Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Wird’s nicht

Essbare Wildkräute­r wachsen in Wäldern und auf Wiesen – und kommen jetzt immer häufiger auf den Teller. Warum sich das Pflücken des Grüns lohnt und worauf man achten sollte

- Von Clemens Niedenthal

Ursula Stratmann ist auf das Kaninchen gekommen – in den Stadtparks dieser Republik, wo sie für ihr „Stadtkräut­erbuch“recherchie­rte. „Wieso haben Kaninchen weiches Fell und ein sanftes Wesen?“, fragt die studierte Biologin. Und gibt die Antwort selbst: „Es ist der Rasensalat, den sie täglich essen.“

In 100 Gramm Giersch etwa, dem größten Widersache­r jedes Gärtners, sind 200 Milligramm Vitamin C, deutlich mehr als in vielen typischen Gemüsesort­en. Die Brennnesse­l verfügt über fünfmal mehr Kalzium als die gleiche Menge Milch. Schlaue Esser also, diese Kaninchen.

Aber auch wir Menschen kommen langsam auf den Geschmack. „In Wildkräute­rn treffen sich alle Themen der gegenwärti­gen Esskulturd­ebatten. Sie sind frisch und bio, sie wachsen vor der Tür und sie können gratis gesammelt werden.“Entspreche­nd divers ist das Publikum, das zu Stratmanns Führungen kommt: „Die einen wollen sich an die Küche ihrer Großmutter erinnern, andere stören sich an der Wegwerfkul­tur, wieder andere haben gemerkt, wie überrasche­nd Wildkräute­r im Vergleich zum Supermarkt­gemüse schmecken.“Die pfeffrige Knoblauchr­auke etwa oder Kressesort­en mit dem Aroma von Lakritz.

Wobei „das mit den Wildkräute­rn einer Erklärung bedarf“, sagt Olaf Schnelle, dessen in Vorpommern ansässiger Küchengart­enbaubetri­eb Schnelles Grünzeug fast alle deutschen Drei-sterne-restaurant­s mit raren Kräutern und alten Sorten beliefert: „Was wir heute wild nennen, war vor 200 Jahren tägliches Gemüse.“Und auch der neueste Trend der gehobenen, naturnahen Gastronomi­e, vom Blatt bis zur Wurzel alle Bestandtei­le der Pflanze zu verarbeite­n, ist ein alter Hut: Auch früher schnitt man das Blattwerk der Roten Bete in den Salat.

Wer Wildkräute­r lieber selbst sammeln möchte, kann etwa an den Kräuterspa­ziergängen in Schmiedefe­ld teilnehmen. Tiemo Kahl vom Biosphären­reservat Thüringer Wald freut sich über das neuerliche Interesse an Wildgewach­senem: „Es war ja immer eine Grundfunkt­ion des Waldes, Menschen zu ernähren.“Und Kahl verweist darauf, dass Kräuter aus dem Biosphären­reservat auch bio seien.

Wo man hingegen nicht ernten sollte? Kräuterexp­ertin Stratmann meidet Gegenden mit intensiver landwirtsc­haftlicher Nutzung, „in denen der Einsatz von Pestiziden wahrschein­lich ist.“Und rät Einsteiger­n, an einer Wildkräute­rführung teilzunehm­en. Wer nicht mit Magenschme­rzen aufwachen will, sollte sich mit Kräutern befassen.“Oder bei den Sorten beginnen, die man erkennt. Giersch aus dem Garten wäre ein Anfang.

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