Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Goethes fremder Bruder im Geiste
Die Klassik Stiftung Weimar und das Maison de Chateaubriand haben ihre Heroen in Paris zusammengebracht
Paris/weimar. Ihre zweite große Ausstellung dieses Jahres hat die Klassik Stiftung Weimar ebenfalls außerhalb Thüringens gezeigt: Im französischen Maison de Chateaubriand in Châtenay-malabry, nur einen Steinwurf entfernt von der Metropole Paris, geht man der spannenden Nicht-beziehung der beiden Zeitgenossen Goethe und Chateaubriand nach – anhand ihrer Rezeption europäischer Landschaften. Diese Schau geht am Sonntag zu Ende. Professor Hermann Mildenberger hat 50 kostbare Leihgaben – 46 Zeichnungen Goethes und 4 Tischbeins – aus dem Bestand der Graphischen Sammlungen ausgewählt und die Schau unter dem Titel „Regards croisés devant les Paysages“(Wechselnde Blicke auf Landschaften) mitkuratiert. Genaue Besucherzahlen kannte er gestern noch nicht. „Ich weiß nur, dass es recht gut gelaufen ist“, sagte er unserer Zeitung. Den Namen Chateaubriands verbindet man bei uns landläufig eher mit einem Filetsteak, in Frankreich jedoch wird der Schriftsteller, Diplomat und Politiker ebenso verehrt wie Goethe (1749–1832) bei uns. Dieses Jahr feiern die Franzosen den 250. Geburtstag des Vicomte Françoisrené de Chateaubriand (1768– 1848), und so sind aus diesem Anlass die Weimarer Leihgaben als „ein schönes Geschenk“, wie Mildenberger sagt, zu verstehen. Die Klassikstiftung und das Museum in Châtenay-malabry im Vallée aux Loups sind seit den 1990er-jahren partnerschaftlich miteinander verbandelt. Trotzdem gesteht der Grafik-experte: „Man kann Goethe und Chateaubriand zusammenbringen, es ist aber kompliziert.“Denn obwohl die beiden Dichter Zeitgenossen waren, sind sie einander niemals leibhaftig begegnet. Auf einen Besuch am Frauenplan verzichtete der Vicomte, der unter anderem fünf Monate lang seinem Land als Diplomat in Berlin diente, sogar, als er auf Reisen im Thüringischen weilte.
„Goethe war Chateaubriand zu heidnisch“, benennt Mildenberger den Dissens ohne Umschweif – und liefert sogleich die passenden Zitate: „Ich habe wenig Sympathie für den Dichter der Materie“, hat der Franzose notiert. Und weiter heißt es bei ihm: „Ich ziehe den Gott des Kreuzes dem Gott des Olymp vor.“Der Vicomte war, zumal in fortgeschrittenem Lebensalter, sehr katholisch, indessen der Freigeist Goethe den antiken Glaubenswelten in seinen persönlichen synkretistischen Jenseitsvorstellungen viel Raum ließ. Dennoch sind beide durch verblüffende Parallelen verbunden.
Beide Dichter rangierten auf ihrem Bildungsniveau und in ihrer konservativen, vom Ancien Regime geprägten Haltung auf Augenhöhe. Als Hauptwerk Chateaubriands gelten dessen späte „Mémoires d’outretombe“(Erinnerungen von jenseits des Grabes), ein Äquivalent zu „Dichtung und Wahrheit“. Beide nahmen aufseiten der Royalisten 1792 an der Kampagne in Frankreich teil und schildern als Augenzeugen des Schlachtens ihre Eindrücke in ähnlich entsetzter Weise. Beide schätzten die Maler Poussin und Lorrain, und da beide das Reisen liebten, fanden sie in deren Bildwerken die Atmosphäre von Landschaften idealtypisch wiedergegeben.
Darin – in der Kunst- und Landschaftsbetrachtung – erkennt Mildenberger folglich die bedeutsamste und sinnlich nachvollziehbare Gemeinsamkeit der zwei Geistesheroen. „Die Landschaft entsteht durch die Sonne“, vermerkte Chateaubriand unterwegs in Böhmen. „Einzig das Licht schafft die Landschaft.“Goethe pflegte dieselbe Anschauung, wie etwa seine gezeichneten Stilisierungen unseres Zentralgestirns als göttliches Auge belegen. Just in Böhmen betrachtet der Franzose Pappelalleen gleichsam als Signaturen geliebter Menschen und fühlt sich an Madame de Beaumont, die große Liebe seines Lebens, erinnert. Während Goethe in einer seiner Zeichnungen aus einer solchen Baumreihe die Buchstaben W-i-l-h-el-m-i-n-e, den Namen einer seiner unerreicht Verehrten, durchscheinen lässt.
Von derlei philologisch-hermeneutischen Interpretationen lebt die Schau im Maison de Chateaubriand: Den skizzierten Landschaftsbildern Goethes stellen Mildenberger und der Hausherr und Ko-kurator Bernard Degout die Beschreibungen Chateaubriands gegenüber. Zumindest dann, wenn es sich um dieselben Szenarien handelt: etwa aus Italien, der Schweiz und Böhmen, aus Venedig und Rom. Da werden romantische Sehnsüchte und spontane Sentiments kongenial – und überraschend ähnlich – verhandelt. Goethes nächtlicher Abschied von der ewigen Stadt etwa korrespondiert mit Chateaubriands literarischen Nachtbildern derselben Topografie.
In Frankreich so berühmt wie Goethe bei uns
Bauhaus-jubiläum bindet alle verfügbaren Kräfte
Gezeigt wird die Schau, die man mit Bildern und Autografen jeweils aus eigenen Beständen bestreitet, allerdings nur in Paris. Deshalb tragen allein die Franzosen die Kosten, auch für Transport und Versicherung der heiklen Exponate der Weimarer Kollegen. Für den denkbaren Gegenzug hätten diese indes keine freien Valenzen. Das Bauhaus absorbiere zurzeit einfach alles, gesteht Hermann Mildenberger.
So bleibt dem hiesigen Kunstfreund nur übrig, entweder flugs den weiten Weg auf sich zu nehmen oder zumindest den sehr instruktiven, zweisprachigen Katalog zu erwerben. Mit der Schau, bei der das Goethe-institut und das Institut Française in Thüringen hilfreich zur Seite standen, hat die Klassik-stiftung Goethe, ihren vornehmsten Helden, zum zweiten Mal in einer prominenten Kooperation präsentiert – nach der „Faust“-ausstellung in München.
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„Goethe et Chateaubriand: Regards croisés devant les Paysages“. www.vallee-aux-loups.hautsde-seine.fr