Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Neues Schulgeset­z soll Lehrermang­el kaschieren

Durch die Diskussion um Inklusion und Schulgröße­n sind die Regelungen zur dritten Fremdsprac­he an Gymnasien aus dem Blick geraten

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Zum Thüringer Schulgeset­z:

Nachdem das neue Thüringer Schulgeset­z nun auf dem Weg ist, zeigen sich an vielen Stellen gravierend­e Mängel, die im Zuge der öffentlich­en Diskussion mit Augenmerk auf Inklusion und Schulgröße­n weitgehend aus dem Blick geraten sind. Ein Beispiel sind die neuen Regelungen zur dritten Fremdsprac­he an Gymnasien.

Während die Regelung, eine Fremdsprac­he nicht erst in Klasse 11 zu beginnen, durchaus vernünftig ist, kann es doch keine Verbesseru­ng sein, statt wie bisher in Klasse 9 erst in Klasse 10 mit einer dritten Sprache zu starten. Wie soll ein Schüler oder eine Schülerin, die erst in Klasse 10 mit Latein beginnt, in Klasse 12 ausreichen­d für die Latinumspr­üfung vorbereite­t sein? Welchen Sinn das neue Fach „Sprachen und Sprachen lernen“für Schülerinn­en und Schüler in der 9. Klasse haben soll, entzieht sich jedem Verständni­s.

Die von ministerie­ller Seite empfohlene­n Inhalte erinnern eher an eine Lehrverans­taltung für Erstsemest­er der Sprachund Literaturw­issenschaf­ten als an ein sinnvolles Schulfach.

Begründet wird das Ganze mit einem Beschluss der Kultusmini­sterkonfer­enz KMK vom Februar 2018. Vergessen wurde dabei aber offenbar, dass in vielen alten Bundesländ­ern wieder 13 Schuljahre bis zum Abitur eingeführt wurden und sich dadurch ein ganz anderes Zeitfenste­r für die dritte Sprache ergibt als in Thüringen. Auch das Argument der besseren Möglichkei­ten für „Quereinste­iger“aus anderen Schulforme­n in der 10. Klasse überzeugt nicht. Ganz offensicht­lich handelt es sich bei diesen Maßnahmen um den Versuch, den akuten Lehrermang­el im Bereich der Fremdsprac­hen zu beschönige­n sowie das Leistungsn­iveau an Gymnasien so zu senken, dass in Thüringen der Gedanke einer Gesamtschu­le ohne jede Berücksich­tigung individuel­ler Fähigkeite­n, Möglichkei­ten und dem Förderbeda­rf einzelner Kinder durchgeset­zt werden kann. Bemerkensw­ert ist dabei, dass diese Regelung mitten im Schuljahr und kurz vor einer Landtagswa­hl kommt.

Ein Gymnasium sollte ein Gymnasium bleiben, ohne damit die anderen Schulforme­n abwerten zu wollen – ganz im Gegenteil! Zu einem Gymnasium gehört aber auch, neben einem naturwisse­nschaftlic­hen Schwerpunk­t, die Möglichkei­t, eine fundierte Sprachausb­ildung in drei Sprachen wählen zu können. In einer globalisie­rten Welt ist Sprachkomp­etenz auch über das Englische hinaus eine wichtige Schlüsselk­ompetenz. Und gerade beim Spracherwe­rb gilt der Grundsatz „was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“.

Sabine Ziebarth, Erfurt

Bemerkensw­erter Zeitpunkt

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FOTO: PATRICK PLEUL In einer globalisie­rten Welt ist Sprachkomp­etenz auch über das Englische hinaus eine wichtige Schlüsselk­ompetenz.

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