Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Wird’s nicht
Essbare Wildkräuter wachsen in Wäldern und auf Wiesen – und kommen jetzt immer häufiger auf den Teller. Warum sich das Pflücken des Grüns lohnt und worauf man achten sollte
Ursula Stratmann ist auf das Kaninchen gekommen – in den Stadtparks dieser Republik, wo sie für ihr „Stadtkräuterbuch“recherchierte. „Wieso haben Kaninchen weiches Fell und ein sanftes Wesen?“, fragt die studierte Biologin. Und gibt die Antwort selbst: „Es ist der Rasensalat, den sie täglich essen.“
In 100 Gramm Giersch etwa, dem größten Widersacher jedes Gärtners, sind 200 Milligramm Vitamin C, deutlich mehr als in vielen typischen Gemüsesorten. Die Brennnessel verfügt über fünfmal mehr Kalzium als die gleiche Menge Milch. Schlaue Esser also, diese Kaninchen.
Aber auch wir Menschen kommen langsam auf den Geschmack. „In Wildkräutern treffen sich alle Themen der gegenwärtigen Esskulturdebatten. Sie sind frisch und bio, sie wachsen vor der Tür und sie können gratis gesammelt werden.“Entsprechend divers ist das Publikum, das zu Stratmanns Führungen kommt: „Die einen wollen sich an die Küche ihrer Großmutter erinnern, andere stören sich an der Wegwerfkultur, wieder andere haben gemerkt, wie überraschend Wildkräuter im Vergleich zum Supermarktgemüse schmecken.“Die pfeffrige Knoblauchrauke etwa oder Kressesorten mit dem Aroma von Lakritz.
Wobei „das mit den Wildkräutern einer Erklärung bedarf“, sagt Olaf Schnelle, dessen in Vorpommern ansässiger Küchengartenbaubetrieb Schnelles Grünzeug fast alle deutschen Drei-sterne-restaurants mit raren Kräutern und alten Sorten beliefert: „Was wir heute wild nennen, war vor 200 Jahren tägliches Gemüse.“Und auch der neueste Trend der gehobenen, naturnahen Gastronomie, vom Blatt bis zur Wurzel alle Bestandteile der Pflanze zu verarbeiten, ist ein alter Hut: Auch früher schnitt man das Blattwerk der Roten Bete in den Salat.
Wer Wildkräuter lieber selbst sammeln möchte, kann etwa an den Kräuterspaziergängen in Schmiedefeld teilnehmen. Tiemo Kahl vom Biosphärenreservat Thüringer Wald freut sich über das neuerliche Interesse an Wildgewachsenem: „Es war ja immer eine Grundfunktion des Waldes, Menschen zu ernähren.“Und Kahl verweist darauf, dass Kräuter aus dem Biosphärenreservat auch bio seien.
Wo man hingegen nicht ernten sollte? Kräuterexpertin Stratmann meidet Gegenden mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung, „in denen der Einsatz von Pestiziden wahrscheinlich ist.“Und rät Einsteigern, an einer Wildkräuterführung teilzunehmen. Wer nicht mit Magenschmerzen aufwachen will, sollte sich mit Kräutern befassen.“Oder bei den Sorten beginnen, die man erkennt. Giersch aus dem Garten wäre ein Anfang.