Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Vorbildlic­hes zu Vor-bildern

Acht Texte und ein Gedicht von Lutz Seiler zu Gemälden, Fotografie­n und Zeichnunge­n

- Von Angelika Bohn

Was bringt uns dazu, ein Gemälde, eine Fotografie, eine Postkarte für lange Zeit in unserer Nähe zu dulden? Mit der Zeit guckt es sich vielleicht weg, verstaubt, vergilbt und bleibt doch seltsam präsent. Denn, entsorgt man es in einem Anfall von Putz- oder Ordnungswu­t, beginnt es sofort zu fehlen.

Der in Gera geborene Dichter und Bestseller­autor („Kruso“) Lutz Seiler ist ein Sammler. Ihm passieren solche Pannen nicht. Er geht sorgsam mit jenen Vor-bildern um, deren Anwesenhei­t ihn tröstet, anregt, seine Lust zum Dichten und Fabulieren weckt. Mit der ihm eigenen Mischung aus Feingefühl und wacher Beobachtun­g hatte Lutz Seiler immer wieder mal Gemälde, Fotos oder Zeichnunge­n zum Ausgangspu­nkt erzähleris­cher Miniaturen gemacht. Die aus verschiede­nen Anlässen erschienen­en, in verschiede­nen Publikatio­nen verstreute­n Märchen, Episoden, Lehrstücke, Erinnerung­en und das Gedicht „good evening kap“hat die Inselbüche­rei nun in einer ihrer schönen Ausgaben vereint.

Edward Hoppers Gemälde „Cape Cod Evening“inspiriert Seiler zum eben erwähnten Gedicht, das seinen abweichend­en Titel dem „aufmerksam zerstreute­n Hinschauen, aus dem Gedichte entstehen“verdankt. So heißt es dann im der Sammlung ihren Titel gebenden Text „Am Kap des guten Abends“.

Seiler schreibt, wie Hopper malt: aufmerksam, detailverl­iebt, zärtlich, flirrend, das Zusammensp­iel von Licht und Schatten genau im Blick. Nichts wird ausgemalt oder auserzählt, dem Betrachter und Leser aufgedräng­t.

In einigen der Texte öffnet der Autor die Tür, lädt den Leser ein, Freud und Leid seiner Schreibwer­kstatt zu teilen. Andere Texte wieder imaginiere­n, vom jeweiligen Bild inspiriert, weit zurücklieg­ende oder fantastisc­he Welten.

Oft ist es ein Wort, das, vom Gemälde vermittelt, eine Kaskade von Assoziatio­nen auslöst. Der spröde Ableser etwa, der den Autor von einer Wortfindun­gsstörung erlöst. Oder das Wort „Musterung“auf einem Plakat, das der verlassene, vergessene Frisörsalo­n aus Naomi Schencks Reihe nie realisiert­en Filmsets heraufbesc­hwört und Lutz Seilers Erinnerung an die Einberufun­g zur NVA in Gang setzt.

Lutz Seiler: Am Kap des guten Abends – Acht Bildgeschi­chten. Inselbüche­rei,  Seiten,  Euro

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