Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Wegen Fachkräftemangel nehmen Firmen keine Aufträge mehr an
Thüringer Unternehmen müssen auf ausländische Dienstleister zurückgreifen, um die Nachfrage zu bewältigen
Erfurt. In der Thüringer Wirtschaft knirscht es mittlerweile gewaltig. Den vollen Auftragsbüchern in der Mehrzahl der Unternehmen steht ein akuter Mangel an qualifiziertem Personal gegenüber.
„Unsere Auftragslage ist hervorragend. Es wäre kein Problem für unsere Elektro-unternehmen, das Volumen um zwanzig Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu steigern. Aber uns fehlen 700 Elektriker, Mechatroniker und Monteure“, sagt etwa Ralph Burkhardt als neuer Vorstandsvorsitzender der Fuldaer R + S Group AG, die in Erfurt einen ihrer größten Standorte hat.
Der akute Mangel an gut ausgebildeten Elektrofachleuten, Anlagenbauern oder Bauleitern führt jetzt zur verstärkten Verlagerung von Auftragsvolumen auf Partnerunternehmen: „Bis zu ein Fünftel unseres Geschäftsvolumens vor allem im Bereich der technischen Gebäudeausrüstungen wird inzwischen von sogenannten Subunternehmen in ganz Europa realisiert. In Deutschland finden auch die kleineren Betriebe kein Fachpersonal mehr, weshalb sich der Kreis schließt“, sagt Ralph Burkhardt.
„Wir haben zwar sogar einen großen siebenstelligen Betrag investiert, um neue Facharbeiter zu gewinnen, aber der Markt ist einfach leer gefegt. Jetzt stehe sogar die geplante Erweiterung des Erfurter Betriebes mit mindestens 120 neuen Beschäftigten auf der Kippe, beklagt Ralph Burkhardt. Die R+S Group AG beschäftigt knapp 4000 Mitarbeiter an 29 Standorten in ganz Deutschland, davon gegenwärtig rund 160 in der Thüringer Landeshauptstadt. Der Schwerpunkt der Erfurter Aktivitäten liege im Schaltanlagenbau sowie in der Gebäudetechnik etwa für Krankenhäuser oder für den Einsatz in der Industrie.
„In Erfurt arbeiten wir in unserem Betrieb zurzeit mit den vorhandenen rund 160 Mitarbeitern. Aber wir wollen mittelfristig auf über 220 aufstocken, um die stark wachsende Zahl an Aufträgen aus der ganzen Welt abzuarbeiten. Dazu allerdings fehlen uns die Flächen für neue Werkhallen ebenso wie qualifizierte Mitarbeiter.“
Eine andere Strategie in der Personalpolitik fährt der Blankenhainer Hersteller von Farbgranulaten Grafe Color Batch Gmbh. „Wir haben schon vor Jahren unsere Bemühungen verstärkt, junge Leute gezielt an unser Unternehmen zu binden. Das beginnt in der Schule, wo wir talentierte Jugendliche fördern, geht über Praktika im Betrieb bis hin zu Stipendien“, erläutert Geschäftsführer Matthias Grafe.
„Auf diese Weise haben wir kaum Probleme, unseren Bestand an Facharbeitern auf jenem Niveau zu halten, das wir beim Personal zur Abarbeitung unseres wachsenden Auftragsvolumens benötigen.“Allein im Vorjahr habe Grafe in Blankenhain hier ein zweistelliges Plus verzeichnen können.
Aktuell gibt es laut der offiziellen Zahlen von der Bundesagentur für Arbeit auf dem Thüringer Arbeitsmarkt bei einer Erwerbslosenquote von 5,4 Prozent kaum Reserven an qualifizierten Beschäftigten.
So ist die Arbeitslosigkeit in Thüringen inzwischen auf ein Rekordtief gesunken. Nur im Juli kam es saisonbedingt zu einer Sommerflaute, weil sich viele Schulabgänger erwerbslos meldeten. Insgesamt aber stehen vielen freien Stellen rückläufige Zahlen am Arbeitsmarkt gegenüber. Die Zahl der neu gemeldeten Stellen stieg im Juli sogar im Vergleich zum Vormonat – um fast 500 auf rund 6200.
Damit verringerte sich im langjährigen Trend das Potenzial an qualifizierten Facharbeitern dramatisch. Hinzu kommt eine besorgniserregende demografische Entwicklung: Die Zahl der 20- bis 65-Jährigen in Thüringen wird bis zum Jahr 2035 von derzeit 1,3 Millionen auf dann nur noch rund 900 000 schrumpfen, die Zahl der über 65-Jährigen um ein Drittel wachsen. Immer mehr Rentnern stehen damit immer weniger Thüringer im arbeitsfähigen Alter gegenüber.