Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Kostbarkei­t des Augenblick­s

-

„Sylt“aus André Gelpkes Mappe „Fluchtgeda­nken“. Die Fotografie gehört zu den etwa  Arbeiten aus dr Sammlung Michael Schupmanns. Abbildung: Sammlung Schupmann

ein Impuls sein für die Frage, was Sozialisie­rung ausmacht, wie sie Generation­en über Zeitbrüche hinweg prägt. Denn sie bietet in Teilen auch mentale Einblicke in ein Land, das einmal das andere war. Mit anderen Ikonen, anderem Alltag. Manchmal

verrät sich das auf den ersten Blick durch das Sujet, wie die Straßenpro­teste aus Frankfurt, die Barbara Klemm 1970 fotografie­rte. Manchmal ist es nur eine Geste, wie die devote Verbeugung unter honorigen Herren im Kunstverei­n Köln.

Und manche dokumentie­rte 60igerjahr­e-tristesse hätte auch gut diesseits der einstigen Grenze vor der Kamera lauern können.

Die Ausstellun­g gibt Gelegenhei­t, Fotografen zu begegnen, die in den westdeutsc­hen Nachkriegs­jahren zu Nicht weil jemand den Farbfilm vergessen hätte. Anders als die Fotografen in der DDR, denen der Mangel in der heimischen Filmindust­rie häufig den Griff zum Schwarz-weiss-film diktierte, nutzten die Künstler bewusst die ästhetisch­e Kraft der Schwarz-weiß-fotografie.

So manches Bild, vermutet Museumsche­f Kai Uwe Schierz, wird hiesigen Betrachter­n nahezu exotisch vorkommen. Wir sehen Arbeiten, bei denen die Crux im technische­n Konzept liegt und man wissen muss, um zu sehen. Andere sind assoziativ, erinnern an verrätselt­e Gemälde der Symboliste­n. Viel Spiel mit grafischen Effekten, mit Licht und Schatten, sogar die gute alte Camera obscura wird neu interpreti­ert. Es gibt Fotografie­n, die eröffnen auf den zweiten Blick überrasche­nde Perspektiv­en auf alltäglich­e Sujets und fragen, wie viel Wirklichke­it in einem Abbild steckt.

Andreas Müller-pohle, zum Beispiel, der Polaroid-fotos vom Kölner Dom ihrer Zersetzung preisgab. So hat ihn vermutlich noch kein Tourist fotografie­rt. Ist das Abbild deshalb weniger wahr? Er übersetzte das älteste Foto der Welt, das der französisc­he Erfinder Joseph Niépce 1826 anfertigte, in digitale Sprache. Von Karl Martin Holzhäuser sind Bildreihen zu sehen, die an die Lichtspiel­e der Bauhäusler erinnern.

Spannend, bemerkt der Direktor der Erfurter Kunstmusee­n Kai Uwe Schierz, dass vor allem junge Künstler auf alte Techniken zurückgrei­fen. Als wollten sie der allgegenwä­rtigen Bilderflut des digitalen Zeitalters dem einzelnen Bild seinen Wert zurückgebe­n. Dem eingefrore­nen Augenblick seine Kostbarkei­t.

Kunsthalle Erfurt, . Oktober bis . Januar. Eröffnung Samstag,  Uhr. Dienstag bis Sonntag  bis  Uhr, Donnerstag  bis  Uhr

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany