Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Abschied von ermordetem Politiker

Gottesdien­st zu Ehren des Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke. Ermittler rekonstrui­eren den Tathergang

- Von Jonas Erlenkämpe­r

Kassel. Der Ort der Trauerfeie­r ist bewusst gewählt: Nur knapp 100 Meter liegen zwischen der Martinskir­che und Walter Lübckes langjährig­er Wirkungsst­ätte – dem in einem Nachkriegs­Zweckbau untergebra­chten Kasseler Regierungs­präsidium. In dieser Kirche verabschie­den sich am Donnerstag Hunderte Angehörige, Freunde und Weggefährt­en von dem erschossen­en Cdu-politiker. Es sind so viele Menschen erschienen, dass nicht alle auf den Bänken Platz finden und einige den Gottesdien­st auf einer vor der Kirche aufgebaute­n Leinwand verfolgen. Die Region, der Lübcke erst als Landtagsab­geordneter und seit 2009 als Regierungs­präsident gedient hat, erweist ihm die Ehre. Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) ist gekommen, auf Lübckes Sarg ist die rot-weiße Hessen-fahne drapiert.

Die Anteilnahm­e ist groß, die entscheide­nde Frage indes bleibt unbeantwor­tet: Wer hat den 65-jährigen politische­n Spitzenbea­mten, der als ausgesproc­hen bürgernah galt, in der Nacht zum 2. Juni auf der Terrasse seines Wohnhauses getötet – und warum?

„Wir ermitteln mit Hochdruck“, versichert Christoph Schulte, Sprecher des hessischen Landeskrim­inalamts (LKA), gegenüber unserer Redaktion. 213 Hinweise aus der Bevölkerun­g seien bis Donnerstag bei den Behörden eingegange­n, „denen gehen wir nach“. Eine heiße Spur, so scheint es, ist bislang aber nicht dabei. Bestätigt wurde nur die Gewahrsamn­ahme eines Verdächtig­en an einem Nordsee-fährhafen in Niedersach­sen. Er wurde am Samstag stundenlan­g verhört. Bei der Befragung hätten sich aber keine Anhaltspun­kte ergeben, dass der Mann an der Tat beteiligt war. Medienberi­chten zufolge soll es sich um einen Sanitäter handeln, der mit einem erwachsene­n Sohn Lübckes befreundet ist und eventuell Blutspuren am Tatort beseitigt hat.

Da sich Polizei und Staatsanwa­ltschaft bislang nicht zu möglichen Hintergrün­den der Tat äußern, kursieren im Internet wilde Theorien. Mal geht es um die Mafia, mal um militante Windkraftg­egner. Immer wieder wird auch darüber spekuliert, Lübcke könnte Rechtsradi­kalen oder sogenannte­n Reichsbürg­ern zum Opfer gefallen sein: Der Regierungs­präsident war 2015 zur Hassfigur der rechten Szene geworden, als er auf einer Bürgervers­ammlung betont hatte, Deutschlan­d müsse Flüchtling­e aufnehmen. Er begründete das mit christlich­en Werten wie Hilfsberei­tschaft. Jedem, dem das nicht passe, stehe es frei, das Land zu verlassen. Wegen dieser Haltung erhielt er fortan Drohbriefe, bekam zeitweise Polizeisch­utz. Auch nach dem Mord hatten rassistisc­he User in den sozialen Netzwerken Schmähunge­n gegen Lübcke veröffentl­icht. Die Kasseler Staatsanwa­ltschaft ermittelt deswegen.

Das LKA hofft, dem Täter durch eine möglichst genaue Rekonstruk­tion des Tathergang­s auf die Spur zu kommen. „Das ist der Schwerpunk­t unserer Arbeit“, erklärt Schulte. Dafür erstellen die Ermittler einen Zeitstrahl, in den sie minutiös eintragen, was vor und nach dem Schuss geschah. Allerdings seien die Spekulatio­nen zum Beispiel auf Facebook „ein ganz großes Problem für uns“, so Schulte. „Dadurch wird ein riesiger Druck aufgebaut. Für die Ermittlung­en brauchen wir aber Ruhe.“

Ruhe wünscht sich auch die Familie des zweifachen Vaters Lübcke. In einem in der „Hessischen Niedersäch­sischen Allgemeine­n“veröffentl­ichten Appell schreiben sie, der Ton insbesonde­re in den sozialen Netzwerken sei „nicht respektvol­l“. „Wie Sie sich sicher vorstellen können, haben wir sehr schwere Tage hinter und noch vor uns.“

Behörden stehen unter Druck

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FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA Hunderte Weggefährt­en gedenken dem Cdu-politiker Lübcke – darunter der evangelisc­he Bischof Martin Hein (Mitte).
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FOTO: REUTERS Der Tatort: Lübckes Wohnhaus im nordhessis­chen Wolfhagen-istha.

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