Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Chaos-brexit, Exit vom Brexit – oder was?
am Zug – etwa indem in Großbritannien ein erneutes Brexitreferendum abgehalten wird. Die britische Regierung könnte aber umgekehrt den Druck auf die EU erhöhen. Zum Beispiel so: Brüssel soll gedrängt werden, Großbritannien auch ohne Deal eine mehrjährige Übergangsphase einzuräumen, in der die künftigen Beziehungen geregelt werden und sich erst mal nur wenig ändert – London müsste nicht die Kröten des Scheidungsvertrags schlucken und könnte ein ganz neues Paket schnüren. In Brüssel wird das offiziell abgelehnt. Aber Beamte in der Kommission räumen ein: „Es wird nicht einfach, an dieser Position festzuhalten.“
Die Idee eines zweiten Brexit-referendums in Großbritannien findet auf der Insel immer mehr Sympathisanten. Eine Variante wäre, die Bürger über den Brexit-vertrag abstimmen zu lassen. Denkbar wäre aber auch ein erneutes Votum zum Euaustritt – einige Umfragen legen nahe, dass die Brexit-gegner diesmal in der Mehrheit wären. Doch sicher ist nur, dass die Entscheidung auch diesmal knapp wäre. Premierministerin May lehnt ein zweites Referendum kategorisch ab. Sie warnt, damit würde die Spaltung des Landes bloß noch weiter vertieft. Eine andere Variante der Volksbefragung bevorzugt die Labour-partei: Die Neuwahl des Parlaments.
Mit einem dramatischen Aufruf haben mehr als hundert Abgeordnete des Eu-parlaments an die Briten appelliert, in der EU zu bleiben. Nach Informationen unserer Redaktion werben sie in einem offenen Brief an die Bürger Großbritanniens für einen Verzicht auf den geplanten Eu-austritt des Landes. „Wir bitten darum, im Interesse der nächsten Generation den Austritt zu überdenken“, heißt es im Entwurf des Schreibens, das Anfang der Woche in Großbritannien veröffentlicht werden soll. Sollte Großbritannien entscheiden, den Austrittsantrag zurückzuziehen, würden die Eu-abgeordneten das unterstützen. Mitunterzeichner Peter Liese (CDU) sagte: „Wir wollen ein Zeichen an die Bevölkerung und damit auch an das Unterhaus senden und klarmachen: Wenn die Briten sich entscheiden, zu bleiben, sind Sie herzlich willkommen.“
Theoretisch könnte Großbritannien den Brexit auch ohne Referendum oder Wahl noch ganz absagen – sogar ohne Einverständnis der EU. Einem solchen Exit vom Brexit müsste allerdings, wenn er nicht per Referendum erzwungen wird, das britische Parlament zustimmen. Dort ist eine Mehrheit nicht in Sicht. Auch unter Eu-diplomaten gilt diese Variante als zwiespältig. Denn wenn Großbritannien so zerrissen doch in der Union bleibt, wäre London eine Quelle ständiger Störmanöver, heißt es.