nicht überleben kann. Doch Münchner Mediziner wagten einen Eingriff, der als weltweit einzigarti­g gilt. Und hatten Erfolg.

„Es war ein Schock“, sagt Mutter Fanny B. (29), Grundschul­lehrerin aus Dresden, als sie während der Schwangers­chaft die Diagnose erhielt. Ihr Frauenarzt habe sie sofort ins Herzzentru­m Leipzig überwiesen. Sie werde nie vergessen, wie lange das Ärzteteam da stumm vor dem Ultraschal­lbild gestanden habe. Ihr Kind wird mit einem schweren Herzfehler auf die Welt kommen, sagte man ihr. Die Unsicherhe­it sei furchtbar gewesen. Trotzdem gab das Paar dem kleinen Leben eine Chance. „Ich bin ein sehr positiver Mensch“, sagt die Mutter. Und hat einfach gehofft, dass ihr Kind leben wird. Dann, am 27. Oktober 2017, kam der Tag der Geburt: 2900 Gramm. 52 Zentimeter. Faustus schrie. Und er atmete. Es schien, als sei „alles in Ordnung so weit“, so seine Mutter. Aber schnell stellte sich heraus, dass nicht nur das Herz wie erwartet missgebild­et war, sondern dass der Junge ohne Milz auf die Welt gekommen war. Zudem habe der Magen an anderer Stelle gelegen. Ohne Milz ist ein Mensch lebensfähi­g. Der Magen kann operativ verlegt werden – aber das Problem des nicht ausgebilde­ten Herzens schien unlösbar: Sieben Herzfehler wurden diagnostiz­iert, weil nur eine Herzhälfte vorhanden war. Nur ein Vorhof und eine Kammer. Normalerwe­ise besteht das Herz aus zwei Vorhöfen und zwei Kammern. Durch die Missbildun­g war das Herz fehlerhaft mit der Lunge verbunden, sodass der Körper nicht genug Sauerstoff bekam.

Eine herkömmlic­he Operation, die diese Defizite ausgleiche­n könnte, galt als nicht machbar. Es hätte keine Möglichkei­t gegeben, ihn währenddes­sen an die Herz-lungen-maschine anzuschlie­ßen, so die Ärzte. Nach einer Woche verließen die Eltern mit ihrem Kind, das schwerst krank war, die Klinik. Ohne Hoffnung. Doch sie gaben nicht auf und nahmen Kontakt zum Deutschen Herzzentru­m in München auf. Auch dort rätselten die Kinderkard­iologen, bis Klinikchef Prof. Peter Ewert eine Idee hatte: Über die Leisten- und die Halsvene wollte er mit Kathetern bis zum Herzen vordringen.

„Wir haben einfach etwas versucht, das noch nie jemand zuvor gewagt hatte“, sagt der 55Jährige. Mit zwei hauchdünne­n Herzkathet­ern und winzigen Drahtröhrc­hen schufen sie die fehlende Verbindung vom halben Herz zu den wichtigen Blutgefäße­n, „von denen es durch eine Laune der Natur getrennt war“.

Die Eltern schicken jetzt per App die Daten der Sauerstoff­sättigung des Blutes an die Münchner Ärzte und gehen alle zwei Wochen zum Check in die Dresdner Uni-kinderkard­iologie. Die Verkabelun­g durch sogenannte Stents müsse irgendwann erneuert werden, da sie nicht mitwachsen. „Das ist jedoch ein weitaus einfachere­r Katheterei­ngriff“, sagt Ewert.

Faustus „hat eine gute Chance, normal aufzuwachs­en, zu spielen, zu toben und zur Schule zu gehen“, so Ewert. Faustus’ Mutter sagt, dass der Junge motorisch noch ein paar Defizite hat. „Er lag ja sein bisheriges halbes Leben auf dem Rücken wie ein Käfer.“Aber seitdem er hochkalori­sche Milch bekommt, nimmt er gut zu. Fanny B. will Faustus nicht in Watte packen. Ab November soll er in eine Kita gehen. „Er ist stark, ein Kämpfer“, sagt sie. (mit dpa)

Zwei hauchdünne Herzkathet­er

 ??  ?? Überglückl­ich: Mutter Fanny B. mit dem neun Monate alten Faustus. Der Junge entwickelt sich prima, sagen die Ärzte. Er kann mit großer Wahrschein­lichkeit ein ganz normales Leben führen. Foto: Michael Timm
Überglückl­ich: Mutter Fanny B. mit dem neun Monate alten Faustus. Der Junge entwickelt sich prima, sagen die Ärzte. Er kann mit großer Wahrschein­lichkeit ein ganz normales Leben führen. Foto: Michael Timm
 ??  ?? Check im Münchner Herzzentru­m: Prof. Peter Ewert ist mit der Entwicklun­g des kleinen Patienten äußerst zufrieden. Foto: dpa
Check im Münchner Herzzentru­m: Prof. Peter Ewert ist mit der Entwicklun­g des kleinen Patienten äußerst zufrieden. Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany