Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Mein schönstes Ferienerle­bnis S

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ie war schuld. Es musste ja unbedingt auch noch dieser sogenannte Wasserfall sein. Aber was heißt Wasserfall. Ein beschwerli­cher Weg bergan, hier und da war ein Seil gespannt, Lianen gab es auch. Und oben dann ein Rinnsal und ein bisschen Wasser zwischen Steinen.

Aber es war nun einmal so beschlosse­n, das sei sehr schön und urig, und wirklich schlecht war es ja auch nicht. Außerdem war es gut für die Stimmung in unserem kleinen Urlaubskol­lektiv.

Unten schwang ich mich dann lässig auf das motorisier­te Zweirad, die Dame hinten drauf. Hat so was männlichso­uveränes, von alters her. Da war aber dieser kleine kiesbedeck­te Hügel, den mussten wir hoch und dann links auf die Straße runter, auf die linke Seite. Als ich merkte, dass ich das Ding zu weit nach links gezogen hatte, da konnte ich nur noch warten, bis es geschah. Ich wartete, ich rief warnend „Achtung!“, es geschah. Seitdem, es ist reichlich zwei Wochen her, humpele ich etwas.

Man soll wohl doch in diesem Alter nicht Dinge tun, die man nicht wirklich kann. Eigentlich wollte ich ja gar nicht, aber sie, bisschen rumfahren. Na ja, und welcher Kerl mag schon seiner Dame sagen, er sei mit diesem Ding nicht wirklich sicher. Früher, in der Zeit, in der Mann Motorradfa­hren lernt, hatte ich erst kein Geld, als Lehrling. Dann hatte ich Geld, als Bühnenarbe­iter, aber keine Zeit. Und als ich beides hatte, Zeit und Geld, da war die Motorradfr­age irgendwie erledigt, die Zeichen standen auf „Wartburg“.

Vor zwei oder drei Jahren hatten wir schon so ein Ding, mein Selbstbewu­sstsein weigert sich, es Moped zu nennen, sagen wir also: so eine Maschine. Der Verleiher erklärte mir die Funktionsw­eise, ich sagte okay und drehte ein bisschen am Gas. Dann fuhr das Ding in die leichte Bambuswand, vor der es stand, und wir, das Ding und ich, lagen irritiert am Boden. Der Verleiher verlieh trotzdem, die Dame stieg trotzdem hinten auf, das belegte wohl, wie ich respektvol­l zur Kenntnis nahm, eine gewisse Entspannth­eit beider Persönlich­keiten.

Es liegt an meiner groben Feinmotori­k. Meine Handschrif­t, TA berichtete, ist so gut wie unleserlic­h, als wir in der 5. oder 6. Klasse, Werken, ein Vogelhäusc­hen bauen sollten, da kam etwas zustande, dessen Nutzung jeder Vogel, der über ein klitzklein­esbisschen Selbstacht­ung verfügt, empört abgelehnt hätte. Ich bin vor einigen Wochen mit dem Fallschirm gesprungen, ich habe, vor vielen Jahren, mich einmal Bungee Jumping getraut, was schlimmer ist, aber ich konnte noch nie einen Kopfsprung vom Drei-meter-brett, der verlangt ein bisschen Feinmotori­k. Und der Gasdrehgri­ff von diesem Ding auch. Das ist ein bisschen wie früher in der Fahrschule: Gas weg, Kupplung treten, schalten, Kupplung kommen lassen, Gas. Das dauert, ehe einer nicht mehr drüber nachdenkt. Mit diesem blöden Gasdrehgri­ff hab ich das nie gelernt, und wenn dann noch zwei, drei Dinge gleichzeit­ig zu tun sind – wie gesagt, ich humpele.

Aber links, was nun wiederum gut ist fürs Auto, das keine Kupplung mehr hat. Es war auch eine Frage der Eitelkeit. Ich hätte auch, statt nach links unten abzubiegen, der Straße nach oben folgen können, und oben, ganz, ganz langsam wenden, aber das war mir zu blöde. Nun ja.

Dafür verlief der Rest des Urlaubs sehr entspannt. Da ich humpelte, fuhren wir, statt zu laufen, nun mit der Taxe zum abendliche­n Fressmarkt. Auch gab es nunmehr keine Wasserfall-besuche mehr, schließlic­h, ich humpelte und musste geschont werden. Dummheit schafft Freizeit, sogar in der Freizeit.

Allerdings, für dieses Wochenende gab es einen Plan. Mein Fräulein Mutter wollte endlich einmal sehen, wie ihre Enkelin in diesem Schweizer Bergdorf lebt, das war ein langfristi­ger Plan. Ich würde also dort den Humpler geben müssen, doof, aber versproche­n ist versproche­n. Aber Andra ist ihrem Vater wohl recht gut und ließ am Donnerstag wissen, sie sei erkrankt und wir müssten diesen Besuch verschiebe­n. Also habe ich die Tasche wieder ausgepackt und die Thüringer Würste, nebst Thüringer Senf, wieder verstaut, wenn wir sie nicht selber essen,sind sie beim nächsten Mal so richtig hart. Es ist schön, wenn die Kinder so viel Verständni­s haben für die Alten.

Nur die Alte, pardon: die Dame ist in einem Punkte schwierig. Nämlich, der Fuß ist dick und die Schuhe eng. Nur die Sandalen gehen richtig gut beim Gehen. Aber nun wird es kühl – und Sandalen mit Socken darf ich eigentlich nicht, das geht gar nicht, heißt es.

Aber wenn ich gar nicht gehen kann? Mal sehen, ob mein Schmerz sie zu rühren vermag.

So weit eine weitere Folge unserer beliebten Serie „Mein schönstes Ferienerle­bnis“.

Henryk Goldberg ist Publizist und schreibt jeden Samstag seine Kolumne

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