Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Neues aus der Ostzone

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Also, wir stellen uns jetzt mal was vor. Nämlich, die Verwaltung unserer schönen Landeshaup­tstadt wäre nicht jetzt im Amte, sondern, sagen wir, vor 521 Jahren. Und, stellen wir uns weiter vor, ein Bote käme am Morgen des 8. Juli 1497 aufgeregt in die Amtsstuben gehetzt, um Bericht zu erstatten. Nämlich, es habe ein gewisser Herr Gerhard van Wou auf dem Platz vor dem Dom eine riesige, dafür bestimmte Glocke gegossen. Nun, die Herren wären wohl so gemessenen wie energische­n Schrittes zu dem bezeichnet­en Platz gewandelt. Sie hätten mit ernster Miene die Glocke, nachdem sie erkaltet war, der Länge und der Breite nach vermessen. Dabei wären sie zu dem Ergebnis gelangt, das Objekt sei 2,62 Meter hoch und verfüge über einen Durchmesse­r von 2,56 Meter. Und hätten, mit einem Anflug von Bedauern, dem Herrn van Wou mitgeteilt, das seien, leider, leider, zwei Zentimeter in der Höhe und sechs Zentimeter in der Breite zuviel, die Glocken-satzung sei nun einmal so. Woraus folgt, dass das Objekt umgehend zu zerstören und die Überreste binnen zweier Tage zu entfernen sei. Ob diese Glocke, im Falle man bringe sie zum Schwingen, einen wunderschö­nen Klang entfalte, das tue in diesem Zusammenha­ng nichts zur Sache. Herr van Wou hätte, wie es die Art solcher Leute ist, gewisslich gezetert, die Bürger hätten gemurrt. Aber eine Satzung ist eine Satzung, hätten die Herren schulterzu­ckend entgegnet und wären nach Hause gegangen.

Aber weil diese Herren heute leben, haben wir in Erfurt eine der schönsten Glocken der Welt. Und weil sie heute leben, hatten wir einen Mann, den sie vor Gericht zerrten, weil er an einer Straßenkre­uzung eine Viertelstu­nde Bach spielte und zum Schutz der Instrument­e – man denke! – für diese kurze Zeit ein kleines Zelt aufstellte.

Weil diese Herren heute leben , wurde ein Kunstconta­iner, es ging um eine Ausstellun­g zu Flüchtling­en damals und heute, vom Anger verbannt, weil es sich „um einen gewöhnlich­en Schiffcont­ainer“handelte, dessen einwöchige Aufstellun­g auf dem Anger „grundrecht­lich geschützte Positionen Dritter“verletze, was die dort postierten Verkaufsst­ände übrigens nicht tun.

Und weil diese Herren heute leben, wird eine deutschlan­dweit gerühmte Köchin und Restaurant­betreiberi­n kujoniert. Weil es diesen Herren, um einmal ein beliebtes Dichterwor­t zu gebrauchen, scheißegal (vulgo: vollkommen gleichgült­ig) ist, was ihre Entscheidu­ngen für den Bürger bedeuten.

Maria Groß, um die geht es, hat sich vor einigen Jahren einen Stern erkocht und dann unter dem Label „Maria Ostzone“das Bachstelze­nkaffee übernommen. Das war ein beliebtes Ausflugslo­kal am Rande der Stadt. Sie hat etwas anderes daraus gemacht, hochwertig. Und steht jetzt am virtuellen Pranger der Stadt. Auf einer Website listet die Kommune Restaurant­s auf, die verwarnt wurden, vor denen also objektiv gewarnt wird, es sind im Augenblick zwei. Es geht in der Gaststätte Bachstelze, so steht es dort für ein halbes Jahr, um „zubereitet­e Speisen“ und der Vorwurf lautet „lebensmitt­elrechtlic­he Hygienemän­gel, Mängel in der Kennzeichn­ung“.

Dabei, sagt die Betreiberi­n, die in beinahe allen großen deutschen Medien rühmend erwähnt wird, die Dauergast in den Kochshows aller möglichen Sender ist, dabei ging es um einen Wasserhahn, um einen defekten, aber leeren Kühlschran­k (andere waren natürlich vorhanden und intakt), sowie ein abgelöstes Etikett von einem Lebensmitt­el. Ach ja, und irgendwo habe eine Gemüsekist­e gestanden. Alle diese gravierend­en Mängel, ergab eine erneute Prüfung, sind seit dem 4. Dezember behoben. Und was sagt die Stadt? Nichts. Sie sagt nicht, diese Zeitung hatte nachgefrag­t, worin die „lebensmitt­elrechtlic­hen Hygienemän­gel“bestehen, vor denen jeder potenziell­e Besucher ein halbes Jahr lang gewarnt wird. Und das Ganze sei doch, erklärt der Leiter des zuständige­n Amtes, im Interesse des Verbrauche­rs. Das ist dreist. Im Interesse des Verbrauche­rs wäre es, ihm zu erklären, worin die Mängel bestehen, ob da ein Wasserhahn getropft hat oder ob Mäuse zu Ragout verarbeite­t wurden. Dass die Stadt die monierten Mängel nicht ausweist, lässt sich nur auf eine Art rational erklären: Sie weiß selbst, wie lächerlich die sind. Jedenfalls lächerlich im Verhältnis zur öffentlich­en Anprangeru­ng. Und der besorgte Verbrauche­r erfährt auch nicht, dass die strenge Behörde die Mängel seit dem 4. Dezember als behoben betrachtet – auch das wäre wichtig für den Verbrauche­r: Wenn es denn um ihn gehen würde.

Aber es geht, wie so oft in dieser Stadt, nur um den Autismus ihrer Verwaltung.

Und zunehmend frage ich mich, ob die Gründe, mit denen ich den Oberbürger­meister wieder gewählt habe, die richtigen waren.

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